29.3.68

Madigan (Don Siegel, 1968)

Nur noch 72 Stunden

»If I asked for a warrant, you could show me one?« – »We left it downstairs with the doorman.« New York, wo es weder schick noch vornehm ist: Detective Madigan (Richard Widmark) und sein Partner wollen einen notorischen Straftäter (der sich als ziemlich irrer Mörder erweisen wird) zum Verhör abholen, lassen sich übertölpeln und um ihre Dienstpistolen erleichtern. 72 Stunden gibt ihnen ihr Boß, um den Flüchtigen zu fassen und die gestohlenen Waffen wiederzubeschaffen. Drei Tage lang, Freitag, Samstag, Sonntag, jagt Don Siegel seine Protagonisten kreuz und quer durch die verwilderten Viertel der Stadt, durch Nachtclubs und schmuddlige Absteigen, Kinos und drittklassige Trinkstuben, durch eine Welt, die bevölkert ist von Buchmachern, Säufern, Zuhältern, Flittchen, Junkies. Gleichzeitig entwirft »Madigan« ein illusionsloses Techniscope-Panorama der Polizeiarbeit, das die Hüter öffentlicher Sicherheit und Ordnung als Exponenten von Bigotterie, Korruption, Soziopathie zeigt: da ist der ach so korrekte Commissioner (Henry Fonda), der mit der Frau eines Kollegen schläft, da ist der joviale Chief Inspector, der sich hat sich kaufen lassen, um den Arsch seines ungeratenen Sohnes zu retten, da ist, nicht zuletzt, der Titelheld, ein semianarchistisch-obsessiver Cop, der seine sexuell unausgelastete Gattin buchstäblich in die Arme eines anderen legt, um zu erledigen, was zu erledigen ist. Ein ungemütliches Werk, dem eine überraschend drastische Auflösung das angemessen bittere Ende verpaßt. PS: »Human behavior patterns are very important in police work.«

R Donald Siegel B Abraham Polonsky, Henri Simoun (= Howard Rodman) V Richard Dougherty K Russell Metty M Don Costa A Alexander Golitzen, George C. Webb S Milton Shifman P Frank P. Rosenberg D Richard Widmark, Henry Fonda, Harry Guardino, James Whitmore, Inger Stevens | USA | 101 min | 1:2,35 | f | 29. März 1968

# 1142 | 6. Januar 2019

27.3.68

L’homme qui ment (Alain Robbe-Grillet, 1968)

Der Mann, der lügt

»Je vais vous raconter mon histoire … ou du moins je vais essayer.« Soldaten verfolgen einen Mann durch den Wald. Schüsse. Explosionen. Der Mann wird getroffen. Bricht zusammen. Stirbt. Erwacht. Steht auf. Läuft weiter. Der Mann erzählt seine Geschichte. Oder er versucht es zumindest: »Mon nom est Robin … Jean Robin.« Dem Kopf des Mannes (Jean-Louis Trintignant), seinen (inkonsistenten) Ausführungen entwächst ein fiktives (Erzähl-)Universums, dessen unauflösliche Widersprüche Alain Robbe-Grillet kinematokulinarisch zelebriert. Ein Mann kommt aus dem Wald. Gelangt in ein Dorf. Macht seine Aufwartung im Schloß. Auf dem Schloß warten drei Frauen auf die Heimkehr von Jean Robin: die Schwester, die Ehefrau, ein Dienstmädchen. »Il est mort! Mort! Mort!« heißt es über Jean Robin, von dem man glaubt, daß er eines schönen Tages zurückkommen werde. Der Mann aus dem Wald nennt sich Boris Varissa. Er berichtet von seinem Freund, von seinem Kampfgefährten Jean Robin. Der ein Held des Widerstandes gegen die Besatzer war. Der ein Kollaborateur war. Der fliehen konnte. Der erschossen wurde. Den man in eine Falle lockte. Der seine Kameraden verraten hat. Ein Mann erfindet eine wahre Geschichte. Ein Mann erfindet seine wahre Geschichte. Oder er versucht es zumindest. Immer wieder von neuem. Drei Frauen warten auf einen Mann. Sie spielen Blindekuh im Schloß. In der Bibliothek. Auf dem Speicher. Zwischen Büchern und Spiegeln. Zwischen alten Möbeln und leeren Bilderrahmen. Träumen die drei Frauen von einem Mann, der kommt, um ihnen seine wahren Geschichten zu erzählen? Geschichten von Tod und Überleben, von Heldentum und Verrat, von Geheimnis und Zweifel. Geschichten, die Hingabe fordern, Auslieferung, Unterwerfung. Geschichten von der zeremoniellen Gewalt eines sexuellen Rollenspiels. Geschichten wie Gefängnisse, wie unterirdische Höhlen ohne Ausgang. Die Welt Robins, Varissas, Robbe-Grillets, dieser Legendenwald der Gespenster und Vorahnungen, des Spechtklopfens und Glockengeläuts, der Rollenspiele und Anachronismen, des Stöhnens und Schreiens, ist nichts als eine Lüge, nichts als eine Erzählung, und eben darum ist diese Welt wahr. »Et maintenant je vais vous raconter ma vraie histoire … ou du moins je vais essayer.«

R Alain Robbe-Grillet B Alain Robbe-Grillet K Igor Luther A Anton Krajcovic S Bob Wade P Samy Halfon D Jean-Louis Trintignant, Zuzana Kocúriková, Sylvie Turbová, Sylvie Bréal, Ivan Mistrík | F & CSSR | 93 min | 1:1,66 | sw | 27. März 1968

# 830 | 21. Januar 2014

22.3.68

Les biches (Claude Cahbrol, 1968)

Zwei Freundinnen 

Eine wohlhabende Dame schreitet erhobenen Hauptes über den Pariser pont des Arts. Gönnerhaft wirft sie der unbemittelten jungen Straßenkünstlerin, die sich auf die Darstellung von Hirschkühen (»biches«) spezialisiert hat, einen 500-Franc-Schein hin. Bald schon werden die gegensätzlichen Frauen beste (?) Freundinnen (»biches«): Frédérique (blasiert-mondän: Stéphane Audran) nimmt Why (unbefangen-stolz: Jacqueline Sassard) mit in ihre luxuriöse Villa nach Saint-Tropez, wo der Architekten Paul (attraktiv-reserviert: Jean-Louis Trintignant) zwischen das Paar tritt ... Mit großer inszenatorischer Delikatesse entwickelt Claude Chabrol aus dem erotischen Dreiecksverhältnis ein quälerisches Spiel um Macht, Besitz und Genuß, ein beklemmendes Geflecht von Gier, Berechnung und (letztlich tödlicher) Rivalität, einen höhnischen Abgesang auf Freundschaft, Liebe und Glück: Die schöne Welt der Reichen ist nur eine betörende Fassade, hinter der sich die Deformation des indiskret-uncharmanten bourgeoisen Charakters und eine allgemeine Verarmung des Gefühls auftun.

R Claude Chabrol B Claude Chabrol, Paul Gégauff K Jean Rabier M Pierre Jansen A Marc Berthier S Jacques Gaillard P André Génovès D Stéphane Audran, Jacqueline Sassard, Jean-Louis Trintigant, Henri Attal, Dominique Zardi | F & I | 99 min | 1:1,66 | f | 22. März 1968

# 998 | 6. Mai 2016

18.3.68

The Producers (Mel Brooks, 1968)

Frühling für Hitler

Entzückend vulgäre und politisch herzlich inkorrekte Klamotte über Showgeschäft und Nationalsozialismus – zwei Themen, die mehr miteinander zu tun haben, als man vielleicht denken mag: Ein hochstaplerischer Broadway-Produzent und ein ausgekochter Buchprüfer spekulieren auf großen Reibach, indem sie »Springtime for Hitler«, das schlechteste Musical aller Zeiten, herausbringen, um nach der unausweichlichen Pleite die überschüssigen Investor(inn)engelder einzusacken. Daß die Chose nicht ganz so glatt über die Bühne geht wie geplant, versteht sich angesichts des unberechenbaren New Yorker Publikumsgeschmacks beinahe von selbst. Zero Mostel und Gene Wilder sind ein mindestens so extraordinär-größenwahnsinniges Gespann wie der »Führer« und sein Schäferhund – und mit Song­zeilen wie »Don't be stupid, be a smarty, come and join the Nazi party« hat sich Mel Brooks seinen Klappstuhl auf dem Komödiantenolymp redlich verdient.

R Mel Brooks B Mel Brooks K Joseph Coffey M John Morris A Charles Rosen S Ralph Rosenblum P Sidney Glazier D Zero Mostel, Gene Wilder, Dick Shaw, Kenneth Mars, Estelle Einwood | USA | 88 min | 1:1,85 | f | 18. März 1968

14.3.68

Le pacha (Georges Lautner, 1968)

Der Bulle

Kommissar Joss (bullig-lakonisch: Jean Gabin) hat die Schnauze voll. Nach Jahrzehnten des ebenso harten wie vergeblichen Kampfes gegen Unrecht und Gewalt, emotional angefaßt von der Ermordung eines alten Freundes und Kollegen (der sich um einer hübschen jungen Frau willen in eine trübe Sache verwickelt hat) macht sich der Pariser Polizeibeamte kurz vor der Pensionierung daran, den Sumpf des Verbrechens endgültig trockenzulegen. Ohne Rücksicht auf Verluste (oder lästige Vorschriften) nimmt Joss das Gesetz selbst in die Hand und spielt rivalisierende Banden tödlich gegeneinander aus ... Nicht ohne bärbeißige Ironie schildert Georges Lautner (drehbuchtechnisch unterstützt von seinen Langzeitkomplizen Michel Audiard und Albert Simonin) den letzten Einsatz eines alten Schlachtrosses in Zeiten gesellschaftlicher Umbrüche. Neben dem unerschütterlichen Gabin glänzen in Nebenrollen: André Pousse als gewissenloser Gangster Quinquin, Robert Dalban als verführbarer Polyp, Maurice Garrel als kultivierter Hehler und, enfin et surtout, Serge Gainsbourg als er selbst in einer bemerkenswerten Gesangseinlage: »C’est le requiem pour un con. / Je l'ai composé spécialement pour toi / à ta mémoire de scélérat.«

R Georges Lautner B Michel Audiard, Georges Lautner, Albert Simonin V Jean Delion K Maurice Fellous M Serge Gainsbourg, Michel Colombier A Jean d’Eaubonne S Michelle David P Alain Poiré D Jean Gabin, Dany Carrel, André Pousse, Robert Dalban, Maurice Garrel | F & I | 82 min | 1:1,66 | f | 14. März 1968

# 1055 | 5. Juni 2017

Heroin (Heinz Thiel & Horst E. Brandt, 1968)

Drogenschmuggel bei der Deutschen Reichsbahn! Leichen am Bahndamm! Rauschgift in Tomatendosen! Alerte französische Geschäftsleute, die im Ostberliner Hotel Unter den Linden residieren, haben ihre Finger im Spiel, doch die eigentliche Spur führt über Budapest und Belgrad an die dalmatinische Küste. Zollkommissar Peter Zinn (Thälmann-Darsteller Günther Simon einmal mehr in der Rolle des aufrechten Kämpfers für sozialistische Gerechtigkeit) schlüpft in die Maske eines Zugkellners, um den Hintermännern und -frauen des tödlichen Deals (eine Stewardeß, ein Kammersänger, ein Frisör, dessen Schwester, ein Gastwirt) das Handwerk zu legen. Heinz Thiel (Defa-Spezialist für gediegene, bisweilen beachtliche Krimikost) und sein langjähriger Kameramann Horst E. Brandt können indes nicht verhindern, daß sich – ungeachtet internationaler Schauplätze und grenzübergreifender Verwicklungen – Momente von Spannung im grauen Fahndungsalltag eher selten einstellen.

R Heinz Thiel, Horst E. Brandt B Gerhard Bengsch K Horst E. Brandt M Helmut Nier A Paul Lehmann S Hildegard Konrad-Nöller P Martin Sonnabend D Günther Simon, Werner Dissel, Walter Jupé, Eva-Maria Hagen, Predrag Milinkovic | DDR | 85 min | 1:2,35 | sw | 14. März 1968

# 1011 | 2. August 2016

8.3.68

Engelchen oder Die Jungfrau von Bamberg (Marran Gosov, 1968)

»Ich bin jetzt 19. Ich bin fällig.« Die fesche Katja (Gila von Weitershausen) reist von Bamberg nach München, um sich erstmals flachlegen zu lassen – was auch in Zeiten der sexuellen Revolution gar nicht so einfach ist, wie es klingt. Zwar findet sie Aufnahme in eine vielversprechende Männer-WG, doch ihr jungfräulicher Zustand löst nicht eben Begeisterung aus: »Und das soll ich jetzt machen? Du, da biste bei mir aufm falschen Dampfer.« Schließlich klappt es doch noch, und das Fräulein kann befreit in die Provinz zurückkehren … Marran Gosovs zartfühlend-skurrile Erotik-Komödie bezaubert durch ihre liebenswürdige Schwabinger Stimmungsmalerei, durch ihre Freude am abschweifenden Herumschnuppern, durch ihre närrische Einbildungskraft – etwa wenn sich Katja beim Musikhören das bukolische Idyll eines nackten Pärchens im Englischen Garten herbeiphantasiert und sich in ihrem Wunschtraum unversehens von einer mähenden Schafherde umringt sieht. Kino ist laut François Truffaut die Kunst, hübsche Frauen hübsche Dinge tun zu lassen. »Engelchen« ist mindestens so hübsch wie seine kokette Hauptdarstellerin, die sich (und dem Publikum) voller Lust und Laune eine vergnügliche Zeit bereitet.

R Marran Gosov B Franz Geiger, Marran Gosov K Werner Kurz M Jacques Loussier A Peter Scharff S Gudrun Vöge, Enzio von Kühlmann-Stumm P Rob Houwer D Gila von Weitershausen, Dieter Augustin, Uli Koch, Hans Clarin, Gudrun Vöge | BRD | 81 min | 1:1,66 | f | 8. März 1968