Was geschieht im Kopf eines Künstlers, während er künstlerisch tätig ist? Henri-Georges Clouzot will nichts anderes aufdecken als jenen »mécanisme secret qui guide le créateur dans son aventure périlleuse«. Einem Dichter beim Dichten zuzusehen oder einen Komponisten beim Komponieren, verriete nichts vom Mysterium der Kreativität, ließe nichts ahnen von den gefahrvollen Abenteuern der Imagination – aber einem Maler käme man, vielleicht, auf die Schliche, indem man seiner Hand folgte. »Le mystère Picasso« dokumentiert, wie Bilder von Pablo Picasso entstehen. Die Leinwand des Kinos wird zur Leinwand des Malers. Es sind nicht nur Meisterwerke, die geschaffen werden, der Künstler geht auch in die Irre, verwirft, setzt neu an, tastet sich wie ein Blinder durch das Labyrinth der Möglichkeiten. Clouzot, ausgewiesener Fachmann für Spannungsmechanik, hält sich auffallend zurück. Einmal fordert er den Maler heraus, indem er ihn (sichtbar inszeniert) gegen den Zählwerk der Kamera antreten läßt: »Attention, il te reste deux minutes pour la couleur!« Ansonsten beschränkt er sich auf sachliche Zeugenschaft und dezent ironisches Spiel mit den Möglichkeiten des Mediums. Wenn Picasso ausruft: »Donne-moi une grande toile!«, verbreitert Clouzot die Projektionsfläche auf CinemaScope-Format … Eine anregende Studie des schöpferischen Geistes, ohne Theoretisieren, ohne überflüssiges Beiwerk. Nachdem er gut 20 Bilder gemalt hat, steht der Künstler auf und sagt: »Eh bien, c’est fini.« Der Film ist zu Ende, »Le mystère Picasso« bewahrt sein Geheimnis.
R Henri-Georges Clouzot K Claude Renoir M Georges Auric S Henri Colpi P Henri-Georges Clouzot D Pablo Picasso | F | 78 min | 1:1,37/1:2,35 | sw/f | 5. Mai 1956
# 902 | 17. August 2014
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