23.6.72

Ludwig – Requiem für einen jungfräulichen König (Hans-Jürgen Syberberg, 1972)

Wundersame Vermählung von epischem Theater und großer Oper. Hans-Jürgen Syberbergs Traum vom Traum des Märchenkönigs Ludwig (wächsern: Harry Baer) zieht unwirkliche historische Fakten und glaubwürdige biographische Illusionen wie bizarre objets trouvés auf eine vieldeutig schimmernde Assoziationskette. Die Kamera (Dietrich Lohmann) steht in frontaler Schockstarre vor den schrulligen kinematographischen Landschaften: romantische Schlösser der Umnachtung erheben sich aus dem wabernden Bühnennebel der Einsicht; Abgründe von gähnender Langeweile klaffen neben steilen Gipfeln des unterhaltsamen Kitsches, während in der Ferne die tiefen Seen der Mystifikation glitzern. »Ludwig« pfeift auf Erzählung, auf Einfühlung, auf Erklärung. »Ludwig« ist travestiertes Heiligenbild, jodelnde Seelenschau, verschlungener Zeittunnel, exklusive Leichenschändung, schwüles Passionsspiel, königlich-bayerisches Laientheater, campy-intellektuelles Panoptikum. »Ludwig« ist deutsch. (Deutsch sein heißt, eine Sache um ihrer selbst willen tun.) Und: »Ludwig« ist schön – so schön wie (um es mit einem Zeitgenossen des verewigten Monarchen zu sagen) die Begegnung einer Nähmaschine mit einem Regenschirm auf einem Operationstisch.

R Hans-Jürgen Syberberg B Hans-Jürgen Syberberg K Dietrich Lohmann M Richard Wagner Ko Barbara Baum S Peter Przygodda P Hans-Jürgen Syberberg D Harry Baer, Ingrid Caven, Balthasar Thomass, Oskar von Schab, Gerhard März | BRD | 140 min | 1:1,37 | f | 23. Juni 1972

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