31.5.64

Nikutai no mon (Seijun Suzuki, 1964)

Gate of Flesh

Tokio, Sommer 1945 – inmitten des staubig-grauen Nachkriegschaos lebt (»leben« bedeutet hier eigentlich nur, nicht tot zu sein) eine Gang von fünf Prostituierten – eine in Rot, eine in Gelb, eine in Schwarz, eine in Lila, eine in Grün – nach der Regel: »Niemals Sex ohne Geld«. Wer das Gesetz mißachtet, wird von den anderen grausam-genüßlich bestraft. Als ein kriminell gewordener Kriegsheimkehrer in dieses menschenfeindliche Idyll stößt, wird die brutale weibliche Solidarität von Eifersucht zersetzt, aber auch so etwas wie (trügerische) Hoffnung blüht wieder in den Ruinen … Seijun Suzuki und sein Ausstatter Takeo Kimura lassen die zerbombte japanische Hauptstadt als surreale Sperrholzkulisse wiederauferstehen und verwandeln ihren Sado-Maso-Groschenroman in ein grellbuntes moralisches Schlammcatchen, wo unter anderem folgende Frage von bleibender Aktualität verhandelt wird: Essen wir, um uns verkaufen zu können, oder verkaufen wir uns, um essen zu können?

R Seijun Suzuki B Goro Tanada V Taijiro Tamura K Shigeyoshi Mine M Naozumi Yamamoto A Takeo Kimura S Akira Suzuki P Kaneo Iwai D Yumiko Nogawa, Jo Shishido, Kayo Matsuo, Satoko Kasai, Tamiko Ishii | JP | 90 min | 1:2,35 | f | 31. Mai 1964

27.5.64

La cripta e l’incubo (Camillo Mastrocinque, 1964)

Ein Toter hing am Glockenseil

Ein dunkles Familiengeheimnis, ein einsames Schloß, ein verlassenes Dorf, eine Glocke die vom Wind geläutet wird – auf der Familie von Karnstein liegt ein uralter Fluch: Vor Jahrhunderten wurde eine der ihren wegen Hexerei gekreuzigt; der Geist jener vermaledeiten Sheena aber blieb lebendig und sucht die nachfolgenden Generationen heim. Graf Ludwig (Christopher Lee) fürchtet um das Wohl seiner Tochter Laura, die unter dem Bann der nachtragenden Ahnin zu stehen scheint. Ein schwarzromantischer Gruselfilm über Besessenheit und Rache, über Schuld, die nicht vergeht, und Vergangenheit, die unheilvoll wiederkehrt. Laura, von Alpträumen gequält, findet Zuspruch bei Ljuba, einer zärtlichen Fremden, die eines Tages in ihr Leben tritt – und doch geht von ebendieser liebevollen Trösterin eine tödliche Bedrohung aus. Ein Historiker mit dem doppeldeutschen Namen Friedrich Klauss, ein Mann der Fakten und der Aufklärung, dem Okkulten dennoch nicht abhold, wird herbeigerufen, das Mysterium zu ergründen. Ein traumverlorenes Nachtstück über Grabsteine ohne Namen, über seherische Krüppel, über Bilder, unter deren sichtbarer Oberfläche die eigentlichen Bilder schimmern – Camillo Mastrocinques freie Bearbeitung einer Novelle von Sheridan Le Fanu deutet die Welt als Palimpsest, als Überlagerung von verborgenen, verdrängten, verhüllten Erinnerungen, Schicksalen, Wirklichkeiten, von unmerklich waltenden Kräften, die irgendwann, vielleicht, hoffentlich offenbar werden. »Per quanto la realtà possa essere brutta, è sempre meno impressionante dei fantasmi della paura«, behauptet der Realist: »Auch wenn die Wahrheit brutal sein kann, so ist sie doch weniger bedrohlich als die Gespenster der Angst.«

R Thomas Miller (= Camillo Mastrocinque) B Robert Bohr (= Tonino Valerii), Julian Berry (= Ernesto Gastaldi) V Sheridan Le Fanu K Julio Ortas M Herbert Buckman (= Carlo Savina) A Demos Filos (= Demofilo Fidani) S Herbert Markle P William Mulligan (= Mario Mariani) D Christopher Lee, Audry Amber (= Adriana Ambesi), Ursula Davis, José Campos, Vera Valmont | I & E | 82 min | 1:1,85 | sw | 27. Mai 1964

# 946 | 21. März 2015

22.5.64

Nebelmörder (Eugen York, 1964)

Schon zweimal hat der brutale Killer bei Nacht und Nebel im Forst zugeschlagen. In beiden Fällen wurden Frauen mit einem Okuliermesser abgestochen. Trotz aller Bemühungen von Kommissar Hauser (Hansjörg Felmy), den Täter zu stellen, ereignet sich ein weiterer Mord in der ansonsten ruhigen Provinzstadt Hainburg. Neben einem vorbestraften Gewaltverbrecher und einem geistig minderbemittelten Gärtner geraten zwei Abiturienten in Verdacht: der leicht gehemmte Primus Erwin und sein blitzgescheiter Klassenkamerad Heinz Auer (Ralph Persson) … Zwar erinnert das (sehr sporadische) Auftreten des brutalen Schlitzers – mit Hut, Maske und bodenlangem Gummimantel – an vergleichbare Gestalten des italienischen Thrillers, doch Ästhetik, Erzählweise und Problembewußtsein von Eugen Yorks »Nebelmörder« sind ganz dem frühen bundesdeutschen Fernsehkrimi verpflichtet. Die Darstellung von aufblühender Jugendkultur (Scheunenpartys! Kleidertausch! Sex vor der Ehe!) und ratlos-besorgter Elterngeneration weist, wenn auch mit einiger Onkelhaftigkeit, immerhin auf die soziologischen Verwerfungen der späteren 1960er Jahre voraus.

R Eugen York B Walter Forster, Per Schwenzen K Günter Haase M Herbert Jarczyk A Karl Schneider S Walter Fredersdorf P Waldemar Schweitzer D Hansjörg Felmy, Ingmar Zeisberg, Ralph Persson, Jürgen Janza, Berta Drews | BRD | 90 min | 1:1,37 | sw | 22. Mai 1964

9.5.64

The Pumpkin Eater (Jack Clayton, 1964)

Schlafzimmerstreit

Szenen einer Ehe in den Zeiten des Überflusses ... »My life is an empty place.« Diejenige, die das sagt, hat acht (!) Kindern von drei Vätern: Jo Armitage (Anne Bancroft), verheiratet mit Jake (Peter Finch), einem erfolgreichen Drehbuchautor, der jedem Rock hinterherläuft. »The Pumpkin Eater« (der Titel zitiert einen alten englischen Kinderreim: »Peter, Peter, pumpkin eater / Had a wife and couldn't keep her. / He put her in a pumpkin shell / And there he kept her very well«) verfolgt – von Harold Pinter nicht linear nacherzählt, sondern in erhellenden Rück- und Vorausblenden seziert – den Weg eines wohlhabenden Londoner Paares vom ersten Kennenlernen, durch Höhen und Tiefen, bis zur großen Krise (Höhepunkt: Jos theatralischer Nervenzusammenbruch im Kaufhaus Harrods), in der sich (für beide Partner) die Frage von Gehen oder Bleiben stellt. Regisseur Jack Clayton – der zuvor, mit jeweils großer formaler Finesse, eine düstere Sozialstudie und einen schauerromantischen Horrorfilm drehte – inszeniert die Beziehungsgeschichte der krankhaft fruchtbaren Frau und des zwanghaft fremdgängerischen Mannes im Stile eines extravaganten Naturalismus von bisweilen halluzinatorischer Qualität. Die Thematisierung zwischenmenschlicher Entfremdung, die satirische Verzerrung gesellschaftlicher Verhältnisse verraten Einflüsse von Antonioni und Fellini; Oswald Morris’ scharfsichtige Schwarzweißbilder, Georges Delerues elegischer Score, vor allem aber die außerordentlichen Leistungen der Schauspielerinnen und Schauspieler verleihen dieser ebenso originellen wie strapaziösen filmischen Betrachtung von Liebe und Sex, Bindungswunsch und Fluchtreflex, Normen und Neurosen ihre ganz eigentümliche Faszinationskraft.

R Jack Clayton B Harold Pinter V Penelope Mortimer K Oswald Morris M Georges Delerue A Edward Marshall S Jim Clark P James Woolf D Anne Bancroft, Peter Finch, James Mason, Janine Gray, Maggie Smith, Cedric Hardwicke | UK | 110 min | 1:1,85 | sw | 9. Mai 1964

# 1047 | 16. Februar 2017