26.2.60

Der schweigende Stern (Kurt Maetzig, 1960)

Das internationalistisch besetzte Raumschiff ›Kosmokrator‹ reist anno 1970 zur Venus, nachdem auf der Erde eine mysteriöse Botschaft des Nachbarplaneten gefunden wurde. Der Stern schweigt sich zwar hartnäckig aus, dafür reden die Protagonisten dieser reichlich zähen Defa-Utopie (unter ihnen Günther Simon als Pilot Brinkmann) um so mehr – vor allem über Fortschritt, Völkerverständigung und drohenden Atomtod. Wenn auch die (locker auf einem Frühwerk von Stanisław Lem basierende) Erzählung nicht gerade mitreißt und Kurt Maetzig einen großen politisch-moralischen Zeigefinger durchs Geschehen bohrt, so sorgen doch die in glühendes Agfacolor getauchten, von Surrealisten wie Tanguy, Dalí und Max Ernst inspirierten, venusischen Endzeit-Dekorationen für bizarre optische Aha-Effekte.

R Kurt Maetzig B Jan Fethke, Wolfgang Kohlhaase, Günter Reisch, Günther Rücker, Alexander Graf Stenbock-Fermor, Kurt Maetzig V Stanisław Lem K Joachim Hasler M Andrzej Markowski A Anatol Radzinowicz, Alfred Hirschmeier S Lena Neumann P Hans Mahlich, Edward Zajicek D Günther Simon, Yoko Tani, Oldrich Lukes, Ignacy Machhowski, Michail N. Postnikow | DDR & PL | 95 min | 1:2,35 | f | 26. Februar 1960

8.2.60

Jungfrukällan (Ingmar Bergman, 1960)

Die Jungfrauenquelle

Eine archaische Legende aus dem Dämmerlicht des (noch nicht ganz so) christlichen Mittelalters, spröde, beinahe eindimensional gespielt, dargeboten in hartem Licht und holzschnittartigen Kadragen (Kamera: Sven Nykvist), in knappen, gravitätischen Dialogen und ohne den Trost von Musik. (Nur eine Maultrommel ertönt, und sie verkündet kommendes Unheil …) Die jungfräulich-verwöhnte Tochter eines reichen Bauern (Max von Sydow) wird auf dem Ritt vom Gutshof zur Kirche, wohin sie geschickt wurde, um Kerzen weihen zu lassen, von Wegelageren überfallen, geschändet und erschlagen. Der Vater nimmt grausame Rache, hadert mit einem Gott, der Mord und tödliche Vergeltung zuläßt. Gott, in seinem unerforschlichen Ratschluß, läßt ein Wunder geschehen und am Ort der Bluttat eine Quelle entspringen. Ingmar Bergman findet in »Jungfrukällan« durch suggestive Bildsprache und äußerste erzählerische Reduktion zu fast brutaler gestalterischer Geschlossenheit in der Art einer erlesenen Primitivität – den Höhepunkt bildet sicherlich jene Sequenz, in der Max von Sydow im Morgengrauen eine junge Birke niederringt, mit deren Zweigen er sich im Dampfbad schlägt und reinigt, bevor er zur Bestrafung der Unholde schreitet.

R Ingmar Bergman B Ulla Isaksson K Sven Nykvist M Erik Nordgren A P. A. Lundgren S Oscar Rosander P Allan Ekelund D Max von Sydow, Birgitta Valberg, Birgitta Pettersson, Gunnel Lindblom, Axel Düberg | S | 89 min | 1:1,37 | sw | 8. Februar 1960

3.2.60

La dolce vita (Federico Fellini, 1960)

Das süße Leben

»Dieses Fest wird nie ein Ende nehmen.« Klatschreporter Marcello (Mastroianni) führt das staunende Publikum als munter-melancholischer Cicerone durch die Pseudo-Welt der deformierten Schönen und elenden Reichen: Da wird das nächtliche Bad eines dumm-sinnlichen Busenstars im barocken Brunnen zum großen Glücksversprechen, da dient die soziale Misere als exotische Kulisse zur Steigerung von schalen Lustgefühlen, da findet die Sehnsucht nach Sinn und Erlösung ihre Erfüllung nur mehr in medial verwursteter Scharlatanerie. Überhaupt die Medien: Anschaulich wie kaum ein anderer Film beschreibt »La dolce vita« (in Form eines bewußt fragmentarisch angelegten Freskos) die Fiktionalisierung des realen Lebens in einer Gesellschaft, die (nach Guy Debord) »die Vorstellung der Wirklichkeit, den Schein dem Wesen vorzieht … denn heilig ist ihr nur die Illusion, profan aber die Wahrheit.« Während Filmschauspieler und Adelige, Jet-Setter und Parvenüs einen ewigen bunten Abend in tristen Farben feiern, bleibt den verstörten Intellektuellen nichts als die bedingungslose Kapitulation – entweder indem sie sich (und den Ihren) die Kugel geben oder indem sie als Zeremonienmeister des stumpfsinnigen Vergnügens agieren. Federico Fellinis bösartiger, staunender, angeekelter, mitleidender Blick auf die (nicht nur) neurömische Dekadenz wird in 2000 Jahren – falls es dann noch Filmprojektoren geben sollte – davon künden, wie es war, das Leben in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts: so süß, daß es schmerzt.

R Federico Fellini B Federico Fellini, Ennio Flaiano, Tullio Pinelli, Brunello Rondi K Otello Martelli M Nino Rota A Piero Gherardi S Leo Cattozzo P Angelo Rizzoli, Giuseppe Amato D Marcello Mastroianni, Anita Ekberg, Anouk Aimée, Yvonne Furneaux, Alain Cuny | I & F | 174 min | 1:2,35 | sw | 3. Februar 1960