29.1.54

Le rouge et le noir (Claude Autant-Lara, 1954)

Rot und Schwarz

Kühle Verfilmung des Romans von Stendhal: Der Weg des aus kleinen Verhältnissen stammenden, charismatischen Arrivisten Julien Sorel (dessen Vorbild Napoleon heißt) führt – in den restaurativen 1820er Jahren – über eine Hauslehrerstelle in der Provinz und ein trostloses Priesterseminar ins Palais eines Pariser Aristokraten. Die Adaption (von Jean Aurenche und Pierre Bost, den Feindbildern des jungen Truffaut) plaziert zwar einige sozialironische Sottisen gegen Klerus, Bourgeoisie und alten Adel, konzentriert die Fabel aber vorwiegend auf die Schilderung der amourösen Beziehungen des zweifelhaften Helden (Gérard Philipe – für die Rolle leider zehn Jahre zu alt) zur seelenvollen Madame de Rénal (Danielle Darrieux) und zur waghalsigen Mathilde de la Mole (Antonella Lualdi). Der von Sorel ersehnte gesellschaftliche Aufstieg endet mit einem (aus gekränkter Eitelkeit, aus rasender Wut, aus verzweifelter Liebe abgefeuerten) Schuß – und einem Tribunal … Zur Darstellung von Kalkül und Leidenschaft, die gleicherweise den Charakter des Protagonisten bestimmen, experimentiert Regisseur Claude Autant-Lara mit visueller und inszenatorischer Stilisierung: Die antiillusionistische Reduktion der Ausstattung (Max Douy) und das bewußt forcierte Spiel der Darsteller bewahren »Le rouge et le noir« vor der Konventionalität üblicher Historienfilme.

R Claude Autant-Lara B Jean Aurenche, Pierre Bost V Stendhal K Michel Kelber M René Cloërec A Max Douy S Madeleine Gug P Louis Wipf D Gérard Philipe, Danielle Darrieux, Antonella Lualdi, Jean Martinelli, Antoine Balpêtré | F & I | 185 min | 1:1,37 | f | 29. Januar 1954

20.1.54

Le blé en herbe (Claude Autant-Lara, 1954)

Erwachende Herzen

Es beginnt wie ein munterer Ferienfilm à la Jacques Tati: Ein sommerlicher Strand. Familien (die Garderobe verrät, daß »Le blé en herbe« in den 1920er Jahren spielt) sitzen in der Sonne. Kleine Waisenmädchen marschieren unter der Fuchtel gestrenger Erzieherinnen zum jährlichen Badespaß. Ein Strandkino wird (von Louis de Funès!) aufgebaut. Plötzlich zieht ein Sturm herauf. Hüte wirbeln durch die Luft. Drachen machen sich selbständig. Die Kinoleinwand bricht über dem Piano zusammen. Wellen schlagen hoch. Ein junger Mann kentert mit seinem Ruderboot, ruft panisch um Hilfe, säuft fast ab, kann sich gerade noch (splitterfasernackt) ans Ufer retten – mit einem herrenlosen Strohhut bedeckt er seine Blöße und eilt davon… Der schroffe Wechsel der Tonlage von heiter-skurril zu dramatisch-existenziell (und wieder zurück) antizipiert die ambivalente Stimmungslage der folgenden Erzählung um Aufbruch und Verlust nach einem (Entwicklungs- und Dreiecks-) Roman der Colette. Phil (der Ruderer) und Vinca, er 16, sie 15, verbringen seit ihrer Kindheit den Sommer gemeinsam (mit ihren jeweiligen Familien) in der Bretagne – aber: ihr vormalig geschwisterliches Verhältnis funktioniert nicht mehr, hat sich zu einer komplizierten Beziehung zwischen verwirrter Abstoßung und neckischer Anziehung, zwischen erbittertem Streit und verlangender Zärtlichkeit gewandelt. Sind sie ein Paar? Wollen sie überhaupt eines sein? Bevor es zur Entscheidung kommt, erlebt Phil eine Affäre mit einer belustigt-sehn­suchtsvollen Dame in Weiß (Edwige Feuillère), die seine Mutter sein könnte, die hinter sich hat, was ›Philévinca‹ noch vor sich haben, die für einen kurzen glücklichen Moment den zarten Hauch des längst Verlorenen atmen möchte. Am Ende der Ferien ist auch der – von Claude Autant-Lara diskret (und doch deutlich genug) in Szene gesetzte – Film zu Ende. Das Sommerhaus wird verriegelt. Phil und Vinca stehen, Hand in Hand, am nun schon herbstlich grauen Meer. Sie sind älter geworden.

R Claude Autant-Lara B Jean Aurenche, Pierre Bost, Claude Autant-Lara V Colette K Robert Lefebvre M René Cloërec A Max Douy S Madeleine Gug P Louis Wipf D Edwige Feuillère, Pierre-Michel Beck, Nicole Berger, Renée Devillers, Charles Dechamps | F | 106 min | 1:1,37 | sw | 20. Januar 1954