9.10.63

Le mani sulla città (Francesco Rosi, 1963)

Hände über der Stadt

Ein Politdrama ohne all das, was Politdramen allzuoft verwässert, was sie leichter konsumierbar und damit letzten Endes unergiebig macht, ein Politdrama ohne love interest, ohne human touch, ohne happy ending. »Le mani sulla città« zeigt nichts als die Mechanik der Macht, das Triebwerk der Gier, das Ballett der Interessen, die Verhöhnung des Rechts. Francesco Rosi zergliedert das System, in dem es nur eine Sünde gibt: zu verlieren. Ort der Enquête ist Neapel. Es könnte jeder andere Ort im Reich des Geldes sein. Zeit ist die Gegenwart des demokratischen Kapitalismus. Anlaß der Recherche: Einsturz einer altersschwachen Mietskaserne neben einer Baustelle des Immobilienlöwen und Abgeordneten Eduardo Nottola (Rod Steiger). Ein gegen den Widerstand der (rechten) Regierungsfraktionen von der (linken) Opposition durchgesetzter Parlamentsausschuß soll die Hintergründe des Unglücks ermitteln. Doch im Zirkus der administrativen Zuständigkeiten ist keine Verantwortung auszumachen, im geölten Räderwerk des politischen Betriebes kann kein Schuldiger benannt werden … In einem Schlüsselmoment des Films erklärt ein Verwaltungsbeamter der Untersuchungskommission, daß es zwei Städte gebe: die oberirdische, sichtbare Stadt und die subterrane, verborgene Stadt, die sei wie ein Schweizer Käse, voller unbekannter Gänge, Tunnel und Spalten: »Voi non avete idea, voi non sapete che cosa nel sottosuolo esiste.« Ihr habt keine Ahnung, was sich da unten tut. Im Gegensatz zu den versteckten Schlünden der Topographie liegen die Abgründe der Politik offen zu Tage. Aber das spielt keine Rolle. Denn wie sagt ein Volksvertreter: Die öffentliche Meinung, das sind wir … Ein kalter, kluger Film in analytisch-entlarvenden Bildern (Gianni Di Venanzo), getrieben von einem brutalistisch-dissonanten Score (Piero Piccioni), ein leidenschaftlicher, zeitloser Film über Häuser und Menschen, Gesetz und Vorteil, Hände und Taschen.

R Francesco Rosi B Francesco Rosi, Raffaele La Capria, Enzo Forcella, Enzo Provenzale K Gianni Di Venanzo M Piero Piccioni A Massimo Rosi S Mario Serandrei P Lionello Santi D Rod Steiger, Carlo Fermariello, Guido Alberti, Salvo Randone, Angelo D’Alessandro| I & F | 105 min | 1:1,85 | sw | 9. Oktober 1963

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