11.6.65

Repulsion (Roman Polanski, 1965)

Ekel

»Have you fallen asleep?« Die Welt aus der Sicht von Carole Ledoux. Roman Polanskis erste Arbeit im Westen: ein intimes Horrorszenario, die Fallstudie einer paranoiden Schizophrenie, eine Zimmerreise in den Wahnsinn. Zunächst wirkt die engelhafte junge Belgierin (somnambul: Catherine Deneuve), die zusammen mit ihrer Schwester in London lebt und als Maniküre in einem Schönheitssalon arbeitet, auf ihre Umgebung lediglich verträumt und abwesend, später zeigt sie sich ernsthaft verstört, am Ende ist sie gänzlich umnachtet; erscheint Caroles instinktiver Widerwille gegen (männliche) Zudringlichkeit anfangs noch nachvollziehbar, erweist sich ihre zunehmende Kommunikationsverweigerung bald schon als Symptom einer ernsthaften geistigen Erkrankung. Während der erste Teil des Films eher der klinischen Untersuchung einer Entfremdung gleicht, verschiebt Polanski in der zweiten Hälfte die Perspektive: Caroles subjektive Wahrnehmung – vorbeihuschende Silhouetten im Spiegel, Räume, die sich unvermittelt weiten, jäh aufspringende Risse im Putz, Hände, die aus Wänden greifen, Überfälle eines imaginären Vergewaltigers – beherrscht die Narration. Dem fortschreitenden inneren Zerfall der Protagonistin entspricht die äußere Verwahrlosung der Wohnung, in der sie sich (während die Schwester Urlaub in Italien macht) vollständig isoliert; zwischen einem verwesenden Kaninchen und keimenden Kartoffeln findet die panische Abwehr von (männlicher) Berührung schließlich ihren radikalen Ausdruck.

R Roman Polanski B Roman Polanski, Gérard Brach K Gilbert Taylor M Chico Hamilton A Seamus Flannery S Alastair McIntyre P Gene Gutowski D Catherine Deneuve, John Fraser, Yvonne Furneaux, Ian Hendry, Patrick Wymark | UK | 105 min | 1:1,66 | sw | 11. Juni 1965

# 1018 | 18. August 2016

4.6.65

Neues vom Hexer (Alfred Vohrer, 1965)

Mit einiger Chuzpe hängt sich die Fortsetzung ans Original. Die Figur des ›Hexers‹ und ihre Abrechnungsmission tun bei Lichte besehen überhaupt nichts zur Sache. Der Rächer wird lediglich von einem Meuchelmörder ins Spiel gebracht, um die Ermittler auf den Holzweg zu locken. Der solchermaßen Mißbrauchte sieht sich genötigt, höchstselbst (das heißt: mannigfaltig maskiert) in die polizeiliche Untersuchung einzugreifen, um seine Person von falschem Verdacht reinzuwaschen. Die eigentliche Fabel kreist, wie fast immer bei Edgar Wallace, um ein stattliches Erbe, in dessen freudiger Erwartung peu à peu eine desolate Familie ausgelöscht wird: Der Dämon des Geldes frißt seine gierigen Kinder … Nach dem recht trockenen Vorgänger nutzt Alfred Vohrer die quatschige Intrige diesmal, um Inhalts- und Formschablonen spöttisch als solche kenntlich zu machen: So darf beispielsweise Klaus Kinski (als sinistrer Butler der hochwohlgeborenen Bagage) gleich zu Beginn des Films in einem Sarg probeschlafen und später wiederholt für Unbehagen sorgen, indem er die ätherische Harfe zupft. Die Auflösung des Falles wird schließlich an gebührend langen Haaren aus der dunklen Vergangenheit der verdammten Sippschaft herbeigezogen.

R Alfred Vohrer B Herbert Reinecker V Edgar Wallace K Karl Löb M Peter Thomas A Walter Kutz, Wilhelm Vorweg S Jutta Hering P Horst Wendlandt D Heinz Drache, Barbara Rütting, Brigitte Horney, Klaus Kinski, Siegfried Schürenberg | BRD | 95 min | 1:1,66 | sw | 4. Juni 1965

3.6.65

Ten Little Indians (George Pollock, 1965)

Geheimnis im blauen Schloß

Delinquenten, die sich dem Lauf Gerechtigkeit entziehen konnten, doch noch einer angemessenen Strafe zuzuführen, ist das Programm eines (bis kurz vor Schluß des Spiels unerkannt bleibenden) Richters, der zehn sündhafte Personen auf ein abgelegenes Alpenschloß lädt, um sie dortselbst definitiv abzuurteilen … Nach seinen vier Miss-Marple-Krimis legt George Pollock mit »Ten Little Indians« eine weitere Agatha-Christie-Adaption vor, die ohne zentrale Ermittlerfigur auskommen muß, aber einen ansehnlichen Cast zur tödlichen house party versammelt: Daliah Lavy als hochnäsiger Filmstar, Wilfrid Hyde-White als distinguierter Jurist, Dennis Price als versoffener Arzt, Stanley Holloway als nicht allzu heller Privatdetektiv, Mario Adorf und Marianne Hoppe als fragwürdige Hausbesorger, Shirley Eaton (im Jahr zuvor von Gert Fröbe vergoldet) als taff tuende Sekretärin. Mit fortschreitender Dezimierung steigt unter der schwindenden Zahl der Lebenden der Pegel von Angst und Argwohn: Jeder verdächtigt jeden. Das Ende dieser leidlich makabren Whodunit-Phantasie über Schuld und Sühne folgt bedauerlicherweise nicht Christies konsequentem Roman sondern ihrer weichgespülten Bühnenfassung.

R George Pollock B Peter Yeldham, Harry Alan Towers V Agatha Christie K Ernest Steward M Malcolm Lockyer A Frank White S Peter Boita P Harry Alan Towers D Hugh O’Brian, Shirley Eaton, Stanley Holloway, Daliah Lavy, Wilfrid Hyde-White | UK | 91 min | 1:1,85 | sw | 3. Juni 1965

The Knack … and How to Get It (Richard Lester, 1965)

Der gewisse Kniff

»I never thought I'd see so much purity of pattern. Absolute rightness.« Richard Lesters spielerische Komödie über Leben und Liebe in den Zeiten des Abschieds von gestern: Ein geiler Klemmi (Michael Crawford), ein aufgeblasener Don Juan, ein Typ, der alles weiß (!) streicht, und ein aufgeschlossenes Mädchen aus der Provinz (Rita Tushingham) treffen, streiten, mißtrauen, mögen, suchen, finden sich im beschwingten London der ewig-jungen Mittsechziger. Auch wenn das Quartett mehr redet als tut, sieht der Chor der Väter und Mütter die alten Felle davonschwimmen und verteufelt das Neuhergebrachte als Attentat auf gute Sitten und Anstand. »Rape!« – »Not today. Thank you.« David Watkins neugierig-empfindsame Kamera, John Barrys heiter-perlender Score, Antony Gibbs’ sprunghaft-assoziativer Schnitt machen »The Knack … and How to Get It« zum Augen- und Ohrenzeugen ohne Urteil, zur Pop-Offenbarung ohne Botschaft, zum missing link zwischen nouvelle vague und video clips. »I must please you, and I think I can.«

R Richard Lester B Charles Wood V Ann Jellicoe K David Watkin M John Barry A Assheton Gorton S Anthony Gibbs P Oscar Lewenstein D Rita Tushingham, Michael Crawford, Ray Brooks, Donal Donnelly, William Dexter | UK | 85 min | 1:1,66 | sw | 3. Juni 1965