8.10.69

Katzelmacher (Rainer Werner Fassbinder, 1969)

»Was man macht, ist immer eine Schwierigkeit.« Ein radikales Meisterwerk, so radikal, wie es wohl nur einer unter 30 hinbekommt. Rainer Werner Fassbinders »Comédie humaine« in anderthalb Stunden: zwölf Personen, sieben Frauen und fünf Männer, in wechselnden Konstellationen, in denen der/die Einzelne nie alleine, aber immer einsam bleibt. 107 statische Einstellungen, das Objektiv stets frontal auf die Szenen gerichtet: Totalen oder Halbnahe von Menschen in kargen Wohnungen, in kargen Wirtschaften, in einem kargen Hinterhof, dem archetypischen öffentlichen Raum; dazwischen eingestreut: sieben Rückfahrten der Kamera, alle am selben Ort im selben Tempo gedreht, alle Spaziergänge von sprechenden Paaren zeigend. »Du bist komisch, ich bin normal.« – »Dann leck mich am Arsch.« Die (bundesdeutsche) Gesellschaft in der Nußschale: Einsamkeit und Ressentiment, Erwartung und Mißgunst, Bedürfnis und Demütigung, Gefühl und Besitzdenken. Verhandelt wird dies in einer Sprache, die so künstlich ist, daß sie vollkommen natürlich klingt: »Eine Liebe und so, das hat immer mit Geld was zum tun.« Einer, der von außen kommt, ein »Griech von Griechenland« (Fassbinder als »Katzelmacher« Jorgos), bringt vorübergehend Bewegung in die erstarrten Verhältnisse: »Auf einmal alle machen bumm-bumm.« Die Entladung der aufgestauten sozialen Energie in Form einer kurzen rassistischen Prügelorgie führt unweigerlich zurück in die alte Ordnung und ihre bohrende Unzufriedenheit – doch auch so etwas wie eine Ahnung keimt auf: Es wird plötzlich denkbar, daß es anderswo anders sein könnte. »Ein Mensch braucht halt eine Zeit, bis er was versteht.«

R Rainer Werner Fassbinder B Rainer Werner Fassbinder V Rainer Werner Fassbinder K Dietrich Lohmann M Peer Raben A Rainer Werner Fassbinder S Franz Walsch (= Rainer Werner Fassbinder) P Peer Raben D Hanna Schygulla, Hans Hirschmüller, Irm Hermann, Lilith Ungerer, Rainer Werner Fassbinder | BRD | 88 min | 1:1,37 | sw | 8. Oktober 1969

# 891 | 30. Juni 2014

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