25.9.53

Flucht ins Schilf (Kurt Steinwendner, 1953)

Ein Sonntag auf dem Lande: Im Schilfgürtel des Neusiedler Sees wird ein Toter gefunden. Es handelt sich um den örtlichen Postboten, der um eine größere Geldsendung erleichtert wurde. Wacker macht sich der Gendarm an die Aufklärung der Tat. Ein Verdächtiger ist schnell gefunden, doch die Verhältnisse liegen nicht so klar, wie zunächst vermutet. Die überschaubare dörfliche Gemeinschaft erweist sich als verworrenes Beziehungsgeflecht, das von dumpfen Abhängigkeiten, verborgenen Gemütsbewegungen und latenter Rohheit beherrscht wird. Kurt Steinwendner erzählt einen echten Heimatfilm, der die Stereotypen des Genres – den Wilderer, den Jäger und den Gastwirt, den verstockten Beamten, den dürftigen Tonangeber und die einfältige Gans – aus der Wirklichkeit eines abgelegenen Provinznestes destilliert. Die Kamera (Walter Partsch) fängt die archaische Atmosphäre des österreichisch-ungarischen Grenzlandes vital und realistisch ein, dennoch entsteht kein reines Tatsachen-Bild: Die plane Weite der pannonischen Ebene erinnert an die wilde Endlosigkeit der Prärie, das karge Straßendorf mit seinen staubigen Straßen läßt an gesetzlose Westernstädte denken, der flache, von wogendem Schilf umgebene See wird zum symbolischen und tatsächlichen Ort tödlicher Gefahr. Zigeunermusik breitet die Schwermut eines drückend heißen Sommertages über eine Welt der aggressiv-schwachen Männer und ihrer resolut-enttäuschten Frauen – und die Aufklärung des Verbrechens enthüllt einmal mehr die triste Banalität des Bösen.

R Kurt Steinwendner B Kurt Steinwendner, Werner Riemerschmid K Walter Partsch M Paul Kont S Irene Tomschik P Walter Robert Lach, Walter Hössig D Alexander Kerst, Kurt Jaggberg, Ilka Windisch, Gerhard Riedmann, Grita Pokorny | A | 91 min | 1:1,37 | sw | 25. September 1953

14.9.53

Gycklarnas afton (Ingmar Bergman, 1953)

Abend der Gaukler 

»Empty spaces – what are we living for?« Ein schäbiger Wanderzirkus zieht unter bleiernem Himmel durch die graue schwedische Provinz. Verachtet nicht nur von den guten Bürgersleuten, sondern auch sich selbst ein Ekel, suchen die Artisten Auswege aus der Misere: Der spindeldürre weiße Clown findet Trost im Schnaps, seine verlebte Frau hängt ihr Herz an eine alte Bärendame, »Direktor« Alberti (kraftprotzig-kleinmütig: Åke Grönberg) bittet (vergeblich) um Unterschlupf bei seiner ehrbar gewordenen Exfrau, während seine Geliebte Anne (schlampig-explosiv: Harriet Andersson) sich einem (wie sich zeigen wird: eiskalten) Schmierenschauspieler an den Hals wirft. Ingmar Bergman entwirft ein Universum aus Sägemehl und Flitter als Gleichnis einer unbarmherzigen Welt, er verbindet poetischen Realismus und grimmigen Sarkasmus, erbärmliche Lustigkeit und ehrliche Sentimentalität zu einer ex­pressiven Studie menschlicher (Selbst-)Demütigung. Am Schluß bezahlt die einzig unschuldige Kreatur für die allseitige Entwürdigung mit dem Leben. Erlösung bleibt aus, und der Zirkus zieht weiter: »The show must go on« – warum auch immer…

R Ingmar Bergman B Ingmar Bergman K Sven Nykvist, Hilding Bladh M Karl-Birger Blomdahl A Bibi Lindström S Carl-Olov Skeppstedt P Rune Waldekranz D Åke Grönberg, Harriet Andersson, Hasse Ekman, Anders Ek, Gunnar Björnstrand | S | 93 min | 1:1,37 | sw | 14. September 1953

1.9.53

Hokuspokus (Kurt Hoffmann, 1953)

Ein Lustspiel über den Anschein und die Wahrheit, über Beweise und Vermutungen, über die Nähe von Zirkus und Justiz. Die Witwe eines erfolglosen Malers ist angeklagt, ihren Gatten ermordet zu haben. Sie lügt, sie verwickelt sich in Widersprüche, und wenn sie gar nicht mehr weiterweiß, fällt sie in Ohnmacht. Ihr Anwalt legt das Mandat nieder. Ein Unbekannter, der felsenfest von der Unschuld dieser Frau überzeugt ist, übernimmt ihre Verteidigung … Geschliffene Dialoge, prägnante Charakterzeichnungen, bühnenwirksame Verblüffungseffekte – Curt Goetz, Antispießbürger par excellence, Meister des deutschsprachigen Boulevards, schrieb mit »Hokuspokus« eine luftige Komödie voller Intelligenz und Esprit. Kurt Hoffmann verläßt sich ganz und gar auf die Zugkraft des Stücks und auf die kultivierten Hauptdarsteller (Goetz selbst und dessen Ehefrau Valérie von Martens); er inszeniert die elegant verspukte Mitternachtsatmosphäre des ersten Akts mit ebenso leichter Hand wie die folgende turbulente Verhandlung im Schwurgerichtsaal: »Ich habe einen Polizeibericht über Sie angefordert. Wollen Sie ihn hören?« – »Ist er gut?«

R Kurt Hoffmann B Curt Goetz V Curt Goetz K Richard Angst M Franz Grothe A Hermann Warm, Kurt Herlth S Fritz Stapenhorst P Hans Domnick D Curt Goetz, Valérie von Martens, Hans Nielsen, Ernst Waldow, Erich Ponto, Elisabeth Flickenschildt | BRD | 89 min | 1:1,37 | sw | 1. September 1953

# 815 | 19. Dezember 2013