29.10.59

Die Wahrheit über Rosemarie (Rudolf Jugert, 1959)

Jeder sein eigenes Wirtschaftswunder … Wie alle, verkauft auch Rosemarie Nitribitt, was sie hat. Indem sie ihr körperliches Potential ausschöpft, kommt sie zu einem schicken Apartment, zu üppigen Pelzen, zu einem schwarzen Mercedes 190 SL. Rosemarie ist das ideale Glied der Konsumgesellschaft: Der Sinn ihres Lebens liegt im Anhäufen von Waren, während sie sich selbst zum Verbrauch freigibt. Rosemaries (gewaltsamer) Tod erscheint insofern nur konsequent: Ihre Existenz endet, als sie alles für sie Erreichbare erreicht hat, als ihre Substanz aufgezehrt ist … Rudolf Jugerts Verfilmung DES bundesdeutschen Skandalstoffs der fünfziger Jahre, der sich um den unaufgeklärten Mord an einer Frankfurter Luxushure aus einfachsten Verhältnissen rankt, enthält sich aller kabarettistischen Stilisierungen, mit der Rolf Thiele den gerichtsnotorischen Fall ein Jahr zuvor zum soziologisch-satirischen Zeitbild formte. Jugert erzählt die Trivialgeschichte konsequent trivial, mit abgedroschenen Kunstmitteln, als hechelnd-billige Boulevardphantasie, als kurvenreich-pralle Auf- und Abstiegsstory, als ordinär-moralisierendes Sittentraktat voller platter Charaktere, die platte Dialoge führen: »Kehren Sie um!« – »Und wie stellen Sie sich das vor?« – »Gehe hin und liebe. Denn helfen wird dir keines Menschen Hand.« Gekonnt wuchert »Die Wahrheit über Rosemarie« mit den Pfunden seiner vulgär-sensiblen Hauptdarstellerin: Belinda Lee läßt gleichermaßen den kurzatmigen Furor des Alles-und-zwar-sofort-Habenwollens wie auch die hundserbärmliche Leere einer nur materiellen Wunschbefriedigung beeindruckend spürbar, ja beinahe schmerzhaft fühlbar werden.

R Rudolf Jugert B J. Joachim Bartsch K Georg Krause M Willi Mattes A Hermann Warm, Bruno Monden S Herbert Taschner P Wolf C. Hartwig, Dieter Fritko D Belinda Lee, Jan Hendriks, Hans Nielsen, Lina Carstens, Karl Lieffen | D | 101 min | 1:1,37 | sw | 29. Oktober 1959

6.10.59

Pillow Talk (Michael Gordon, 1959)

Bettgeflüster

Die erste Komödien-Kollaboration des Trios Day/Hudson/Randall schleicht um ihr großes Thema (SEX!SEX!SEX!) wie die Katze um den heißen Brei – ohne dabei das Mausen zu lassen. »Pillow Talk« verzichtet sinnvollerweise auf jegliche sinnvolle Handlung, und Regisseur Michael Gordon nutzt den entstehenden Freiraum, um drei großstädtisch-burleske Archetypen – Teflon-Blondine (Doris), Salon-Beefcake (Rock), Screwball-Neurotiker (Tony) – zur vollsten Entfaltung zu bringen, indem er sie in immer neuen Konstellationen auf- und gegeneinanderhetzt. Neben einem Feuerwerk von Frotzeleien und Anzüglichkeiten ist Thelma Ritter als dauerverkaterte Zugehfrau ein weiterer Aktivposten dieses Werks, das sehr gelungen eine ver­gnügliche Summe der Fifties zieht. PS: »There must be a boy! There MUST!«

R Michael Gordon B Stanley Shapiro, Maurice Richlin K Arthur E. Arling M Frank De Vol A Richard H. Riedel S Milton Carruth P Ross Hunter, Martin Melcher D Doris Day, Rock Hudson, Tony Randall, Thelma Ritter, Nick Adams | USA | 102 min | 1:2,35 | f | 6. Oktober 1959

5.10.59

Maibowle (Günter Reisch, 1959)

»Der junge Vater Mai ist ein Kollege. / Er kommt im hellen Hemd und roten Schlips.« Zum 10. Jahrestag der DDR (und zur Beflügelung des staatlichen Chemieprogramms) legt die Defa ein leicht angeschwipstes Lustspiel auf den Gabentisch der Republik: Der alte Herzenskommunist Meister Lehmann (knorrig: Erich Franz) wird zum 65. Geburtstag mit dem ›Banner der Arbeit‹ ausgezeichnet; seine vielen Kinder erfinden zunächst allerlei Ausreden, um dem Ehrenfest fernzubleiben, versammeln sich dann aber doch vor der Kulisse des fröhlich dampfenden Werks zum Anstoßen mit der traditionellen »Maibowle« … Der Schauplatz der musikalischen Klamotte, die sich redlich müht, einige Entartungen des sozialistischen Alltags aufzuspießern, heißt Grünefeld (ein Schelm, wer Böses (= Bitterfeld) dabei denkt); die Stimmung ist so gelöst wie beim vorgärtlichen Tischtennismatch zwischen Walter Ulbricht und seiner Lotte. PS: »Chemie gibt Brot, Wohlstand, Schönheit«, dichten die Planakrobaten – »… und Kunst!« möchte der neue (= rote) Mensch zukunftsfreudig ergänzen.

R Günter Reisch B Marianne Libera, Gerhard Weise K Otto Merz M Helmut Nier A Paul Lehmann S Hildegard Conrad P Hans Mahlich D Erich Franz, Albert Hetterle, Erika Dunkelmann, Christel Bodenstein, Ekkehard Schall | DDR | 94 min | 1:1,37 | f | 5. Oktober 1959

1.10.59

Das Totenschiff (Georg Tressler, 1959)

»Kamele und Esel legen sich hin, wenn sie nicht mehr können. Aber der Mensch läßt sich martern. Weil er denken kann. Weil er sich Hoffnungen macht.« Eine Nutte klaut dem amerikanischen Matrosen Philip Gale (Horst Buchholz) in Antwerpen die Börse samt Seefahrtbuch. Seiner Papiere (= seiner Tatsächlichkeit) beraubt, sitzt der Schiffer auf dem Trockenen und wird zur Unperson. Ein kafkaesker Alptraum beginnt: ohne Ausweis keine Arbeit, kein Aufenthalt, kein Leben. Es bleibt die Flucht mit unbekanntem Ziel – der Weg führt vorbei an einem zarten, sommerlichen, hoffnungslosen Versprechen auf Liebe; am Ende wartet das Schicksal in Form eines rostigen Frachters, der den Tod geladen hat: Der Dienst auf der ›Yorikke‹ verheißt nichts als »blood, toil, tears and sweat«, doch ohne Erlösung, ohne Sieg, ohne Chance auf Überstehen: »Who enters here / Will no longer have existence; / His name and soul have vanished / And are gone for ever.« Georg Tresslers Adaption des Romans von B. Traven verzichtet auf den sozialkritisch-antikapitalistischen Impetus der Vorlage zugunsten der Gestaltung eines (im Camus’schen Sinne) absurden Abenteuerfilms: Die Erzählung zerfällt in einzelne, immer bedrückender werdende Episoden, um schließlich im Bild eines verzweifelten Mannes inmitten der grenzenlosen Einsamkeit des offenen Meeres zu kulminieren. Von Heinz Pehlke mit sensibler Strenge fotografiert, gewährt »Das Totenschiff« nur einen Trost: ob arme Schweine (Mario Adorf, Helmut Schmid und Günter Meisner als geknechete Maschinisten) oder fiese Ratten (Werner Buttler und Alf Marholm als befehlshabende Exploiteure) – am Ende sind sie alle gleich. Nämlich tot.

R Georg Tressler B Hans Jacoby, Georg Tressler V B. Traven K Heinz Pehlke M Roland Kovac A Emil Hasler, Walter Kutz S Ilse Voigt P Georg Tressler, José Kohn D Horst Buchholz, Mario Adorf, Helmut Schmid, Werner Buttler, Elke Sommer | BRD & MEX | 98 min | 1:1,37 | sw | 1. Oktober 1959