27.10.71

Le casse (Henri Verneuil, 1971)

Der Coup

Meisterdieb Azad (Jean-Paul Belmondo) und seine Spießgesellen mopsen mit viel technischer Raffinesse ein paar dicke Smaragde aus dem Safe eines Athener Magnaten. Kommissar Zacharia (Omar Sharif) kommt den Einbrechern (zufällig) auf die Spur und streckt nun selbst die Finger nach den Edelsteinen aus … Henri Verneuil inszeniert den Wettlauf um die Pretiosen als kurzweiliges Match zwischen Gut (= böse) und Böse (= gut), als gewitztes Duell zwischen schlagfertiger Nonchalance und eitler Gier. Von kraftvollen Morricone-Klängen stimuliert, zeigt Bébel einmal mehr vollen Körpereinsatz, turnt auf Dächern, hangelt an Bussen, stürzt von einem Kipplaster in einen felsigen Abgrund, kloppt sich mit eifersüchtigen Griechen und verabreicht erzieherische Ohrfeigen an doppelzüngige Centerfold-Schönheiten, während Sharif öligen Charme verströmt, genüßlich seine tödlichen Schießkünste demonstriert und den Kontrahenten zu Pferde über einen verwaisten Rummel­platz verfolgen darf. Der Endkampf zwischen dem netten und dem fiesen Schurken in einem Getreidesilo am Hafen von Piräus variiert schadenfroh den alten Sinnspruch vom blinden Huhn, das auch mal ein Korn findet: »Put, put, put …«

R Henri Verneuil B Henri Verneuil, Vahé Katcha V David Goodis K Claude Renoir M Ennio Morricone A Jacques Saulnier S Pierre Gillette P Henri Verneuil D Jean-Paul Belmondo, Omar Sharif, Robert Hossein, Dyan Cannon, Renato Salvatori | F & I | 120 min | 1:2,35 | f | 27. Oktober 1971

8.10.71

Summer in the City (Wim Wenders, 1971)

»Dedicated to the Kinks« … Hans (Hanns Zischler) kommt nach einem Jahr aus dem Gefängnis. Die Gefährten von früher erwarten ihn. Hans will mit der »alten Geschichte« nichts mehr zu tun haben, entzieht sich, taucht ab, erst in München, dann in Berlin, dann anderswo. Es ist kein Sommer in der Stadt, es ist ein Winter des Mißvergnügens, Graupel, Schnee, schmutziges Schwarzweiß. Relikte eines Gangsterfilms: Nachstellungen, Fluchtbewegungen, eine schläfrige Verfolgungsjagd; Stimmungsbilder einer Generation: Fremdheit, Einsamkeit, belanglose Dialoge, von einem Offkommentar ins Indirekte gerückt; Musik der späten Sechziger: The Troggs, The Lovin’ Spoonful, The Kinks. »It seems there's more to life than just to live it.« Wim Wenders erzählt in seinem ersten Spielfilm fast nichts, beobachtet mit zwanghafter Ausdauer Orte und Situationen, dokumentiert Abläufe in Echtzeit. Eine Tankstelle, eine Kneipe, ein Kino, Zimmer, Plätze, Straßen, mündliche Rekapitulationen von Beobachtungen, Filmen, Büchern, ein stummes Billardspiel, ein Gang am Kanal, nächtliche Taxifahrten, minutenlange starre Blicke auf die vorbeiziehende Welt, distanzierte Inaugenscheinnahmen einer unwirklich wirkenden Wirklichkeit, zwischendrin die Telefonansage des aktuellen Kinoprogramms (unter der Nummer 11512): »Spiel mir das Lied vom Tod«, »Liebe durch die Hintertür«, »Oswald Kolle: Zum Beispiel Ehebruch«, »Venus im Pelz«, »Die Mädchen der Madame«, »Die ins Gras beißen«, »Thomas Crowne ist nicht zu fassen«, »Heiße Hölle Bangkok«, »Leichen pflastern seinen Weg«, »Oswald Kolle: Zum Beispiel Ehebruch«, »Zwei Banditen«, »Asphalt Cowboy«, »Cat Ballou«, »Oswald Kolle: Zum Beispiel Ehebruch« (»Das ist ja ein Witz, der Oswald Kolle!«), »Blowup«, »Ausbruch der Verdammten«.

R Wim Wenders B Wim Wenders K Robby Müller M diverse S Peter Przygodda P Wim Wenders D Hanns Zischler, Edda Köchl, Libgard Schwarz | BRD | 116 (1. Fassung: 143) min | 1:1,33 | sw | 8. Oktober 1971

# 1034 | 28. November 2016

7.10.71

The French Connection (William Friedkin, 1971)

French Connection – Brennpunkt Brooklyn

»Don’t trust a nigger!« – »He was white!« – »Don’t trust anyone…« William Friedkins Prachtstück des pessimistischen Realismus beschwört grimmig und impressiv den Katzenjammer nach dem bösen Erwachen aus dem amerikanischen Traum. Die New Yorker narcotic cops ›Popeye‹ Doyle (weltklassig: Gene Hackman) und Buddy Russo (prägnant: Roy Scheider) stehen sich vor Abwrackhäusern die Beine in den Bauch, verfolgen mutmaßliche Täter über müllige Industriebrachen, wühlen besessen im menschlichen Auswurf. Aggression erscheint als Grundregung des Zusammenlebens, die Droge steht als Metapher für den gesellschaftlichen Zerfall, der sich in den desolaten urbanen Settings des Films spiegelt. Die Tatsache, daß der (französische!) Oberschurke (Fernando Rey), dem ›Popeye‹ so fanatisch nachstellt, als kultivierteste (wenn nicht sogar sympathischste) Erscheinung durch die Erzählung geht, sowie das schockierend-lakonische Ende sind Indikatoren für die leichenbittere Ironie, zu der Friedkin – bei allem Ringen um Authentizität – auch fähig ist. Seine physisch-packende Spannung gewinnt »The French Connection« aus einer äußerst beweglichen, veristischen Kamera (Owen Roizman), einem sparsam eingesetzten, sehr nachdrücklichen Score (Don Ellis) und – natürlich – aus den maßstabsetzend inszenierten Verfolgungsjagden.

R William Friedkin B Ernest Tidyman V Robin Moore K Owen Roizman M Don Ellis A Ben Kasazkow S Gerald Greenberg P Philip D’Antoni D Gene Hackman, Roy Scheider, Fernando Rey, Tony Lo Bianco, Marcel Bozzuffi | USA | 104 min | 1:1,85 | f | 7. Oktober 1971

3.10.71

The Last Picture Show (Peter Bogdanovich, 1971)

Die letzte Vorstellung

»When old age shall this generation waste …« Der Ort: ein abgelegenes Nest in Texas. Die Zeit: 1951/52. Schon die erste Einstellung, ein langsamer Schwenk über die main street von Anarene, verbreitet Abschiedsschmerz – und das bleierne Gefühl des Leerlaufs: So vergeblich wie die Bemühung des einfältigen Billy, im ewigen Wind den ewigen Staub von der Straße zu fegen, mutet das Leben und Trachten aller Bewohner der Kleinstadt an. Jugendliche Träume spiegeln sich düster in der Desillusion der Erwachsenen: Die großen Erwartungen von Jacy (Cybill Shepherd als engelhaftes Biest), von Duane (Jeff Bridges als grüner Heißsporn), von Sonny (Timothy Bottoms als stilles Wasser) sprießen in einer Atmosphäre seelischer Beklemmung, verpaßter Gelegenheiten, sexueller Frustration. Und dann wird mit Sam the Lion (Ben Johnson), dem knorrig-wortkargen Betreiber des Cafés, der pool hall und des einzigen Kinos, auch noch der gute Geist, die moralische Instanz des tristen Fleckens zu Grabe getragen … Peter Bogdanovich entfaltet sein meisterliches Sittenbild in strengen, fast asketischen Schwarzweiß-Bildern (Kamera: Robert Surtees), wobei er das Geschehen mittels eleganter erzählerischer Ellipsen rafft und die spröde Stimmung des Provinz-Panoramas durch ausschließliche Verwendung von zeitgenössischer source music (Hank Williams, Eddie Fisher, Tony Bennett im Autoradio oder vom Plattenspieler) intensiviert. Vieles geht zu Ende in »The Last Picture Show«: die Schulzeit, das Jungsein, die Unbedarftheit. Auch das Kino muß schließen. In der letzten Vorstellung des ›Royal Theater‹ sehen Duane und Sonny einen Western von Howard Hawks. »Red River« zeigt Herausforderungen und Konflikte, einen Aufbruch und die Versöhnung der Generationen: »Well, that was a good movie.« – »Yeah, seen it here before once.«

R Peter Bogdanovich B Larry McMurtry, Peter Bogdanovich V Larry McMurtry K Robert Surtees M diverse A Polly Platt S Donn Cambern P Stephen J. Friedman D Timothy Bottoms, Cybill Shepherd, Jeff Bridges, Ben Johnson, Cloris Leachman, Ellen Burstyn, Eileen Brennan | USA | 127 min | 1:1,85 | sw | 3. Oktober 1971

# 962 | 10. Juli 2015