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4.4.58

Montparnasse 19 (Jacques Becker, 1958)

Montparnasse 19

Porträt des Künstlers als armer Schlucker: »Montparnasse 19« verdichtet und überhöht (man könnte auch sagen: überzeichnet und verdunkelt) Ereignisse aus den letzten Jahren des Malers Amedeo Modigliani zum bitteren Schlußkapitel eines Lebens zwischen Inspiration und Mißerfolg, zwischen Genie und Untergang. Jacques Becker (der das Projekt vom verstorbenen Max Ophüls übernahm) verzichtet fast völlig auf stimmungsvolle Genreszenen aus der Pariser Bohème, konzentriert sich ganz auf den Abwärtsweg seines Protagonisten im Jahr 1919. Modigliani erscheint, trotz seiner persönlichen Tragödie, nicht als Sympathieträger: Er ist ein Ausbund an Selbstmitleid und Getriebensein, an Reizbarkeit und Besessenheit, er säuft wie ein Loch, er schlägt Frauen, er stößt alle Welt vor den Kopf. Gérard Philipe (der wenig später im selben jungen Alter wie Modigliani sterben wird) spielt den schwierigen Künstler hin- und hergerissen zwischen Kälte und Glut, spielt mal wie längst schon tot, mal wie geladen mit unzerstörbarer Energie. Im seinem Spannungsfeld: Lilli Palmer als spöttisch-distanzierte Journalistin; Anouk Aimée, als innig-ergebene Kunststudentin – zwei Liebende, jede auf ihre eigene hilflose Art. Im schwarzen Herz der Erzählung spukt Monsieur Morel, marchand de tableaux – Lino Ventura hat nur wenige Auftritte: ganz am Anfang, kurz im Hintergrund einer tristen Kaffeehaus-Szene, dann wieder, man hatte ihn schon vergessen, anläßlich einer erfolglosen Ausstellung des Malers, schließlich am Ende: Morel, Kenner und Geier, bringt mit dem Tod die Bestätigung des Talents, er kommt als nachträglicher Entdecker und als Teufel, der die Kunst zur profitablen Ware macht … Ein grausamer Film, melodramatisch und spröde, ungerührt und intensiv, ein Film ohne Rettung, ohne Gnade.

R Jacques Becker B Jacques Becker, Max Ophüls V Michel-Georges Michel K Christian Matras M Pauls Misraki A Jean d’Eaubonne S Marguerite Renoir P Henry Deutschmeister D Gérard Philipe, Anouk Aimée, Lilli Palmer, Gérard Séty, Lino Ventura | F & I | 108 min | 1:1,66 | sw | 4. April 1958

# 812 | 8. Dezember 2013

24.2.57

Der gläserne Turm (Harald Braun, 1957)

»Merkwürdig, diese Mischung von Erfolg und Untergang.« Sie bilden ein explosives (oder eher implosives) Dreieck: der herrische Unternehmer Robert Fleming (O. E. Hasse), ein Mann, der hält, was er hat, seine hochsensible Gattin Katja (Lilli Palmer), eine Theaterschauspielerin, die dem Rampenlicht (nicht ganz freiwillig) den Rücken kehrte, der forsche Dramatiker John Lawrence (Peter van Eyck), der die labil-begnadete Aktrice aus dem komfortablen Ruhestand (≈ einem goldenen Käfig im obersten Stockwerk des höchsten Hauses von Berlin) zurück auf die Bühne (≈ in die Freiheit) locken will. Was wie ein fashionables Melodram beginnt, wandelt sich peu à peu zur dunklen Sittenbild mit abschließendem Gerichtsverfahren – zur Verhandlung bringen Regisseur Harald Braun und seine Autoren (darunter Wolfgang Koeppen, einer der bedeutendsten bundesdeutschen Schriftsteller der Nachkriegszeit) neben einem vermeintlichen Giftmordfall auch die Überholtheit gesellschaftlich zugeschriebener Geschlechterrollen, die Geistlosigkeit eines selbstbesoffenen Aufsteigertums, die (vage) Chance auf Emanzipation. Hauptschauplatz des Stückes um Macht und Schwäche, um Kunst und Konjunktur (aber auch um Liebe und Hoffnung) ist eine luxuriös ausstaffierte Dachetage, ein Exzeß aus Glas und Stuck, Marmor und Fell, Kunststoff und Velours, ein (von Walter Haag entworfener) faszinierender Alptraum des Gelsenkirchener Eklektizismus, wo die Spiegelung eines lodernden Kaminfeuers als eifersüchtig brennendes Herz erscheint. Wird die beschädigte Heldin imstande sein, dieses überspannt-menschenfeindliche Ambiente, halb Treibhaus, halb Kühlhalle, hinter sich zu lassen? »Wo soll sie hin: vorwärts oder zurück?« – die über allem schwebende, alles grundierende Frage findet schließlich eine recht mutlose Antwort: Katja Fleming nimmt einmal mehr den ihr zugewiesenen Platz ein.

R Harald Braun B Odo Krohmann, Wolfgang Koeppen, Harald Braun K Friedel Behn-Grund M Werner Eisbrenner A Walter Haag S Hilwa von Boro P Hans Abich D Lilli Palmer, O. E. Hasse, Peter van Eyck, Hannes Messemer, Brigitte Horney | BRD | 104 min | 1:1,37 | sw | 24. Oktober 1957

# 1090 | 5. Dezember 2017

27.9.56

Anastasia, die letzte Zarentochter (Falk Harnack, 1956)

In einer Nacht des Jahres 1920 springt eine Frau in den Berliner Landwehrkanal. Der Suizid mißlingt. Die Lebensmüde wird aus dem Wasser gefischt. Name und Herkunft der verhinderten Selbstmörderin, die keinerlei Fragen beantwortet, die jedermann nur aus verschreckten Augen anblickt, liegen im Dunkeln, bis sie anhand eines Illustriertenfotos erkannt wird: als einzige Überlebende der Erschießung der Zarenfamilie durch die Bolschewisten … Ob die Unbekannte aus dem Kanal tatsächlich Anastasia ist oder eine neurotische Hochstaplerin, die sich ihre Kenntnisse über das Leben am Petersburger Hof aus Zeitungsberichten zusammenstückelte, bleibt offen. So oder so erscheint die Titelheldin als Musterbild einer aus den Fugen geratenen Epoche, die Lebensläufe zerpflückt und Persönlichkeiten schreddert; die Identitätsfrage tritt im selben Maße in den Hintergrund, wie »Anastasia« zum Spielball von familiären und geschäftlichen Interessen, zum gefälligen Monstrum auf dem Jahrmarkt der Sensationen (gemacht) wird. Leider handeln Falk Harnack (Regie) und Herbert Reinecker (Drehbuch) den symbolischen Fall in genau jenem oberflächlichen Boulevardgeist ab, dem er einst entsprang. Zwar hält Lili Palmer die schillernde Hauptfigur – die mit Ludwig II. sagen könnte: »Ein ewiges Rätsel will ich bleiben mir und anderen.« – zwischen Apathie und Erregung, zwischen Zugehörigkeitsbedürfnis und Weltekel delikat in der Schwebe, doch fast alle anderen Beteiligten des (hochbesetzten) Stückes werden auf ihre dramaturgischen Funktionen reduziert. Lediglich zwei Legenden des deutschen Theaters gelingt es, ihre Kurzauftritte mit (umnachtetem) Leben zu erfüllen: Tilla Durieux als greise Zarenmutter, die sich in die splendid isolation ihres hermetisch abgeriegelten Geistes zurückgezogen hat, und Lucie Höflich als Insassin einer Nervenklinik, die immer noch die Heimkehr ihres toten Sohnes erwartet – zwei weitere Zeitbeschädigte, zerrieben zwischen Wahn und Wirklichkeit.

R Falk Harnack B Herbert Reinecker K Friedel Behn-Grund M Herbert Trantow A Fritz Maurischat S Kurt Zeunert P Artur Brauner D Lilli Palmer, Ivan Desny, Susanne von Almassy, Tilla Durieux, Lucie Höflich | BRD | 107 min | 1:1,37 | sw | 27. September 1956

5.1.56

Teufel in Seide (Rolf Hansen, 1956)

»Vorsicht, die Flut kommt!« Ein scheinbar vollkommen künstliches Melodram, das überdimensionale Gefühle in synthetischen (von Robert Herlth gebauten) Studioräumen ausstellt. Lilli Palmer spielt die Titelrolle, den »Teufel in Seide«, eine Frau von Welt (und Geld), die mit absoluter Ausschließlichkeit liebt, die dem begehrten Gegenüber im totalen Geben noch das Letzte nimmt, die der zerstörerischen Erfüllung ihrer Hingabe alles unterordnet, auch das eigene Leben. Curd Jürgens spielt das Objekt und Opfer dieser Liebe, einen redlichen (und, wie es sich gehört, brotlosen) Künstler, einen naiven Koloß, der unter dem massiven Beschuß von fataler Leidenschaft ins Wanken gerät. In präsenten Nebenrollen, dennoch fast zermahlen von der tödlichen Mechanik der Gefühle: Winnie Markus als Eule, die zur Nachtigall wird; Hilde Körber als Dienstmädchen, das die seelischen Klüfte der Herrschaft kennt; Adelheid Seeck als allwissende Schwester; Hans Nielsen als emphatischer Anwalt … Rolf Hansen verzahnt wirkungsvoll Schnulze und Krimi, Gewissensdrama und Gerichtsfilm, formt (basierend auf einem Roman von Gina Kaus) stilbewußt eine (beinahe) katastrophische Kolportage um Schuld und Gewissen, Berechnung und Mitleid, eine tragische Farce der (selbst-)mörderischen emotionalen Verstrickung. Nach wundersamer Entlastung in letzter Minute schließt der Film mit einer so frommen wie fragwürdigen Überzeugung: »Wenn man den Abgrund kennt, geht man sicherer.« Hier spricht wohl ein Volk, das eben noch klaren Sinnes in die Tiefe des Verderbens sprang, tröstend zu sich selbst.

R Rolf Hansen B Jochen Huth V Gina Kaus K Franz Weihmayr M Mark Lothar A Robert Herlth S Anna Höllering P Heinz Abel D Lilli Palmer, Curd Jürgens, Winnie Markus, Adelheid Seeck, Hilde Körber | BRD | 104 min | 1:1,66 | sw | 5. Januar 1956

28.9.46

Cloak and Dagger (Fritz Lang, 1946)

Im Geheimdienst

»There was a time when I thought I wanted to be some kind of secret agent. I gave it up when I was eight.« Dennoch läßt sich der amerikanische Kernphysiker Alvah Jesper, von Gary Cooper mit kraftvollem Understatement gespielt, kurz vor Ende des Zweiten Weltkriegs überzeugen, in den Dienst des Office of Strategic Services einzutreten, um den Stand der großdeutschen Atom(bomben)forschung zu eruieren. Jespers Weg führt durch die (spionisch unterwanderte) Schweiz ins faschistische Italien, wo er nicht nur einen von braunen Schurken zur Mitarbeit gepreßten Wissenschaftler aufspürt, sondern auch der spröden Widerstandkämpferin Gina (Lilli Palmer) näherkommt; die (vom Produzenten geschnittene) Schlußetappe der Expedition hätte ihn das Herz der Finsternis, das unter Zurücklassung von zigtausend toten Zwangsarbeitern geräumte (mutmaßlich nach Südamerika verlegte) deutsche Nuklearlabor, entdecken lassen sollen ... Die Figur des geheimdienstlichen Laien erinnert an die unheldischen Helden der frühen Romane von Eric Ambler, Journalisten, Ingenieure, Geschäftsleute, die sich nolens volens in unübersichtlichen (und lebensgefährlicher) Umständen bewähren müssen. »The Dark Frontier«, »Uncommon Danger«, »Journey Into Fear« wären denn auch passende Titel für Fritz Langs (vierten und letzten) Anti-Nazi-Thriller, der seinen Protagonisten zumeist beobachtend, zuhörend, reagierend, in Momenten der Gefahr aber entschlossen handelnd zeigt: Mit der betont nüchtern gestalteten Szene des lautlosen Totmachens eines Verfolgers nimmt Lang gar die (ungleich kokettere) Darstellung eines ähnlichen Vorgangs in Alfred Hitchcocks vergleichbarem Amateuragentenstück »Torn Curtain« vorweg.

R Fritz Lang B Ring Lardner Jr., Albert Maltz, Boris Ingster, John Larkin V Corey Ford, Alastair MacBain K Sol Polito M Max Steiner A Max Parker S Christian Nyby P Milton Sperling D Gary Cooper, Lilli Palmer, Robert Alda, Vladimir Sokoloff, Marc Lawrence | USA | 106 min | 1:1,37 | sw | 28. September 1946

# 1112 | 18. Mai 2018