23.3.53

The Blue Gardenia (Fritz Lang, 1953)

Gardenia – Eine Frau will vergessen

To go astray: sich verlaufen, vom Weg abkommen, auf die schiefe Bahn geraten … Nachdem sie brieflich von ihrem Verlobten verlassen wurde, flieht die gefühlsbetonte Norah (Anne Baxter) aus der behüteten Wohngemeinschaft mit ihren beiden Freundinnen, sucht Ablenkung beim Date mit einem notorischen Frauenhelden (Raymond Burr); der feuchtfröhliche Abend endet mit Zudringlichkeiten und gewaltsamer Abwehr. Am nächsten Morgen erwacht Norah neben der Leiche des Aufreißers, kann sich an nichts mehr erinnern, ergreift panisch die Flucht … Indem er die Aufklärung einer im Dunkel des Vergessens liegenden Bluttat betreibt, erforscht Fritz Lang mit schwarzer Ironie den Gegensatz von romantischen Wunschbildern und berechnender Erotik, die Kollision von (medial generierten) Träumen und nackten Tatsachen in einer Gesellschaft, die Mord als prickelnden Unterhaltungsstoff goutiert. Der Starreporter (Richard Conte), der den mysteriösen Fall ausschlachtet, verwandelt die Suche nach Wahrheit in einen einträglichen Knüller, während die schuldverstrickte Unschuld auf ihrem Fehlgang immer weiter in die Enge getrieben wird – eine banale Geschichte von überraschender Komplexität. Stellenweise wirkt »The Blue Gardenia« wie eine boshafte Entgegnung auf die im selben Jahr gedrehte Breitwand-Romanze »How to Marry a Millionaire«: (drei) Frauen in der Wartschleife für das Glück, das am Ende darin besteht, noch einmal davonzukommen, wieder nach Hause zu finden.

R Fritz Lang B Charles Hoffman, Vera Caspary K Nicholas Musuraca M Raoul Kraushaar A Daniel Hall S Edward Mann P Alex Gottlieb D Anne Baxter, Richard Conte, Ann Sothern, Raymond Burr, George Reeves | USA | 90 min | 1:1,37 | sw | 23. März 1953

22.3.53

I Confess (Alfred Hitchcock, 1953)

Zum Schweigen verurteilt

Unter Verzicht auf ironische Distanzierung erzählt Alfred Hitchcock von einem mordverdächtigen katholischen Priester (gemessen: Montgomery Clift), der, durch das Beichtgeheimnis gebunden, die Identität des wahren Täters nicht preisgeben darf. »I Confess« ist ein Film des Nicht-reden-Könnens und darum in erster Linie ein Film der Blicke, der Gesichter, der intensiven Großaufnahmen – und es ist der Film einer Stadt: Québec, Schauplatz der Ereignisse, ein Stück Alter Welt in der Neuen, erscheint mit seinen dunkel abschüssigen Gassen und bedrohlich ragenden Türmen, seinen steinharten Fassaden und feuchtspiegelnden Pflastern wie das Abbild der schattenreich-prekären Seelenlandschaft der handelnden Personen. Ein Mensch, der für seinen Glauben (und dessen Prinzipien) die Schuld eines anderen (noch dazu eines Deutschen: O. E. Hasse) auf sich nimmt und diesen Weg (= diese Prüfung) mit allen Konsequenzen bis zum Ende (= bis zum Martyrium) ginge, mag für sogenannte Vernunftwesen (wie den von Karl Malden verkörperten Inspektor) exotisch erscheinen, die Figur könnte jedoch auch stellvertretend für alle stehen, die sich (Selbst-)Blockaden, (Ordnungs-)Systemen, inneren oder äußeren Beschränkungen ausgesetzt sehen – und wer wäre das nicht? … Die malerisch-pathetische Schwarzweiß-Fotografie (Robert Burks) und das nachdrücklich-ernste Spiel der Darsteller (darunter Anne Baxter als tief liebende sowie Dolly Haas als tief zerrissene Frau) verleihen dem Werk eine außerordentliche emotionale Dichte, ja eine regelrecht metaphysische Sinnlichkeit.

R Alfred Hitchcock B George Tabori, William Archibald V Paul Anthelme K Robert Burks M Dimitri Tiomkin A Edward S. Haworth Ko Orry-Kelly S Rudi Fehr P Alfred Hitchcock, Sidney Bernstein D Montgomery Clift, Anne Baxter, Karl Malden, O. E. Hasse, Dolly Haas | USA | 95 min | 1:1,37 | sw | 22. März 1953

4.3.53

The Titfield Thunderbolt (Charles Crichton, 1953)

Der Titfield-Express

Im Zuge der Schließung unrentabler Nebenstrecken, entscheidet das zuständige Komitee der kürzlich verstaatlichten British Railways, auch die Verbindung zwischen dem Dörfchen Titfield und Mallingford Junction zu kappen – die Busunternehmer von Pearce & Crumb Ltd. reiben sich schon die Hände. Im idyllischen Winkel (von Regisseur Charles Crichton und Kameramann Douglas Slocombe in lebhaftem Technicolor gemalt) regt sich indes Widerstand gegen die behördliche Maßnahme: Der eisenbahnnärrische Vikar, der junge Squire, dessen Urgroßvater einst die Strecke erbauen ließ, ein ehemaliger Bahnarbeiter (und gelegentlicher Wilddieb) sowie der reiche Mann von Titfield (Stanley Holloway spielt einen liebenswürdigen Saufaus, den die Aussicht auf einen fahrenden Barbetrieb lockt) verkünden, unter dem Beifall (fast) aller Dorfbewohner, den Betrieb in Eigenregie zu übernehmen … Einmal mehr gibt eine Ealing-Komödie der Bockigkeit den Vorzug vor dem Konformismus, doch wirkt der beherzte Kampf der Provinzler für ihr altes Dampfroß wie eine symbolische Abwehrschlacht gegen jede Form von Veränderung. Die Herren Pearce und Crumb, die vor gemeinster Sabotage nicht zurückscheuen, kommen daher wie Büttel des Bösen, und wenn am Ende eine Museumslokomotive das Rennen gegen den Fortschritt macht, scheint ihr jubelndes Tuten den Untergang eines Empire übertönen zu wollen.

R Charles Crichton B T. E. B. Clarke K Douglas Slocombe M Georges Auric A C. P. Norman S Seth Holt P Michael Balcon D Stanley Holloway, George Relph, Naunton Wayne, John Gregson, Hugh Griffith | UK | 84 min | 1:1,37 | f | 4. März 1953

# 907 | 12. September 2014