30.6.51

Strangers on a Train (Alfred Hitchcock, 1951)

Der Fremde im Zug

Ein Paar Herrenschuhe steigt aus einem Taxi: modisch, exaltiert, zweifarbig; ein zweites Paar steigt aus einem anderen Taxi: konservativ, ehrlich, vertrauenswürdig. Die Schuhpaare durchqueren, aus unterschiedlichen Richtungen kommend, eine Bahnhofshalle, treffen sich im Zug, wo ihre Spitzen (zufällig?) zusammenstoßen: bad guy meets good guy, Bruno Antony (Robert Walker), der reiche Taugenichts, begegnet Guy Haines (Farley Granger), dem gesellschaftlich aufstrebenden Sportsmann. Beide haben jeweils ein Problem, das sie loswerden möchten: der eine den dominanten Vater, der andere die liederliche Ehefrau; während der eine aus dieser Konstellation das perfekte Doppelverbrechen imaginiert, das auf dem Austausch der Mordtaten (= einem Handel mit Schuld) beruht, schiebt der andere diese Möglichkeit betreten (wenn auch fasziniert) beiseite – so ist das Zusammentreffen der Herren auch ein Rendezvous von Es und Über-Ich. Alfred Hitchcock entwickelt aus dieser attraktiven Prämisse einen verhältnismäßig faden Schwarz-Weiß-Thriller, der trotz der angelegten Ambiguität nicht mit erzählerischen Eindeutigkeiten spart: Insbesondere die platte Zeichnung des Schurken als erblich vorbelasteten Geisteskranken – Brunos Mutter (bezaubernd-desorientiert: Marion Lorne) verfertigt zur nervlichen Beruhigung »entartete« Kunst – nimmt »Strangers on a Train« viel von seinem Potential zur psychologischen Differenzierung.

R Alfred Hitchcock B Raymond Chandler, Czenzi Ormonde V Patricia Highsmith K Robert Burks M Dimitri Tiomkin A Ted Haworth Ko Leah Rhodes S William H. Ziegler P Alfred Hitchcock D Farley Granger, Robert Walker, Ruth Roman, Patricia Hitchcock, Marion Lorne | USA | 101 min | 1:1,37 | sw | 30. Juni 1951

3 Kommentare:

  1. Endlich ein Gesinnungsgenosse! "Strangers On a Train" gilt als Hitch's Rückkehr zum Meisterwerk schlechthin. Ich benötige immer alle möglichen Ausreden (nicht jeder Bruno ist ein "bad guy", Highsmith-Verfilmungen sprechen mich grundsätzlich nicht an), wenn ich erklären muss, was mir am Film nicht gefällt. Du hast mir eine weitere geliefert. Aber so ganz kann ich meine Enttäuschung noch immer nicht in Worte fassen. Benötige wohl mal wieder eine Sichtung.

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  2. Ich habe schon sehr lange keine Hitchcocks mehr aus den 40er und früher 50er Jahren geschaut, und bin selber erstaunt, wie lahm und gewollt ich das plötzlich alles finde. Abgesehen von der kaum vorhandenen Spannung, wird alles visuell so überdeutlich ausbuchstabiert –die »Kunst« bellt einen geradezu an. Ich traue mich jetzt gar nicht mehr so recht an »Notorious« heran, der früher immer einer meiner Lieblingsfilme des Regisseurs war …

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    1. Vor "Notorious" musst du mich meines Erachtens nicht fürchten. Der Film enthält zwar auch einige gewollt künstlerische Szenen (den längsten Kuss der Welt); alles ist aber so grandios in die Geschichte eingebaut, dass es schlicht passt. Gehört auch zu den fünf bis acht Hitchcocks (so viele muss man ihm wohl zugestehen), die ich besonders verehre.

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