1.11.80

Berlin Chamissoplatz (Rudolf Thome, 1980)

Der Mann kommt zum ersten Mal in die Wohnung der Frau. An der Wand ihres Zimmers steht: »se reposer comme une fraise«. Er fragt sie, was das bedeuten solle. Sie antwortet, daß sie es ihm später erklären werde … Der Mann (Hanns Zischler), Anfang 40, ist Architekt. Die Frau (Sabine Bach), Mitte 20, studiert Soziologie. Sie wohnt in einem Haus, das er modernisieren soll. Die beiden verlieben sich ineinander. Rudolf Thomes »Berlin Chamissoplatz« ist ein sehr zarter, ein sehr präziser Liebesfilm: Der Ort ist Kreuzberg 61, die Zeit ist der (kühl-verregnete) Sommer 1980, die romantische Handlung entwickelt sich im Umfeld der behördlich oktroyierten Stadtsanierung und des sich dagegen formierenden Widerstands. Es gibt Frühstück im Bett und Spaghetti bei der Mieterinitiative, es gibt Recherchen zum Zustand der gründerzeitlichen Bausubstanz und eine spontane Reise nach Italien. Er spielt für sie Klavier und singt ihr Lieder, die er selbst geschrieben hat. Sie sagt ihm, daß sie schwanger sei, aber wahrscheinlich nicht von ihm. Der Champagner, den er in der Markthalle am Marheinekeplatz für sie kauft, kostet 23 Mark 95. Das ›Arsenal‹-Kino, wohin sie ihn mit nimmt, zeigt »Céline et Julie vont en bateau«. Sie weint während der Vorführung. Er schläft. (»Im Kino schlafen heißt, dem Film vertrauen«, bemerkte einst Jean-Luc Godard.) Zwischen all den konkreten Momenten, die auf wundervolle Weise Wirklichkeit speichern, schwebt das Eigentliche, das filmische »Mehr«, das so magisch, so unerklärt bleibt wie die sich ausruhende Erdbeere – die Wahrheit vielleicht, oder das Glück, auf jeden Fall die Liebe.

R Rudolf Thome B Jochen Brunow, Rudolf Thome K Martin Schäfer M Ohpsst S Ursula West P Hans Brockmann, Isolde Jovine, Rudolf Thome D Hanns Zischler, Sabine Bach, Wolfgang Kinder, Gisela Freudenberg, Alexander Malkowsky | BRD | 112 min | 1:1,66 | f | 1. November 1980

Taxi zum Klo (Frank Ripploh, 1980)

»Sie wollen mich auf meinen Streifzügen begleiten? Nun gut…« Der revolutionäre Gehalt von »Taxi zum Klo« liegt nicht in filmsprachlicher Innovation (formal schrammt das Werk fröhlich am Dilettantismus entlang) sondern in der nonchalanten Rigorosität, mit der schwules Leben als Normalität gezeigt wird. Frank ist Lehrer, stromert durch Berlin, fickt alles, was einen Schwanz hat (und kein Tier ist); Bernd arbeitet in einem Kino, kocht gerne und träumt von trauter Zweisamkeit (auf dem Land) – trotz Liebe nicht eben ideale Voraussetzungen für eine stabile Beziehung. Frank Ripploh plaudert aus dem Nähkästchen des (= seines) Alltags zwischen Waldspaziergang und Glory Holes, zwischen Kegelabend im Kollegenkreis und Austausch von Körperflüssigkeiten mit Zufallsbekanntschaften, zwischen Arztbesuch und Tuntenball, zwischen romantischen Sehnsüchten und physischem Verlangen; er dokumentiert (voller Spontaneität und mit einiger Drastik), daß Truffauts berühmtes Diktum »Das Paar ist keine Lösung, aber es gibt keine anderen Lösungen.« nicht nur auf gegengeschlechliche Konstellationen zutrifft.

R Frank Ripploh B Frank Ripploh K Horst Schier M Hans Wittstatt S Marianne Runne, Matthias von Gunten P Frank Ripploh, Horst Schier, Laurens Straub D Frank Ripploh, Bernd Broaderup, Hans-Gerd Mertens, Ulla Topf, Peter Fahrni | BRD | 95 min | 1:1,66 | f | 1. November 1980