18.12.74

In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod (Alexander Kluge & Edgar Reitz, 1974)

»Ich habe eine gewisse Übersicht. Die Lage ist hochkompliziert.« Eine mittlere Großstadt in der Bundesrepublik Deutschland. Der Ort heißt Frankfurt und hat gesellschaftlichen Modellcharakter. Die Verhältnisse sind mit einer kohärenten Erzählung nicht zu fassen. Die Zusammenhänge liegen in den Widersprüchen. Alexander Kluge und Edgar Reitz erzählen die Geschichte einer Beischlafdiebin, die um die Defizite männlicher Versprechungen weiß, sowie die Geschichte einer östlichen Geheimagentin, die – anstatt sogenannte Staatsgeheimnisse auszuspähen (welche man genauso gut im Wirtschaftsteil der FAZ nachlesen könne) – mit ihren Mikrofonen und Kameras die konkrete Wirklichkeit untersucht; sie ist der festen Überzeugung, daß dort die wahren Geheimnisse liegen. Auch Kluge und Reitz studieren die konkrete Wirklichkeit: Karnevalssitzungen und Häuserräumungen, Tagungen von Astronomen und jungen Unternehmern, Polizeieinsätze und Parteiversammlungen. Es ist »die Sprechweise öffentlicher Ereignisse«, die im Mittelpunkt ihres Interesses steht: das blasierte Geschwätz eines Bundestagsabgeordneten, die technokratischen Rechtfertigungen eines Polizeipräsidenten vor seinen Genossen, die Streikdiskussion von Opernangestellten, die papierdeutschen Erklärungen eines Abbruchunternehmers. »Gefühle zählen nicht, Fakten zählen«, sagt ein unzufriedener Führungsoffizier zu der Agentin, die sich in Lyrismen ergehe, anstatt Handfestes zu liefern. Kluge und Reitz versuchen, die Gefühlstiefe des Faktischen auszuloten. »Gibt es ein Leben vor dem Tod?« fragt ein Graffiti in einem besetzten Abrißhaus im Frankfurter Westend. Der Film kennt keine Antwort, bringt aber eine Überlegung von Karl Marx ins Spiel: »Man muß den versteinerten Dingen ihre eigene Melodie vorspielen, um sie zum Tanzen zu bringen.«

R Alexander Kluge, Edgar Reitz B Alexander Kluge, Edgar Reitz K Edgar Reitz, Alfred Hürmer, Günter Hörmann M diverse S Beate Mainka-Jellinghaus P Alexander Kluge, Edgar Reitz D Dagmar Bödderich, Jutta Winkelmann, Alfred Edel, Kurt Jürgens, André Mozart | BRD | 90 min | 1:1,37 | f | 18. Dezember 1974

# 899 | 25. Juli 2014

2 Kommentare:

  1. Ich war ja schon immer ein Fan von Alfred Edel, und hier finde ich ihn besonders grandios.

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    1. Irgend jemand sollte mal einen Kompilationsfilm machen, der nur aus aneinander geschnittenen Edel-Szenen besteht.

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