28.11.52

Die Spur führt nach Berlin (Franz Cap, 1952)

Hoch über der Stadt, auf der Aussichtsplattform des Funkturms, wird ein Mann erschossen; eine junge Frau, die mit dem Mordopfer eine Verabredung hatte, flüchtet panisch vom Tatort. Kurz darauf kommt ein amerikanischer Anwalt nach Berlin; er ist auf der Suche nach dem Erben eines großen Vermögens, findet aber nur dessen Tochter – es ist die Dame vom Funkturm … Der Krimi, der sich im und unter dem Schutt der zerbombten Reichshauptstadt abspielt, handelt von Menschenraub und Geldfälschung, von vorgetäuschten Gefühlen und kalter Berechnung. Ein Hauch von »The Third Man« liegt in der staubigen Trümmerluft; Produzent Artur Brauner (der auch die zwischen den Sektoren driftende Story erfand) und Regisseur Franz Cap geht es indes nicht so sehr um expressive Ruinenmalerei oder Verhandlung von Fragen der Nachkriegsmoral, sie erzählen in erster Linie einen unprätentiösen Reißer (in den gleichwohl die Vergangenheit ihre dunklen Schatten wirft), wobei die dokumentarisch-sachliche Kamera des Ex-Kriegsberichters Helmuth Ashley die grandiose Schäbigkeit der zerstörten Metropole – von der Verfolgungsjagd durch den baumlosen Tiergarten über die Ansichten der (fast) menschenloser Trümmerzonen bis zum Showdown im ausgebrannten Reichstag – sehr einprägsam ins Bild setzt. Zwar agieren der steife Held (Gordon Howard) und die spröde Protagonistin (Irina Garden) bisweilen mit der Ausdruckskraft von Licht­doubles, aber Barbara Rütting überzeugt als kühl-sinnliche russische Dolmetscherin und Kurt Meisel setzt einen schillernden Glanzpunkt als einnehmend niederträchtiger Schurke (dem Wolfgang Neuss als augenkneifender Scherge zur Hand gehen darf).

R Franz Cap (= František Čáp) B Hans Rameau K Helmuth Ashley M Herbert Trantow A Emil Hasler, Walter Kutz S Johanna Meisel P Artur Brauner D Irina Garden, Gordon Howard, Kurt Meisel, Hans Nielsen, Barbara Rütting | BRD | 89 min | 1:1,37 | sw | 28. November 1952

14.11.52

Les belles de nuit (René Clair, 1952)

Die Schönen der Nacht

»Au bord de l’ombre, / au fond des songes, / c’est mon souvenir que tu suis: / au bout du monde, / au creux des nuits.« Claude, ein sensibler junger Komponist (Gérard Philipe) – frustriert ob seiner beständigen Erfolglosigkeit und entnervt vom allgegenwärtigen Lärm des modernen Lebens (Motoren, Hupen, Preßlufthämmer, Flugzeuge, Kinder) –, träumt sich in die (vermeintliche) Hochstimmung und den (falschen) Frieden der (sogenannten) guten alten Zeit hinein. Da aber jede »gute alte Zeit« ihre eigene »gute alte Zeit« hat, fällt er, von Morpheus umarmt, immer tiefer in den Abgrund der Epochen – vom tristen Jetzt der Nachkriegsjahre in die opulente Belle Epoque in die koloniale Euphorie der Julimonarchie in den Befreiungsfuror der französischen Revolution in die chevalereske Ära der Musketiere und im Strudel der Geschichte weiter, weiter, bis hinab in die rohe Steinzeit… René Clair, der in der 1920er Jahren mit den Surrealisten gefrühstückt hat, extrapoliert aus der verdrießlichen Gegenwart seines Protagonisten ein hochmusikalisches, beschwingt zwischen den Äonen tanzendes Nachtstück von künstlerischem Erfolg und emotionaler Verzückung (verkörpert unter anderem von Gina Lollobrigida und Martine Carol), dessen hoffnungsfrohe Operettenhaftigkeit freilich schon bald in bedrohliche Alptraumvisionen (von schwirrenden Krummsäbeln, blanken Fallbeilen und schweren Keulen) umschlägt – denn merke: Wahres Glück ist nicht im Schlaf sondern nur, wachen Geistes und sehenden Auges, im Hier und Heute zu haben (in diesem (schönen) Fall mit der Tochter des scheppernden Automechanikers).

R René Clair B René Clair, Pierre Barillet, Jean-Pierre Grédy K Armand Thirard M Georges Van Parys A Léon Barsacq S Louisette Hautecœur P René Clair, Angelo Rizzoli D Gérard Philipe, Martine Carol, Gina Lollobrigida, Magali Vendeuil, Raymond Bussières | F & I | 87 min | 1:1,37 | sw | 14. November 1952

11.11.52

Ferien vom Ich (Hans Deppe, 1952)

»Bleiben Sie so!« – »Ja, wie denn?« Ein amerikanischer Millionär (Rudolf Prack) reist in Geschäften durch Deutschland, klappt unterwegs vor Erschöpfung zusammen. Der beigezogene Arzt (Willy Fritsch) rät zu einer Radikalkur: alles vergessen, komplett ausspannen, Ferien vom Ich machen. Der Millionär ist begeistert von der Idee des philanthropischen Mediziners, wittert dabei auch ein gutes Geschäft. Ein idyllischer Gutshof wird (günstig) gekauft, als landwirtschaftiche Kurklinik umgenutzt; Anzeigen werden geschaltet, die Mühseligen und Beladenen des anlaufenden Wirtschaftwunders kommen in Scharen. Ein hypernervöser Notar, ein unzufriedener Angestellter, eine durchgedrehte Schauspielerin, ein untergebutterter Ehemann – sie alle wollen die strapaziöse Existenz hinter sich lassen, das belastende Ego austreiben wie einen bösen Geist. In der gediegenen Heilstätte erhalten die Patienten Einheitskleidung und neue Namen, verrichten sogenannte niedere Dienste, finden in Entäußerung und Anonymität zu sich selbst und zum (persönlichen oder partnerschaftlichen) Glück, wodurch sie hinfort den Herausforderungen des Lebens gewachsen sein werden. Hans Deppe inszeniert einen doppelbödigen Heimatfilm – einerseits friedvolle Landschaften, sentimentale Musik, boulevardeske Liebeshändel, andererseits Motivationsprogramm zur nutzbringenden Selbstoptimierung: Die Prosperität dressiert ihre Kinder.

R Hans Deppe B Peter Francke V Paul Keller K Willy Winterstein M Marc Roland A Ernst H. Albrecht S Walter Wischniewsky P Hans Deppe D Rudolf Prack, Marianne Hold, Willy Fritsch, Grethe Weiser, Paul Henckels | BRD | 107 min | 1:1,37 | f | 11. November 1952

# 863 | 18. Mai 2014