Weiße Nächte
Hermetisches Melodram in sagenhafter Studiodekoration: Luchino Visconti läßt von seinem ingeniösen Architekten Mario Chiari das traumverwinkelte Konzentrat einer ganzen Stadt – mit Gassen und Plätzen, Kanälen und Brücken, Nachtbars und Tankstellen – in Cinecittà errichten und macht diese Szenerie zur Bühne einer Reihe von nächtlich-romantischen Begegnungen zwischen dem sehnsüchtigen Drifter Mario (Marcello Mastroianni) und der hysterischen Schwärmerin Natalia (Maria Schell); die junge Frau erwartet die Rückkehr eines inbrünstig verehrten (namenlosen) Fremden (Jean Marais), der ihr, bevor er sich für ein Jahr verabschiedete, ewige Treue versprochen hatte … Aus den (durch unterschiedliche Erwartungshaltungen und Wunschvorstellungen emotional aufgeladenen) Zusammentreffen zweier heimatloser Figuren (von Charakteren ist angesichts der forcierten Künstlichkeit der Inszenierung und des bewußt überspannten Verhaltens der Protagonisten kaum zu sprechen) entwickelt »Le notti bianche« ein theatrales Wechselspiel von Illusionen und Tatsachen, von Ideal und Wirklichkeit, von Erinnerung (≈ Gefangenschaft) und Gegenwart (≈ Unabhängigkeit), sowie – auf der kinematographischen Ebene – von Straßenfilm und Kammerspiel. Auch als (bald nebliger, bald regennasser, bald verschneiter) Ort an der Grenze von Diesseits und Jenseits könnte Viscontis magisch-realistische Kulissenwelt begriffen werden: Der zeitlos schöne, seltsam statuarische »Fremde« wäre dann ein Engel des Todes, der die Seelen der Lebenden (zärtlich) in seinen Besitz bringt und die Herzen der Liebenden (dramatisch) voneinander trennt.
R Luchino Visconti B Luchino Visconti, Suso Cecchi D’Amico V Fjodor M. Dostojewski K Giuseppe Rotunno M Nino Rota A Mario Chiari S Mario Serandrei P Franco Cristaldi D Marcello Mastroianni, Maria Schell, Jean Marais, Clara Calamei, Marcella Rovena | I & F | 107 min | 1:1,66 | sw | 6. September 1957
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