10.5.58

Mon oncle (Jacques Tati, 1958)

Mein Onkel

Jacques Tatis Alter Ego Monsieur Hulot als Protagonist in einem skurrilen clash of lifestyles: Die seelenlose Zweckmäßigkeit der Hypermoderne steht gegen den nostalgischen Zauber der guten alten Zeit. Hier das von einer durchkonstruierten Grünanlagenabstraktion umgebene avantgardistische Eigenheim der Familie Arpel, dort Hulots romantisch-verstiegenes Dachstübchen in einem pittoresken Quartier – auf der einen Seite Lichtschranke, vollautomatische Küche und kühle Repräsentation, andererseits Pferdekarren, brüchige Mauern und liebenswürdige Mitmenschlichkeit. Auch wenn der Film beiden Welten gleichermaßen spitzfindige Gags abgewinnt – so werden etwa die runden Fenster der modernistischen Villa nachts zu glotzenden Augen, und grafisch angelegte Plattenwege provozieren bizarre Ballette der Gartenbesitzer und ihrer Gäste; demgegenüber zögert ein arbeitsfauler Straßenfeger vor jedem Besenschwung, und aus dem vorsintflutlichen Lastwagen eines Gemüsehändlers fallen bei jeder Gelegenheit scheppernde Werkzeuge –, sind die Sympathien klar verteilt: Hulot, der schrullig-lebenskünstlerische Schwager des borniert-arrivistischen Villenbesitzers (mithin der Onkel von dessen aufgewecktem kleinen Sohn), gibt in seiner spezifischen Mischung aus Staunen und Unerschütterlichkeit vielleicht kein Vorbild hinsichtlich konzentrierten Leistungswillens ab, überzeugt aber als Lehrmeister in Sachen Gemeinschaftsgefühl und Daseinsfreude. Tatis satirische Wehmut nach einem vermeintlich besseren Gestern (das aussieht wie an einem schönen Sommertag von Eugène Atget fotografiert) zeigt sich in der erzählerischen Konsequenz zutiefst paradox: Während malerische Stadtviertel der Spitzhacke zum Opfer fallen, entdeckt der kalkuliert-effiziente Monsieur Arpel das verspielte Kind in sich. So treibt die Hulot’sche Zivilisationskritik mit Hütchen, Regenschirm und Pfeife zu guter Letzt noch märchenhafte Blüten.

R Jacques Tati B Jacques Tati, Jacques Lagrange, Jean L’Hôte K Jean Bourgoin M Franck Barcellini, Alain Romans A Henri Schmitt S Suzanne Baron P Jacques Tati D Jacques Tati, Jean-Pierre Zola, Adrienne Servanti, Alain Bécourt, Betty Schneider | F | 117 min | 1:1,37 | f | 10. Mai 1958

# 929 | 5. Januar 2015

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