Zwei Jahrzehnte nach Kriegsende reist Pilenz (Wolfgang Neuss) in seine Heimatstadt Danzig, nunmehr Gdańsk, um sich auf die Spuren des Schulkameraden Joachim Mahlke zu begeben. Mahlke, ein distanzierter Sonderling mit sportlichem Ehrgeiz, leidet unter einem übergroßen Adamsapfel, den er durch allerlei Zierat zu kaschieren sucht: Schraubenzieher, Wollbommeln, Ritterkreuze. Pilenz denkt zurück an die Zeit Anfang der vierziger Jahre, an sommerliche Schwimmausflüge mit der Clique, hinaus zum Wrack eines polnischen Minensuchers, wo Mahlke nach Schrott und Krempel tauchte, denkt an die Ansprachen ordensgeschmückter Offiziere in der Schulaula, die Mahlkes Appetit auf das »Bonbon« anregten … Hansjürgen Pohlands Adaption der Novelle von Günter Grass überblendet satirisch soldatische Ideale und eine zwanghafte Persönlichkeitsstörung, ignoriert dabei die Konventionen des historischen Ausstattungskinos, arbeitet mit swingenden Jazz und skizzenhaften Bildern, holt die Vergangenheit in die Gegenwart der Rahmenhandlung: Pilenz befindet sich als Erwachsener mitten unter den Freunden von damals, die Stadt von heute wird zur Stadt von einst – ein überzeugender Distanzierungseffekt, der Erinnerung als Form von Fiktion ausweist (allerdings durch surrealistische Mätzchen mit lebensgroßen Puppen und ausgestopften Katzen etwas verunklart wird). Als Glücksgriff erweist sich die Besetzung der Willy-Brandt-Söhne Lars und Peter (als jüngerer und älterer Mahlke), deren eckiges Spiel der ratlos zwischen Ruhmsucht und Verweigerung driftenden Hauptfigur witzig-spröde Glaubwürdigkeit verleiht.
Katz und Maus | R Hansjürgen Pohland B Hansjürgen Pohland V Günter Grass K Wolf Wirth M Attila Zoller A Jerzy Szeski S Christa Pohland P Hansjürgen Pohland D Lars Brandt, Peter Brandt, Wolfgang Neuss, Claudia Bremer, Herbert Weißbach | BRD | 89 min | 1:1,37 | sw | 7. Februar 1967
# 925 | 12. Dezember 2014
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7.2.67
9.4.64
Die Tote von Beverly Hills (Michael Pfleghar, 1964)
»Tote sind auch nur Menschen.« Auf einem Hügel oberhalb von Los Angeles liegt eine junge Frau. Sie ist schön. Sie ist nackt. Sie wurde ermordet. Der Leichenfinder (Klausjürgen Wussow) und ein Detektiv (Wolfgang Neuss) gehen gemeinsam auf Mörderjagd. Aufschlüsse soll insbesondere das intime Tagebuch der Toten geben, das – im Gegensatz zum spröden Schwarzweiß der Krimi-Rahmenhandlung – als erotisch-verschnörkelter Lebensroman in Eastmancolor inszeniert ist: Lu (Heidelinde Weiss), als Halbwüchsige einem Wagner-Tenor verfallen, reifte, vom lüsternen Blick der Männer gleichermaßen verstört und erregt, zur koketten Nymphomanin, die einen schüchterne Seminaristen ebenso lässig um den Finger zu wickeln verstand wie einen betagten Altertumsforscher … Wollte sich Curt Goetz mit seinem (einzigen) Roman wohl vor allem einen (leicht onkelhaften) Jux auf schnulzige Bekenntnisliteratur und auf das Land seines (unfreiwilligen) Exils machen, liegt die Zielrichtung der Adaption restlos im Dunkeln: Michael Pfleghars überlange kalifornische Extravaganz wartet zwar mit einigen phantasmagorischen Show-Einfällen auf (ein Büro im luftigen Rohbau, eine mondäne Stehparty im Swimmingpool, Ausgrabungen mit dem Bulldozer), der (magere) filmische Witz beschränkt sich jedoch weitgehend auf Zeitraffer-Slapstick, Tricklinsen-Klimbim und furzkissenmäßige musikalische Kommentierung des Geschehens. Daß die Aufklärung des Verbrechens kaum interessiert, daß satirische Gesellschaftskritik nicht unbedingt auf der Agenda des eskapistischen Werks steht, mag zu verschmerzen sein, prekär erscheint allerdings die Ausstrahlung der Hauptdarstellerin, die bei allem Bemühen um sinnliche Fatalität eher an ein nett lächelndes ›Brigitte‹-Covergirl erinnert als an eine männerverhexende Lolita.
Die Tote von Beverly Hills | R Michael Pfleghar B Peter Laregh, Michael Pfleghar, Hansjürgen Pohland V Curt Goetz K Ernst Wild M Heinz Kiessling S Margot von Schlieffen P Hansjürgen Pohland D Heidelinde Weiss, Klausjürgen Wussow, Wolfgang Neuss, Ernst Fritz Fürbringer, Horst Frank | BRD | 110 min | 1:2,35 | sw & f | 9. April 1964
# 924 | 4. Dezember 2014
Die Tote von Beverly Hills | R Michael Pfleghar B Peter Laregh, Michael Pfleghar, Hansjürgen Pohland V Curt Goetz K Ernst Wild M Heinz Kiessling S Margot von Schlieffen P Hansjürgen Pohland D Heidelinde Weiss, Klausjürgen Wussow, Wolfgang Neuss, Ernst Fritz Fürbringer, Horst Frank | BRD | 110 min | 1:2,35 | sw & f | 9. April 1964
# 924 | 4. Dezember 2014
22.5.62
Das Brot der frühen Jahre (Herbert Vesely, 1962)
Eigentlich ist alles klar: Walter Fendrich, Waschmaschinenmechaniker im Außendienst, immer nett, immer adrett, wird Ulla Wickweber, die attraktive Tochter seines Chefs, heiraten und am einträglichen Familiengeschäft beteiligt werden – Walters weiteres Leben ist praktisch schon gelebt: »Ich sehe mich in diesem Leben herumstehen, ich lächle, rede wie ein Zwillingsbruder, der lächeln und reden würde. Ich kaufe in diesem Leben, verkaufe, halte Kinder im Arm, die meine hätten sein sollen, ich halte Reden auf Betriebsfesten, drücke Hände.« Dann ein kurzer Moment, der alles in Frage stellt, ein alltägliches Ereignis, das alles verändert: Walter soll Hedwig Muller, ein hübsches Fräulein aus seiner Heimatstadt, vom Bahnhof abholen, ein junges Mädchen, das er kannte, als es noch viel jünger war – und Walter wechselt das Gleis, steigt um, vom falschen Leben in eines, das sich richtiger anfühlt. Herbert Veselys Adaption eines Textes von Heinrich Böll erzählt diese Geschichte einer Ein- und Umkehr nicht linear sondern zerfasert, zergliedert, zersprungen; das Thema – der fluchtartige Ausbruch eines Menschen, der immer Hunger litt, aus erbärmlichem Sattsein (≈ Geld) in unabdingbare Freiheit (≈ Brot) – wird in Variationen umkreist, in Reprisen vergegenwärtigt, in (gelegentlich etwas zu aparten) Bild-, Ton- und Gedankensplittern bespiegelt. Das konkrete Umfeld – die Stadt Berlin, ihre Staßen und Häuser, ihre Bahnen und Stationen, ihre Wohnungen und Cafés zwischen zertrümmertem Gestern und kühler Moderne – liefert den abstrakten Background für ein kaleidoskopisch-sprödes Beziehungsdrama, für ein jazzig-grafisches Gesellschaftsstück.
Das Brot der frühen Jahre | R Herbert Vesely B Herbert Vesely, Leo Ti (= Leo Tichat), Heinrich Böll V Heinrich Böll K Wolf Wirth M Attila Zoller S Christa Pohland P Hansjürgen Pohland D Christian Doermer, Vera Tschechowa, Karin Blanguernon, Tilo von Berlepsch | BRD | 88 min | 1: 1,37 | sw | 22. Mai 1962
Das Brot der frühen Jahre | R Herbert Vesely B Herbert Vesely, Leo Ti (= Leo Tichat), Heinrich Böll V Heinrich Böll K Wolf Wirth M Attila Zoller S Christa Pohland P Hansjürgen Pohland D Christian Doermer, Vera Tschechowa, Karin Blanguernon, Tilo von Berlepsch | BRD | 88 min | 1: 1,37 | sw | 22. Mai 1962
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20.10.61
Tobby (Hansjürgen Pohland, 1961)
Tobby ist Jazzer (nicht Dschähßer sondern Jattzer!) mit Leib und Seele: Er spielt furios Schlagzeug und Mundharmonika, er singt und jammt, er konzertiert im ›Riverboat‹ am Fehrbelliner Platz und improvisiert im Hinterzimmer von Kurt Mühlenhaupts Kreuzberger Trödelladen. Tobby ist Berliner mit Leib und Seele: Er lebt mit geschiedener Frau (»Ich schätze sie sehr.«) und zwei kleinen Söhnen in einem lauschigen Siedlungshaus am Rande der Stadt und nächtigt bei schicken Mädchen in schicken Hansaviertel-Apartments, er rauscht auf dem Fahrrad kreuz und quer durch die kriegsversehrte Metropole und badet vor dem Frühstück im Wannsee, er streift durch malerische Ruinen und weiß nicht was er machen soll: Das lukrative Angebot annehmen oder nicht? Immer wieder klingelt verlockend das Telefon: Eine Tournee, sechs Monate Musik, Reisen, Geld, viel Geld. Aber kein Jazz, keine lebendiger Atem – sondern das, was die Leute hören wollen. Sich verkaufen oder bei sich bleiben, das ist die Frage. Tobby ist Tobias Fichelscher, ein Berliner Jazzer, der Tobby spielt; Tobbys Frau im Leben ist Tobbys Frau im Film, Tobbys Söhne spielen Tobbys Söhne. »Tobby« entscheidet sich nicht zwischen Dokumentation und Fiktion; Hansjürgen Pohland (Regie) und Wolf Wirth (Kamera), die bald nach Fertigstellung ihres Films das Oberhausener Manifest unterzeichnen werden, setzen sich so nonkonformistisch zwischen die Stühle wie ihr eigensinniger Protagonist: Daß eine Handvoll Menschen verstehe, worum es ihm gehe, sei ihm wichtiger als eine hohe Gage, sagt Tobby. »Tobby« versucht dieses Befinden in Bilder, in Montagen zu fassen, versucht, einer Haltung nachzuspüren, in einen sperrigen Charakter einzutauchen. Dazu sind den Machern viele Mittel recht: Reportage und Kolportage, cinéma vérité und visuelle Symbolik. Damit trifft »Tobby« den Ton eines Ortes und einer Zeit und eines Menschen. »Tobby« ist Jazz.
Tobby | R Hansjürgen Pohland B Hansjürgen Pohland, Siegfried Hofbauer K Wolf Wirth M Tobias Fichelscher, Manfred Burtzlaff S Christa Pohland P Hansjürgen Pohland D Tobias Fichelscher, Anik Fichelscher, Eva Häußler, Francis Conrad Charles, Kurt Mühlenhaupt | BRD | 81 min | 1:1,37 | sw | 20. Oktober 1961
Tobby | R Hansjürgen Pohland B Hansjürgen Pohland, Siegfried Hofbauer K Wolf Wirth M Tobias Fichelscher, Manfred Burtzlaff S Christa Pohland P Hansjürgen Pohland D Tobias Fichelscher, Anik Fichelscher, Eva Häußler, Francis Conrad Charles, Kurt Mühlenhaupt | BRD | 81 min | 1:1,37 | sw | 20. Oktober 1961
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