19.10.73

The Way We Were (Sydney Pollack, 1973)

So wie wir waren | Cherrie Bitter

»I don’t see how you can do it.« – »And I don’t see how you can’t.« Die großen, die unvergeßlichen Liebesgeschichten sind in der Regel nicht jene, die gut ausgehen, nicht die Happily-ever-after-Romanzen aus dem Märchenbuch, es sind die bittersüß-aussichtlosen Erzählungen von feindlichen Umständen, von opfervollem Verzicht, von unauflöslichem Gegensatz: Tristan und Isolde, Rick und Ilsa, Hubbell Gardiner und Katie Morosky. Der immer lächelnde Neuengland-Beau (Robert Redford), dem alles – das Schreiben, die Liebe, das Leben – viel zu leicht fällt, und die jüdische Jungkommunistin (Barbra Streisand), die alles – die Politik, die Arbeit, das Leben – viel zu ernst nimmt, lernen sich Ende der 1930er Jahre während des Studiums kennen, treffen sich kurz vor Schluß des Zweiten Weltkriegs wieder, verlieben sich, trennen sich, finden aufs Neue zusammen, gehen gemeinsam von New York nach Hollywood, wo er seinen ersten Roman (»A Country Made of Ice Cream«) für die Leinwand adaptieren soll, werden von der Kommunistenhatz der beginnenden McCarthy-Ära endgültig entzweit – wo er, talentiert, lässig und flexibel, Menschen für wichtiger als ihre Prinzipien hält, ist sie, konsequent, engagiert und streitbar, davon überzeugt, daß Menschen ihre Prinzipien sind. Sydney Pollack inszeniert Arthur Laurents’ intelligentes Melodram mit unaufdringlichem nostalgischen Flair und leisen, aber unüberhörbaren politischen Untertönen; das kongeniale Spiel der Hauptdarsteller wahrt die Integrität der so unterschiedlichen Protagonisten, beschreibt einen schmerzlichen Dissens ohne Parteinahme, ohne Schuldzuweisung. PS: »Memories / Light the corners of my mind / Misty watercolor memories / Of the way we were.«

R Sydney Pollack B Arthur Laurents K Harry Stradling Jr. M Marvin Hamlish A Stephen B. Grimes S Margaret Booth P Ray Stark D Barbra Streisand, Robert Redford, Bradford Dillman, Lois Chiles, Patrick O’Neal, Viveca Lindfors | USA | 118 min | 1:2,35 | f | 19. Oktober 1973

# 1148 | 2. Februar 2019

18.10.73

Les aventures de Rabbi Jacob (Gérard Oury, 1973)

Die Abenteuer des Rabbi Jacob

»Une grimace et vous êtes mort!« Polternd-subtiles Kabinettstück des hysterischen Realismus: Louis de Funès als erzrassistisches Pariser Unternehmer-Arschloch, das (nicht zuletzt wegen seiner stupenden Borniertheit) in namenlose Schwierigkeiten gerät und, ungewollt begleitet von einem arabischen Volkstribun, in Maske und Kostüm eines New Yorker Rabbiners vor den Nachstellungen heimischer Polizisten sowie fremdländischer Geheimdienstler flüchtet. »Die Revolution«, sagte Che Guevara, »ist wie ein Fahrrad – wenn sie stehenbleibt, fällt sie um.« Gérard Oury überträgt dieses Diktum auf die pädagogisch-boulevardeske Filmkomödie: Ohne ihm eine Atempause zu gönnen, schickt er seinen fratzenschneidenden Protagonisten – durch eine blubbernde Kaugummifabrik und über das kurvenreiche Gepäckband des Flughafens Orly, durch eine rappelvolle Synagoge im Marais und über den nationalstolzen Hof des Invalidendoms – auf den Weg der Menschwerdung … Ein abenteuerliches Vaudeville über den schönen Traum von Religionsfrieden, Völkerverständigung und Zivilisierung, über eine bessere Welt, in der es keine Schande wäre, jüdisch oder nicht jüdisch zu sein: »Ça ne fait rien, on vous garde quand même!«

R Gérard Oury B Gérard Oury, Danièle Thompson, Josy Eisenberg K Henri Decaë M Vladimir Cosma A Théo Meurisse S Albert Jurgenson P Bertrand Javal D Louis de Funès, Claude Giraud, Marcel Dalio, Suzy Delair, Henri Guybet | F & I | 100 min | 1:1,66 | f | 18. Oktober 1973

16.10.73

Don’t Look Now (Nicolas Roeg, 1973)

Wenn die Gondeln Trauer tragen

»Nothing is what it seems.« Ein Kind ertrinkt beim Spielen. Der Tod der Tochter läßt die Eltern traumatisiert zurück. Im spätherbstlichen Venedig suchen Jack und Laura Baxter (Donald Sutherland und Julie Christie) nach einer Möglichkeit, ihren Schmerz zu bewältigen – doch aus den Kanälen der Lagunenstadt steigt die Erinnerung wie verhängnisvoller Nebel, durch den das gestorbene Mädchen zu spuken scheint … Nicolas Roeg löst die Geschichte des im Unglück verbundenen Ehepaares konsequent aus der chronologischen Ordnung: Die Zeit erweist sich als Irrgarten, gleich der Topographie des morbiden Schauplatzes, an dem sich Diesseits und Jenseits überschneiden. Wiederkehrende Motive, allesamt symbolisch aufgeladen – zerspringendes Glas, Spiegelungen im Wasser, Stürze und Ohnmachten, leuchtendes Rot –, schaffen Bezüge zwischen den Ebenen. In Venedig, wo Jack im Auftrag des Bischofs eine mittelalterliche Kirche restauriert, macht Laura die Bekanntschaft zweier sonderbarer Schwestern, deren eine – blind – mit dem zweiten Gesicht begabt (oder: bestraft) ist. Während Laura, fasziniert und unbefangen, den Kontakt zur anderen Seite sucht, reagiert Jack feindselig – vielleicht, weil er sich als Vernunftmensch die eigene Anlage zur außersinnlichen Wahrnehmung nicht eingestehen will … Ein parapsychologisches Melodram, ein metaphysischer Thriller über Ahnungen und Bedrohungen, über Warnungen und Täuschungen, ein experimenteller Genrefilm, der wie in Trance von Augenschein und Skepsis erzählt: »Seeing is believing.«

R Nicolas Roeg B Allen Scott, Chris Bryant V Daphne du Maurier K Anthony Richmond M Pino Donaggio A Giovanni Soccol S Graeme Clifford P Peter Katz D Donald Sutherland, Julie Christie, Hilary Mason, Clelia Matania, Massimo Serrato | UK & I | 110 min | 1:1,85 | f | 16. Oktober 1973

# 913 | 9. Oktober 2014

4.10.73

Gott schützt die Liebenden (Alfred Vohrer, 1973)

Wer kennt schon den anderen? Wer kennt schon sich selbst? Paul Holland (Harald Leipnitz) liebt Sybille Loredo (Gila von Weitershausen), macht ihr einen Heiratsantrag. Als Paul von einer Geschäftsreise nach Hause zurückkehrt, ist Sybille verschwunden, und als er sie wiederfindet, ist sie nicht mehr Sybille … Ein Drama des Mißtrauens und der Täuschung, ein Todesspiel der verwirrten Gefühle und der verwischten Identitäten: Sybille heißt eigentlich Viktoria Brunswick, war Undercover-Ermittlerin, angesetzt auf eine berüchtigte Familie von Drogenhändlern. Mamma Trenti residiert in einer nordspanischen Bergfestung, ihre drei Söhne erledigen das Tagesgeschäft. Viktoria verliebte sich in Emilio, den Jüngsten (Nino Castelnuovo), der auch der Liebling seiner Mutter ist und der Verlobte von Laura, die sich wiederum, von Emilio verlassen, in Anna verwandelt, äußerlich eine Hure mit Herz, innerlich ein Engel der Rache, bereit kaputtzumachen, was sie kaputtmachte … Nach und nach werden alle Beteiligten vom heißlaufenden Karussell der Doppelungen ins Aus geschleudert, während Alfred Vohrer, alle Handlungsfäden souverän in der Hand haltend, die ungemütlichen Abseiten von Berlin, Wien und Barcelona erkundet. Mit Glaubensfragen oder Religiosität hat der Film, anders als der Titel nahelegt, kaum etwas zu tun. Zwar versteckt sich Sybille/Viktoria auf ihrer Flucht vor der Vergangenheit vorübergehend in einem Nonnenkloster, aber Gott, macht Simmel glauben, schützt in dieser unseren Welt niemanden mehr. Er scheint nicht nur tot zu sein, mein könnte fast meinen, es habe ihn nie gegeben.

R Alfred Vohrer B Manfred Purzer V Johannes Mario Simmel K Charly Steinberger M Hans-Martin Majewski S Eva Kohlschein P Luggi Waldleitner D Harald Leipnitz, Gila von Weitershausen, Andrea Jonasson, Nino Castelnuovo, Walter Kohout | BRD & I & E | 105 min | 1:1,66 | f | 4. Oktober 1973

# 856 | 16. April 2014