24.2.57

Der gläserne Turm (Harald Braun, 1957)

»Merkwürdig, diese Mischung von Erfolg und Untergang.« Sie bilden ein explosives (oder eher implosives) Dreieck: der herrische Unternehmer Robert Fleming (O. E. Hasse), ein Mann, der hält, was er hat, seine hochsensible Gattin Katja (Lilli Palmer), eine Theaterschauspielerin, die dem Rampenlicht (nicht ganz freiwillig) den Rücken kehrte, der forsche Dramatiker John Lawrence (Peter van Eyck), der die labil-begnadete Aktrice aus dem komfortablen Ruhestand (≈ einem goldenen Käfig im obersten Stockwerk des höchsten Hauses von Berlin) zurück auf die Bühne (≈ in die Freiheit) locken will. Was wie ein fashionables Melodram beginnt, wandelt sich peu à peu zur dunklen Sittenbild mit abschließendem Gerichtsverfahren – zur Verhandlung bringen Regisseur Harald Braun und seine Autoren (darunter Wolfgang Koeppen, einer der bedeutendsten bundesdeutschen Schriftsteller der Nachkriegszeit) neben einem vermeintlichen Giftmordfall auch die Überholtheit gesellschaftlich zugeschriebener Geschlechterrollen, die Geistlosigkeit eines selbstbesoffenen Aufsteigertums, die (vage) Chance auf Emanzipation. Hauptschauplatz des Stückes um Macht und Schwäche, um Kunst und Konjunktur (aber auch um Liebe und Hoffnung) ist eine luxuriös ausstaffierte Dachetage, ein Exzeß aus Glas und Stuck, Marmor und Fell, Kunststoff und Velours, ein (von Walter Haag entworfener) faszinierender Alptraum des Gelsenkirchener Eklektizismus, wo die Spiegelung eines lodernden Kaminfeuers als eifersüchtig brennendes Herz erscheint. Wird die beschädigte Heldin imstande sein, dieses überspannt-menschenfeindliche Ambiente, halb Treibhaus, halb Kühlhalle, hinter sich zu lassen? »Wo soll sie hin: vorwärts oder zurück?« – die über allem schwebende, alles grundierende Frage findet schließlich eine recht mutlose Antwort: Katja Fleming nimmt einmal mehr den ihr zugewiesenen Platz ein.

R Harald Braun B Odo Krohmann, Wolfgang Koeppen, Harald Braun K Friedel Behn-Grund M Werner Eisbrenner A Walter Haag S Hilwa von Boro P Hans Abich D Lilli Palmer, O. E. Hasse, Peter van Eyck, Hannes Messemer, Brigitte Horney | BRD | 104 min | 1:1,37 | sw | 24. Oktober 1957

# 1090 | 5. Dezember 2017

16.2.57

Det sjunde inseglet (Ingmar Bergman, 1957)

Das siebente Siegel

»Dies irae, dies illa / solvet saeclum in favilla.« Ein finster-groteskes Mittelalter als ferner Spiegel moderner Ängste und Zweifel: Ein grüblerischer Ritter (Max von Sydow) und sein neunmalkluger Knappe (Gunnar Björnstrand) kehren aus dem Heiligen Land zurück in ihre von der Pest heimgesuchte Heimat; der Tod erscheint, den Ritter zu holen, läßt sich aber zu einer Schachpartie beschwatzen (der Schnitter spielt Schwarz – was sonst?) und gewährt Aufschub, solange das Match nicht entschieden ist. Auf ihrem weiteren Weg erleben der traurige Herr und sein wackerer Begleiter die Gefangenschaft der Menschen in existentieller Furcht vor dem großen Nichts, eine Furcht, die sich als moralische Verwesung, religiöser Wahn oder oberflächliche Sinnenlust manifestiert. Nur in der Gesellschaft eines naiven Gauklers, seiner treuherzigen Frau und ihres kleinen Sohnes – eine sympathische Travestie der heiligen Familie! – findet der Ritter Momente von Ruhe und Frieden. Das Idyll mit Lauten spiel, frisch gemolkener Milch und wilden Erdbeeren ist freilich nicht von Dauer, denn gegen den Tod ist à la longue kein Spiel zu gewinnen… Ingmar Bergmans danse macabre nutzt die dunkle Epoche als Folie einer, in stilisierten Tableaus (Kamera: Gunnar Fischer) ausgemalten, Sinn-(= Gott-)suche, die einmal mehr ohne greifbares Ergebnis bleibt: Das Schweigen des Schöpfers schallt stumm durch die Tiefe der Zeit.

R Ingmar Bergman B Ingmar Bergman K Gunnar Fischer M Erik Nordgren A P. A. Lundgren S Lennart Wallén P Allan Ekelund D Max von Sydow, Gunnar Björnstrand, Nils Poppe, Bibi Andersson, Bengt Ekerot | S | 96 min | 1:1,37 | sw | 16. Februar 1957

15.2.57

Königin Luise (Wolfgang Liebeneiner, 1957)

Liebe und Leid einer Königin oder Ein Frauenschicksal aus bewegter Zeit. Preußen zu Beginn des 19. Jahrhunderts: ein kleiner (natürlich friedliebender) Staat zwischen rivalisierenden Giganten. Im Westen lauert der postrevolutionäre Heilsbringer aus Paris, im Osten brummt der russische Bär. Vergessen möchte man werden, übersehen von den globalen Gegenspielern – allein die Geschichte ist unerbittlich und verlangt eine Entscheidung. Friedrich Wilhelm III., der ältlich-schwache preußische Monarch (Dieter Borsche), zögert, zaudert, zweifelt, seine volkstümlich-mädchenhafte Gemahlin Luise (Ruth Leuwerik) ermuntert ihn zu handeln: »Tu doch ganz einfach das was dir dein Herz sagt. Das ist immer das Richtige.« Er tut es, doch es ist das Falsche. Napoleon marschiert durch bis an die Memel, den Zaren kümmert es nicht, Preußen geht perdu. Wolfgang Liebeneiner erzählt Historie im simplifizierdend-dekorativen Stil von Schokoladen-Sammelbildern, sein Werk erinnert, vor allem dank Rolf Zehetbauers kunstvoll abstrahierter Ausstattung, an ein erbauliches Kinderbuch aus Kaisers Zeiten: »Die Königin Luise in 50 Bildern für Jung und Alt« … Kurz vor ihrem dekorativen Filmtod, der sie zum elegischen Denkmal entschlafen läßt, wendet sich die Königin der Herzen direkt an das nachgeborene Publikum im Kinosaal: »Was wir durchgemacht haben, Krieg, Flüchtlinge, Auseinanderreißen des Landes, fremde Besatzung, das darf doch nie wieder geschehen. Ja, und wenn alle lernen und aufpassen und mithelfen, dann kann es auch nie wieder geschehen.« Wie schon Goethe sagte: »Doch rufen von drüben / Die Stimmen der Geister,
 / Die Stimmen der Meister: / Versäumt nicht zu üben, / Die Kräfte des Guten!«

R Wolfgang Liebeneiner B Georg Hurdalek K Werner Krien M Franz Grothe A Rolf Zehetbauer S Lisbeth Neumann P Utz Utermann D Ruth Leuwerik, Dieter Borsche, Bernhard Wicki, René Deltgen, Hans Nielsen | BRD | 105 min | 1:1,66 | f | 15. Februar 1957

# 869 | 25. Mai 2014

13.2.57

Funny Face (Stanley Donen, 1957)

Ein süßer Fratz

Zum ersten Mal ohne den irrealen Glanz von MGM, mithin auch ohne das Ingenium des Produzenten Arthur Freed im Hintergrund, sucht Musical-Regisseur Stanley Donen seinen Weg zwischen unverhohlenem Starkult und ironischer Zeitkritik. »Funny Face« erzählt von einem (nicht allzu) häßlichen Entlein, das sich unter den durchdringenden Blicken eines Mannes (und zu den Melodien von George Gershwin) in einen stolzen Schwan verwandelt – ein flüchtiges Märchen aus der Welt der Mode und der Modejournale, eine fast gegenstandslose Story, so durchsichtig wie Seidenvoile, so verweht wie eine Magazinseite im Wind der Zeit: Ein in Sack und Asche gehender New Yorker Blaustrumpf (Audrey Hepburn) wird von einem fashionablen Fotografen (Fred Astaire als Richard-Avedon-Surrogat) in Paris zum Gesicht bzw. zum Kleiderständer der Epoche stilisiert ... Die Romanze zwischen dem jungen Ding und dem alten Profi, der schon (fast) alle(s) gesehen hat, bleibt schwärmerische Behauptung; die antiintellektuellen Sottisen gegen Philosophen, denen das Hirn in die Hose fällt, bedienen (nicht unwitzig) landläufige Klischees; doch indem die Herstellung von Trends, von Idealen, von Bedürfnissen durch die Bewußtseinsindustrie (energisch verkörpert von Kay Thompson als ›Quality‹-Chefredakteurin) musikalisch und tänzerisch transparent gemacht wird, gewinnt der Film einen Hauch von oberflächlicher Tiefe: »Think pink!«

R Stanley Donen B Leonard Gershe K Ray June M George Gershwin A George W. Davis, Hal Pereira S Frank Bracht P Roger Edens D Audrey Hepburn, Fred Astaire, Kay Thompson, Michel Auclair, Robert Flemyng | USA | 103 min | 1:1,85 | f | 13. Februar 1957

8.2.57

Schlösser und Katen (Kurt Maetzig, 1957)

Auch Affirmation kann Kunst hervorbringen: Thälmann-Regisseur Kurt Maetzig und Stalin-Hymniker Kuba erzählen mit geballten Fäusten und epischem Atem den großen sozialistisch-realistischen Heimatroman der 1950er Jahre. Vom Kriegsende 45 über Bodenreform und beginnende (Zwangs-)Kollek­tivierung bis zum Juniaufstand 53 schildert »Schlösser und Katen« (durch die ideologische Brille aber ohne Brett vorm Kopf) die Geschichte eines mecklenburgischen Dorfes und die verschlungenen Schicksale seiner Bewohner. Der Kampf zwischen dem dunklen Gestern und dem lichten Morgen führt durch ein intrigantes Heute, in dem es von buckligen Knechten, verschlagenen Gutsinspektoren, unehelichen Töchtern und argwöhnischen Bauern nur so wimmelt. Daß am Ende das Alte dem Neuen weichen muß, damit alles gut und rot werde, versteht sich von selbst. Trotz alledem: erzählerisch sehr taugliche, handwerklich überzeugende Defa-Ware.

R Kurt Maetzig B Kuba (= Kurt Barthel), Kurt Maetzig K Otto Merz M Wilhelm Neef A Alfred Hirschmeier S Ruth Moegelin P Hans Mahlich D Raimund Schelcher, Erika Dunkelmann, Karla Runkehl, Erwin Geschonneck, Harry Hindemith | DDR | 204 min | 1:1,37 | sw | 8. Februar 1957