25.12.52

The Bad and the Beautiful (Vincente Minnelli, 1952)

Stadt der Illusionen

»I like gods. I like them very much. I know exactly how they feel«, wird Jean-Luc Godard in seinem 1963er Film-Film »Le mépris« den archetypischen Hollywood-Produzenten Jeremy Prokosch sagen lassen. Die Geschichte eines solchermaßen Besessenen erzählt »The Bad and the Beatiful« aus drei Perspektiven. Das egomane Kinomonster Jonathan Shields (brennend-kalt: Kirk Douglas) formt und beherrscht die Karrieren eines vielversprechenden Regisseurs (Barry Sullivan), dem er das Herzensprojekt stiehlt, einer fragilen Schauspielerin (Lana Turner), der er, um einer herausragenden Performance willen, Liebe vorgaukelt, und eines aufstrebenden Autors (Dick Richards), den er von seiner reizenden, aber plagegeistigen Ehefrau (Gloria Grahame) befreit. Die Manipulationen gereichen dem maniac stets zum Vorteil, dienen dabei zugleich den höheren Zielen der Filmkunst – und geschehen ironischerweise zum Besten der Opfer. Als der große Mann schließlich über die eigene Größe stürzt, bittet er seine »alten Freunde« um Hilfe – Anlaß für Rückblicke von angeekelter Bewunderung und liebevoller Bitterkeit. Vincente Minnelli, einer der raffiniertesten Stilisten der Studioära, unterzieht in einer Milieustudie voller glamour and doom (Kamera: Robert Surtees) den schöpferischen Fanatismus, der das (menschliche Beziehungen zu Sternenstaub zermahlende) Räderwerk der Traumfabrik antreibt, einer eher faszinierten (und faszinierenden) denn kritischen Betrachtung. PS: »If you dream, dream big.«

R Vincente Minnelli B Charles Schnee K Robert Surtees M David Raskin A Cedric Gibbons, Edward Carfagno S Conrad A. Nervig P John Houseman D Kirk Douglas, Lana Turner, Barry Sullivan, Dick Powell, Walter Pidgeon, Gloria Grahame | USA | 118 min | 1:1,37 | sw | 25. Dezember 1952

3.12.52

Le carrosse d’or (Jean Renoir, 1952)

Die goldene Karosse

»Where is truth? Where does the theatre end and life begin?« Der rote Samtvorhang hebt sich. Die Kamera fährt durch das Portal auf die Szene. Das Spiel beginnt. Es zeigt eine Frau zwischen Bühne und Leben, eine Schauspielerin zwischen drei Männern, dazu eine prächtige Kutsche als katalytisches Objekt aller Begierden: Die naturgewaltige Anna Magnani als Camilla (im (Film-)Leben) und Colombine (auf der (Kino-)Bühne) – quirlige Protagonistin einer Commedia-dell’arte-Truppe auf Gastspiel in einer spanischen Kolonie Südamerikas – verdreht die Köpfe eines honetten Offiziers, eines großtuerischen Stierkämpfers, eines genußfreudigen Vizekönigs, dessen eigenmächtiger Umgang mit dem titelgebenden Fuhrwerk allerhand Aufregung verursacht ... In leuchtendem Technicolor, animiert von den Klängen Antonio Vivaldis verschachtelt Jean Renoir eine Aufführung in eine andere Aufführung, verwischt die Grenzen zwischen Darstellung der Realität und der Realität selbst, stiftet Verwirrung zwischen dem Spiel auf der Bühne und dem Spiel im Leben: hier wie dort Masken und Kostüme, Perücken und Requisiten, Verstellung und Posen, Kabale und Liebe – oder um es mit Shakespeare zu sagen: »Die ganze Welt ist Bühne und alle Frauen und Männer bloße Spieler, sie treten auf und gehen wieder ab.« Am Ende triumphiert die Darstellung über das sogenannte richtige Leben. Glück ist für Camilla/Colombine nur auf eine Art zu haben, »on the stage and in platform and in public place during those two little hours when you become another person, your true self.«

R Jean Renoir B Jean Renoir, Jack Kirkland, Renzo Avanzo, Giulio Macchi, Ginette Doynel V Prosper Mérimée K Claude Renoir M Antonio Vivaldi A Mario Chiari S David Hawkins P Francesco Alliata D Anna Magnani, Duncan Lamont, Riccardo Rioli, Odoardo Spadaro, Ralph Truman | F & I | 103 min | 1:1,37 | f | 3. Dezember 1952

#1100 | 1. März 2018