»Eine der hoffnungsreichsten Lebenslagen ist die, wenn es uns so schlecht geht, daß es uns nicht mehr schlechter gehen kann.« Thomas Manns sprachlich hochgestelzter, die Grenzen der Selbstparodie immer wieder fröhlich überschreitender Schelmenroman über den glücksritterlichen Sohn eines fallierten Schaumweinfabrikanten aus dem Rheingau wird von Kurt Hoffmann zu einer charmant-harmlosen Komödie verarbeitet, die sich weniger für die gesellschaftlichen als für die amourösen (und von Drehbuchautor Robert Thoeren dazuerfundenen kriminalistischen) Abenteuer des attraktiven Sonntagskindes in Grand Hotels, Nachtlokalen und Luxuszügen der Belle Époque interessiert. Horst Buchholz (in der Titelrolle) gibt rein äußerlich weiß Gott keinen Thomas-Mann-Helden ab – andererseits ist es gut vorstellbar, daß der durchkultivierte hanseatische Patrizier genau für so einen bildungsfernen, wohlgeformten Jungen glühend geschwärmt hätte … Zudem sorgt eine stattliche Zahl imposanter Chargen für gehobenes Amüsement: Paul Henckels (Pate Schimmelpreester) und Paul Dahlke (Professor Kuckuck), Liselotte Pulver (Zaza) und Ingrid Andree (Zouzou) sowie Walter Rilla als Lord Kilmarnock (das krypto-schwule Wunsch-Alter-Ego des Dichters), der den hübschen Felix nur zu gerne in seine Dienste nehmen würde.
R Kurt Hoffmann B Robert T. Thoeren, Erika Mann V Thomas Mann K Friedl Behn-Grund M Hans-Martin Majewski A Robert Herlth S Caspar van der Berg P Hans Abich D Horst Buchholz, Liselotte Pulver, Ingrid Andree, Susi Nicoletti, Paul Dahlke | BRD | 107 min | 1:1,37 | sw | 24. April 1957
24.4.57
20.4.57
Kanał (Andrzej Wajda, 1957)
Der Kanal
»Kanał« beginnt mit dem Blick auf die Ruinen der zerstörten polnischen Hauptstadt, Ende September 1944, unmittelbar vor dem Zusammenbruch des Warschauer Aufstandes. Ein Trupp von müden Kriegern zieht am Auge der Kamera vorbei. Die Protagonisten werden in einem knappen dramatis personae vorgestellt, das mit den Worten schließt: »Dies sind die Helden einer Tragödie. Schaut sie euch gut an. Es sind die letzten Stunden ihres Lebens.« Was folgt, ist die Chronik der im Prolog angekündigten Tode. Der erste Teil des Films – high-key und dokumentarisch – spielt oben, unter freiem Himmel, wo deutsche Bomben und Artillerie die Trümmer tanzen lassen; der zweite Teil – low-key und apokalyptisch – spielt unten, im stickigen, stinkenden Labyrinth der Kloaken von Warschau. Hier in der Tiefe (wo außer irdische Klänge durch die Kanäle wehen, wo Licht nicht Erlösung sondern Sterben bedeutet) zitiert man Dante, küßt man zum letzten Mal ein Mädchen, verrät man die Kameraden, ertrinkt man in der Scheiße, wird man wahnsinnig und bläst die Okarina – oder man kämpft weiter, auch wenn man längst verloren hat. Andrzej Wajda und seine Mitstreiter (Assistenz: Kutz und Morgenstern / Kamera: Lipman und Wójcik) setzen dem so aussichtslosen wie unabdingbaren Widerstand ein wuchtig-elendes Denkmal: »Noch ist Polen nicht verloren.« PS: Und auf dem anderen Ufer der Weichsel – einmal sieht man (durch ein eisernes Gitter) hinüber – stehen sowjetische Truppen. Schauen zu. Warten ab.
R Andrzej Wajda B Jerzy Stefan Stawiński V Jerzy Stefan Stawiński K Jerzy Lipman, Jerzy Wójcik M Jan Krenz A Roman Mann S Halina Nawrocka P Stanisław Adler D Tadeusz Janczar, Teresa Iżewska, Wieńczysław Gliński, Tadeusz Gwiazdowski, Władysław Sheybal | PL | 91 min | 1:1,37 | sw | 20. April 1957
»Kanał« beginnt mit dem Blick auf die Ruinen der zerstörten polnischen Hauptstadt, Ende September 1944, unmittelbar vor dem Zusammenbruch des Warschauer Aufstandes. Ein Trupp von müden Kriegern zieht am Auge der Kamera vorbei. Die Protagonisten werden in einem knappen dramatis personae vorgestellt, das mit den Worten schließt: »Dies sind die Helden einer Tragödie. Schaut sie euch gut an. Es sind die letzten Stunden ihres Lebens.« Was folgt, ist die Chronik der im Prolog angekündigten Tode. Der erste Teil des Films – high-key und dokumentarisch – spielt oben, unter freiem Himmel, wo deutsche Bomben und Artillerie die Trümmer tanzen lassen; der zweite Teil – low-key und apokalyptisch – spielt unten, im stickigen, stinkenden Labyrinth der Kloaken von Warschau. Hier in der Tiefe (wo außer irdische Klänge durch die Kanäle wehen, wo Licht nicht Erlösung sondern Sterben bedeutet) zitiert man Dante, küßt man zum letzten Mal ein Mädchen, verrät man die Kameraden, ertrinkt man in der Scheiße, wird man wahnsinnig und bläst die Okarina – oder man kämpft weiter, auch wenn man längst verloren hat. Andrzej Wajda und seine Mitstreiter (Assistenz: Kutz und Morgenstern / Kamera: Lipman und Wójcik) setzen dem so aussichtslosen wie unabdingbaren Widerstand ein wuchtig-elendes Denkmal: »Noch ist Polen nicht verloren.« PS: Und auf dem anderen Ufer der Weichsel – einmal sieht man (durch ein eisernes Gitter) hinüber – stehen sowjetische Truppen. Schauen zu. Warten ab.
R Andrzej Wajda B Jerzy Stefan Stawiński V Jerzy Stefan Stawiński K Jerzy Lipman, Jerzy Wójcik M Jan Krenz A Roman Mann S Halina Nawrocka P Stanisław Adler D Tadeusz Janczar, Teresa Iżewska, Wieńczysław Gliński, Tadeusz Gwiazdowski, Władysław Sheybal | PL | 91 min | 1:1,37 | sw | 20. April 1957
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16.4.57
Die Zürcher Verlobung (Helmut Käutner, 1957)
»Ich produziere auch nicht gerne Schnulzen.« Umständlich-romantische Verwicklungskomödie unter Filmfuzzis, Zahnärzten und lilagespülten Schweizer Damen (und Pudeln). Helmut Käutner stichelt anfangs gegen die alten Leiern des Adenauer-Kintopp, macht im folgenden aber eigentlich auch nichts anderes (»Ja, ich glaube, so etwas sehen die Leute immer wieder gern.«) – er verpackt die rosarot-himmelblaue Einfalt allerdings in viel Selbstironie, und statt eines gutaussehenden Försters mit Reh bietet er einen gutaussehenden Arzt (Paul Hubschmid) mit Büffel (Bernhard Wicki): Liselotte Pulver (als beziehungsnotleidende Unterhaltungsschriftstellerin, die nach eigenen Erlebnissen ein Drehbuch verfaßt) glaubt den höflichen Hubschmid zu lieben, kriegt aber den rauhbautzigen Wicki, dem sie in Wirklichkeit zugetan ist, auch wenn sie es hundert Minuten lang nicht wahrhaben wollte – das alles mit viel Berg, viel Schnee, viel Hüttenzauber (»Ja, ja, die Liebe in der Schweiz«). Nett: Werner Finck spielt einen Zahnarzt, der den Nerv trifft, Rudolf Platte spielt Herrn Uri (nach dem gleichnamigen Kanton), Sonja Ziemann spielt Sonja Ziemann, die im Film, der im Film gedreht wird, die Rolle von Liselotte Pulver spielt, und Käutner spielt einen Reporter, der es nicht gut findet, wenn ein Regisseur in seinem eigenen Film mitspielt.
R Helmut Käutner B Heinz Pauck, Helmut Käutner V Barbara Noack K Heinz Pehlke M Michael Jary A Herbert Kirchhoff, Albrecht Becker S Klaus Dudenhöfer P Walter Koppel D Liselotte Pulver, Paul Hubschmid, Bernhard Wicki, Wolfgang Lukschy, Werner Finck, Sonja Ziemann | BRD | 106 min | 1:1,37 | f | 16. April 1957
9.4.57
The Smallest Show on Earth (Basil Dearden, 1957)
Die kleinste Schau der Welt
»Well, I’m sure there is a business like show business, but somehow I don’t think this is it.« Wer träumte nicht von einer Erbschaft aus heiterem Himmel? Dem jungen Schriftsteller Matt Spencer fällt dieses unverhoffte Glück in den Schoß. Zusammen mit seiner Ehefrau Jean reist er nach Sloughborough, um die Hinterlassenschaft des unbekannten Großonkels in Augenschein zu nehmen: ein Kino. Dabei handelt es sich allerdings nicht, wie kurz zu vermuten steht, um den ultramodernen Filmpalast ›The Grand‹ sondern um das gegenüberliegende, vormals ehrwürdige ›Bijou Kinema‹ – am Ort auch als »the flea pit« bekannt. Zwischen zwei vielbefahrene Bahnstrecken gezwängt, atmet der marode Kintopp die schwülstig-staubige Atmosphäre längst vergangener Stummfilmzeiten. Als einzige Chance, Geld zu erlösen, erscheint der Verkauf an den überheblichen Besitzer des ›Grand‹, der das ›Bijou‹ abreißen will, um das Terrain als Parkplatz zu nutzen … Regisseur Basil Dearden, lange Jahre für die Ealing-Studios tätig, knüpft, zusammen mit Autor William Rose (der unter anderem »The Ladykillers« schrieb), an die spezifische Komödientradition des Hauses an: ein Zusammenstoß von Klein (bzw. Alt) und Groß (bzw. Neu), ein pittoreskes Setting, kuriose Situationen und – most of all: spleenige Typen. Tatsächlich ist es vorrangig das skurrile Personal des ererbten Kinos, das den großen Reiz der »Smallest Show on Earth« ausmacht: die kauzige Kartenverkäuferin (und einstige Geliebte des Verstorbenen) Mrs. Fazackalee (Margaret Rutherford), der stets vom Alkohol versuchte Projektionist Mr. Quill (Peter Sellers) sowie – last but not least: Old Tom (Bernard Miles), der verhuschte Hausmeister und Platzanweiser, der sich nichts sehnlicher wünscht als eine stattliche Uniform. Letzterer ist es, der die beste (sehr heiße) Lösung für alle Probleme findet: »It were the only way, weren't it?«
R Basil Dearden B William Rose, John Eldridge K Douglas Slocombe M William Alwyn A Allan Harris S Oswald Hafenrichter P Michael Relph D Bill Travers, Virginia McKenna, Peter Sellers, Margaret Rutherford, Bernard Miles | UK | 80 min | 1:1,37 | sw | 9. April 1957
# 908 | 12. September 2014
»Well, I’m sure there is a business like show business, but somehow I don’t think this is it.« Wer träumte nicht von einer Erbschaft aus heiterem Himmel? Dem jungen Schriftsteller Matt Spencer fällt dieses unverhoffte Glück in den Schoß. Zusammen mit seiner Ehefrau Jean reist er nach Sloughborough, um die Hinterlassenschaft des unbekannten Großonkels in Augenschein zu nehmen: ein Kino. Dabei handelt es sich allerdings nicht, wie kurz zu vermuten steht, um den ultramodernen Filmpalast ›The Grand‹ sondern um das gegenüberliegende, vormals ehrwürdige ›Bijou Kinema‹ – am Ort auch als »the flea pit« bekannt. Zwischen zwei vielbefahrene Bahnstrecken gezwängt, atmet der marode Kintopp die schwülstig-staubige Atmosphäre längst vergangener Stummfilmzeiten. Als einzige Chance, Geld zu erlösen, erscheint der Verkauf an den überheblichen Besitzer des ›Grand‹, der das ›Bijou‹ abreißen will, um das Terrain als Parkplatz zu nutzen … Regisseur Basil Dearden, lange Jahre für die Ealing-Studios tätig, knüpft, zusammen mit Autor William Rose (der unter anderem »The Ladykillers« schrieb), an die spezifische Komödientradition des Hauses an: ein Zusammenstoß von Klein (bzw. Alt) und Groß (bzw. Neu), ein pittoreskes Setting, kuriose Situationen und – most of all: spleenige Typen. Tatsächlich ist es vorrangig das skurrile Personal des ererbten Kinos, das den großen Reiz der »Smallest Show on Earth« ausmacht: die kauzige Kartenverkäuferin (und einstige Geliebte des Verstorbenen) Mrs. Fazackalee (Margaret Rutherford), der stets vom Alkohol versuchte Projektionist Mr. Quill (Peter Sellers) sowie – last but not least: Old Tom (Bernard Miles), der verhuschte Hausmeister und Platzanweiser, der sich nichts sehnlicher wünscht als eine stattliche Uniform. Letzterer ist es, der die beste (sehr heiße) Lösung für alle Probleme findet: »It were the only way, weren't it?«
R Basil Dearden B William Rose, John Eldridge K Douglas Slocombe M William Alwyn A Allan Harris S Oswald Hafenrichter P Michael Relph D Bill Travers, Virginia McKenna, Peter Sellers, Margaret Rutherford, Bernard Miles | UK | 80 min | 1:1,37 | sw | 9. April 1957
# 908 | 12. September 2014
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5.4.57
I vampiri (Riccardo Freda, 1957)
Der Vampir von Notre-Dame
»I vampiri« ist kaum ein Horrorfilm, und um Blutsauger geht es nur im übertragenen Sinne. Im Rahmen eines melodramatischen Gruselkrimis phantasieren Riccardo Freda und Mario Bava über unglückliche Liebe und den Schrecken des Alter(n)s, über unstillbare Sehnsucht und den Traum von ewiger Schönheit … Eine schauderhafte Mordserie erschüttert Paris: Die blutleeren Leichen junger Frauen werden aus der Seine gefischt. Ein Inspektor und ein Reporter gehen dem Geheimnis rivalisierend auf den Grund; die dünne Fabel führt sie aus der Gegenwart der Großstadt in den bedrückend-düsteren, aus Zeit und Welt gefallenen Palast der greisen Herzogin du Grand und ihrer schönen Nichte Giselle (Gianna Maria Canale) … Freda (Buch & Regie) und Bava (Kamera & Regie) enthalten sich psychologischer Subtilität, setzen ganz auf Licht und Atmosphäre, auf das stimmungsvolle Ausmalen von böser Ahnung und schleichender Gefahr, spielen geschickt mit motivischen Doppelungen, die Zerrissenheit und Angstgefühle der handelnden Figuren spiegeln. Vor allem in der zweiten Hälfte erinnert die filmische Gestaltung an Illustrationen aus viktorianischen Mystery-Romanen, schafft immer wieder Augenblicke von beklagenswerter Wahrheit, Situationen von spukhafter Melancholie.
R Riccardo Freda, Mario Bava B Riccardo Freda, Piero Regnoli K Mario Bava M Roman Vlad A Beni Montresor S Roberto Cinquini P Ermanno Donati, Luigi Carpentieri D Gianna Maria Canale, Dario Michaelis, Carlo d’Angelo, Wandisa Guida, Paul Muller | I | 85 min | 1:2,35 | sw | 5. April 1957
»I vampiri« ist kaum ein Horrorfilm, und um Blutsauger geht es nur im übertragenen Sinne. Im Rahmen eines melodramatischen Gruselkrimis phantasieren Riccardo Freda und Mario Bava über unglückliche Liebe und den Schrecken des Alter(n)s, über unstillbare Sehnsucht und den Traum von ewiger Schönheit … Eine schauderhafte Mordserie erschüttert Paris: Die blutleeren Leichen junger Frauen werden aus der Seine gefischt. Ein Inspektor und ein Reporter gehen dem Geheimnis rivalisierend auf den Grund; die dünne Fabel führt sie aus der Gegenwart der Großstadt in den bedrückend-düsteren, aus Zeit und Welt gefallenen Palast der greisen Herzogin du Grand und ihrer schönen Nichte Giselle (Gianna Maria Canale) … Freda (Buch & Regie) und Bava (Kamera & Regie) enthalten sich psychologischer Subtilität, setzen ganz auf Licht und Atmosphäre, auf das stimmungsvolle Ausmalen von böser Ahnung und schleichender Gefahr, spielen geschickt mit motivischen Doppelungen, die Zerrissenheit und Angstgefühle der handelnden Figuren spiegeln. Vor allem in der zweiten Hälfte erinnert die filmische Gestaltung an Illustrationen aus viktorianischen Mystery-Romanen, schafft immer wieder Augenblicke von beklagenswerter Wahrheit, Situationen von spukhafter Melancholie.
R Riccardo Freda, Mario Bava B Riccardo Freda, Piero Regnoli K Mario Bava M Roman Vlad A Beni Montresor S Roberto Cinquini P Ermanno Donati, Luigi Carpentieri D Gianna Maria Canale, Dario Michaelis, Carlo d’Angelo, Wandisa Guida, Paul Muller | I | 85 min | 1:2,35 | sw | 5. April 1957
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