1.12.65

Io la conoscevo bene (Antonio Pietrangeli, 1965)

Ich habe sie gut gekannt

Sie heißt Adriana. Sie ist noch keine zwanzig. Sie lebt in einem Städtchen am Meer. Sie arbeitet in einem Frisiersalon. In der Mittagspause liegt sie in der Sonne. Sie träumt vom Abenteuer des süßen Lebens. Sie macht sich keine Gedanken. Sie hat einen schönen Körper. Sie ist fröhlich. Sie zieht nach Rom. Sie findet Beschäftigung als Komparsin, als Mannequin, als Hosteß. Sie geht auf Partys. Sie kann sich ein modernes Apartment leisten, ein kleines Auto, schicke Kleider und extravagante Perücken. Sie hört immerzu Schlager, aus dem Kofferradio und vom Plattenspieler. Die Schlager sprechen vom Glück, das sie erhofft, ohne zu wissen, wie es sich anfühlen könnte. Ihr Dasein zerfällt in flüchtige Momente, in folgenlose Begegnungen: mit einem Agenten, mit einem Gigolo, mit einem Fotografen, mit einem Boxer, mit einem Produzenten, mit einem Garagisten, mit einem Nachbarsjungen. Sie ist ohne Scheu. Sie wird benutzt. Sie bleibt alleine in der (Männer-)Welt. Ein Schriftsteller sagt über sie, sie möge jeden, sie sei immer zufrieden, sie wolle nichts, sie beneide niemanden, sie sei nicht neugierig, man könne sie nicht überraschen, ihr geschähen schlimme Dinge, ohne Spuren zu hinterlassen, sie habe keine Moral und keinen Ehrgeiz, sie sei keine Hure, denn Geld sei ihr egal, für sie existierten weder Vergangenheit noch Zukunft, sie lebe auch nicht von Tag zu Tag, denn das würde sie überfordern, sie lebe von Minute zu Minute, allzeit auf der Suche nach neuen, vorübergehenden Zusammentreffen, egal mit wem … Stefania Sandrelli spielt Adriana, das austauschbare It-Girl der besinnungslosen Konsumgesellschaft, die beschwingte Märtyrerin des demokratischen Materialismus. Adriana gibt alles, was sie hat; sie bekommt dafür nichts, was ihr bleibt. Antonio Pietrangeli erzählt keine Biographie; er setzt seine Protagonistin in Szene(n): jeder Auftritt so schön, so scheußlich, so eskapistisch, so abgrundtief, so falsch, so wahr, so ausdrucksvoll, so komprimiert wie ein Schlager.

R Antonio Pietrangeli B Antonio Pietrangeli, Ettore Scola, Ruggero Maccari K Armando Nannuzzi M Piero Piccioni A Maurizio Chiari S Franco Fraticelli P Turi Vasile, Luggi Waldleitner D Stefania Sandrelli, Jean-Claude Brialy, Nino Manfredi, Joachim Fuchsberger, Ugo Tognazzi, Franco Nero, Mario Adorf | I & F & BRD | 115 min | 1:1,85 | sw | 1. Dezember 1965

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