24.5.62

Der rote Rausch (Wolfgang Schleif, 1962)

»Ich bin doch ein Mensch wie sie alle. Ich habe gelebt wie sie alle. Ich habe geredet wie alle. Ich habe gearbeitet wie alle.« Spätherbst. Tiefer Himmel. Flaches Land. Ein See an der Grenze. Aus dem Schilf stolpert ein Mann mit dem angstvollen Blick eines verirrten Kindes (Klaus Kinski). Die Bauern glauben, er komme von drüben. Ein Flüchtling. Ein Verfolgter. Auf dem nahegelegenen Hof gewährt man ihm Obdach. Die Gutstochter (Brigitte Grothum) hat vor Jahren ihren Ehemann an ebenjener Stelle verloren, wo der Fremde auftauchte. Die Hoffnung auf seine Rückkunft hat sie sich nie nehmen lassen. Der Ankömmling ist jedoch kein Heimkehrer sondern ein Entsprungener aus der ›Bewahranstalt für kriminelle Geisteskranke‹, ein liebebedürftiger Frauenwürger, dessen Tötungstrieb von roten Korallenketten ausgelöst wird, ein sanfter Killer, der sich an seine Taten nicht erinnern kann … »Der rote Rausch« verbindet wirksam das dezente Beziehungsdrama zwischen zwei unbehüteten Seelen mit einem expressiver Heimatthriller, der zum Ende – bei einer feurigen Mörderhatz – die Scheidelinie zwischen Mensch und Monster verwischt. Wolfgang Schleif inszeniert Landschaften und Leute mit grauer Poesie; Kinski nutzt seine hochexplosive Kunst mit überraschender Zurückhaltung: Wenn er das Fahndungsplakat mit seinem Konterfei erblickt, wenn er für ein Kind Oscar Wildes Märchen vom selbstsüchtigen Riesen rezitiert, wenn er eine schreiende Frau um Hilfe anfleht – stets ist er das schattenhafte Individuum ohne Ich, ein fassungsloses Wesen, das seine Schuld nicht greifen kann: »Mit diesen Händen habe ich gemordet, sagen sie. Bitte, guck dir diese Hände an. Sag mir, ob das die Hände eines Mörders sind!«

R Wolfgang Schleif B Hellmut Andics V Hans Ulrich Horster (= Eduard Rhein) K Walter Partsch M Hans-Martin Majewski A Theodor Harisch S Paula Dvorak P Ernest Müller D Klaus Kinski, Brigitte Grothum, Sieghardt Rupp, Jochen Brockmann, Dieter Borsche | BRD | 87 min | 1:1,66 | sw | 24. Mai 1962

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