16.10.44

Ministry of Fear (Fritz Lang, 1944)

Ministerium der Angst

»Don’t bother about the past. Tell me the future.« England im Zweiten Weltkrieg: ›The Blitz‹ überzieht das Land mit Fliegerangriffen, Bombenhagel, Verwüstung. In dieser brisanten Atmosphäre erzählt Fritz Lang (nach einem Roman von Graham Greene) einen fabelhaft-verstörenden Thriller um einen desorientierten Mann, der – gerade als vermeintlicher Psychopath aus einer geschlossenen Anstalt entlassen (er hatte zwei Jahre zuvor seiner unheilbar kranken Frau Sterbehilfe geleistet) – aufgrund einer Verwechslung in ein bodenloses Spionage-Komplott gesogen wird: Auf einem Wohltätigkeitsbasar der »Mothers of Free Nations« gewinnt Stephen Neale (Ray Milland) eine Torte, die ein tödliches Geheimnis birgt; in der Folge gerät er nicht nur unter (mehrfachen) Mordverdacht sondern auch unter mondäne Wahrsagerinnen und erstaunlich klarsichtige Blinde, unter obskure Antiquare und kugelsichere Herrenschneider. Gewißheiten und Identitäten lösen sich auf wie Mauerwerk im Luftkrieg: Bücher explodieren als Höllenmaschinen, bedrohliche Gestalten erweisen sich als Hüter von Recht und Ordnung, während sich selbstlose Freunde als Agenten des Feindes entpuppen; daß ein psychologischer Berater der Behörde für Heimatschutz eifrig den Nazis zuarbeitet, kann in dieser Gemengelage nicht überraschen … »Ministry of Fear« schafft, in der modellhaften Künstlichkeit des Studios, ein konfuses Panorama der Paranoia, einen schwarzen Abgrund der Irritation, ein faszinierendes Labyrinth der Angst. PS: Lächelnden Männern, die den Nachnamen ›Hilfe‹ tragen, sollte unbedingt mißtraut werden.

R Fritz Lang B Seton E. Miller V Graham Greene K Henry Sharp M Victor Young A Hans Dreier, Hal Pereira S Archie Marshek P Seton E. Miller D Ray Milland, Marjorie Reynolds, Carl Esmond (= Willy Eichberger), Dan Duryea, Hillary Brooke | USA | 85 min | 1:1,37 | sw | 16. Oktober 1944

11.10.44

To Have and Have Not (Howard Hawks, 1944)

Haben und Nichthaben

»Martinique, in the summer of 1940, shortly after the fall of France …« Auf den ersten Blick wirkt Howard Hawks’ Hemingway-Adaption wie eine Variation von »Casablanca«: im Mittelpunkt ein (von Humphrey Bogart gespielter) Einzelgänger, der zunächst verbissen seine an Herzlosigkeit grenzende Autonomie verteidigt, dann aber um so couragierter für die gute Sache eintritt; ein Handlungsort in den vom Vichy-Regime kontrollierten französischen Kolonien (Karibik statt Nordafrika); ein Freiheitskämpfer (in Begleitung seiner liebenden Ehefrau) auf der Flucht vor Nazi-Schergen (Paul de Bursac statt Victor László); ein schleimig-tückischer Polizeioffizier (Capitaine Renard als Mischung aus Louis Renault, Major Strasser und dem Fettsack Ferrari); ein immer überfülltes Etablissement (mit hauseigenem Pianist), in dem alle Ereignisfäden zusammenlaufen (›Hotel Marquis‹ statt ›Rick’s Café Américain‹). Der entscheidende Unterschied liegt in der völlig anders gearteten zentralen Romanze, die Tonfall und Atmosphäre des Films bestimmt. Harry Morgan (Bogart), der sich und sein Fischerboot an wohlhabende Touristen vermietet, und die coole Herumtreiberin (und behende Gelgenheitsdiebin) Marie Browning (Lauren Bacall in ihrem atemberaubenden Leinwanddebüt) belegen sich schon beim zweiten Zusammentreffen mit frotzelnden Spitznamen (›Steve‹ vs. ›Slim‹), schenken einander nichts in Sachen Unabhängigkeit, Beherrschtheit und Intelligenz. Ihre Liebe erwächst aus gegenseitigem Respekt und bringt in beiden das Beste zum Vorschein – anders als in »Casablanca« ohne jede melancholische Grundierung. »You know how to whistle, don't you, Steve? You just put your lips together and ... blow.«

R Howard Hawks B Jules Furthman, William Faulkner V Ernest Hemingway K Sidney Hickox M Franz Waxman A Charles Novi S Christian Nyby P Howard Hawks D Humphrey Bogart, Lauren Bacall, Walter Brennan, Dolores Moran, Marcel Dalio, Hoagy Carmichael | USA | 100 min | 1:1,37 | sw | 11. Oktober 1944

# 987 | 2. März 2016

Laura (Otto Preminger, 1944)

Laura

»I shall never forget the weekend Laura died.« Es beginnt wie ein simpler Whodunit: Eine Frau wurde ermordet; sie starb in ihrer Wohnung durch eine doppelte Schrotladung mitten in ihr schönes Gesicht. Das Portrait dieser Frau, einst gemalt von einem Künstler, der sie liebte, schwebt über den Ermittlungen wie der Geist der faszinierenden Toten (Gene Tierney), beobachtet – aufmerksam, mehrdeutig, herausfordernd – die Herren, die ihr über den Tod hinaus (aus unterschiedlichen Gründen) innig verbunden, ja rettungslos verfallen sind: den blasierten Kolumnisten (Clifton Webb), den fragwürdigen Lebemann (Vincent Price), den bärbeißigen Polizisten (Dana Andrews), der das Verbrechen (zunehmend obsessiv) untersucht … »Out of a misty dream / Our path emerges for a while, then closes / Within a dream.« (Ernest Dowson) … Natürlich steht am Ende von »Laura« die Aufklärung, natürlich bleibt der Täter nicht unentdeckt, mehr (viel mehr) als an der kriminalistischen Recherche (die durch eine überraschende Resurrektion knalleffektiv getwistet wird) liegt Otto Preminger jedoch an der Erforschung geheimnisvoller Tiefen der menschlichen (genauer gesagt: männlichen) Seele, wo romantische Besessenheit Traumbilder zum Leben erweckt, wo unbändige Begierde ihre obskuren Objekte selber schafft, um sie in einem Akt fanatischer Hörigkeit schließlich vor vermeintlicher Schändung zu bewahren und gewaltsam zu verewigen: »Love is stronger than life. It reaches beyond the dark shadow of death.«

R Otto Preminger B Jay Dratler, Samuel Hoffenstein, Elizabeth Reinhardt V Vera Caspary K Joseph LaShelle M David Raksin A Leland Fuller, Lyle R. Wheeler S Louis R. Loeffler P Otto Preminger D Gene Tierney, Dana Andrews, Clifton Webb, Vincent Price, Judith Anderson | USA | 88 min | 1:1,37 | sw | 11. Oktober 1944