31.8.61

Victim (Basil Dearden, 1961)

Der Teufelskreis

»It is not, in our view, the function of the law to intervene in the private life of citizens, or to seek to enforce any particular pattern of behaviour«, stellte der legendäre Wolfenden report im Jahre 1957 fest und empfahl (zunächst wirkungslos), die Strafbarkeit »einvernehmlicher homosexueller Handlungen zwischen Erwachsenen« in Großbritannien abzuschaffen … Thema von »Victim« ist indes weniger schwules Leben unter der Fuchtel des Gesetzes, problematisiert wird vielmehr eine kriminelle Folgeerscheinung der Kriminalisierung von Sexualität: Erpressung. Der renommierte (und verheiratete) Anwalt Melville Farr (Dirk Bogarde) fühlt sich von ›Boy‹ Barrett, einem »Bekannten«, unter Druck gesetzt, muß aber – nach dessen Selbstmord – erkennen, daß dieser selbst unter Druck stand: ›Boy‹, ein Junge aus der working class, zahlte (gestohlene) 2000 Pfund, um die Öffentlichmachung eines verfänglichen Fotos von ihm und Farr zu verhindern. Der erschütterte Anwalt nimmt den Kampf gegen die anonymen Erpresser auf, wobei seine zwiespältige Haltung den eigenen Begierden gegenüber ebenso offenbar wird wie die fatale Angst der (vom »Recht« und vom Verbrechen gleichermaßen) ins Dunkel Gedrängten: Keiner mag sich bekennen – der Friseur, der Antiquar, der Autohändler, der Schauspieler, sie alle wollen lieber schweigen, lieber dulden, lieber zahlen … Regisseur Basil Dearden und sein formstarker Kameramann Otto Heller siedeln ihr beklemmendes social drama in einem rauhen, kalten, unwirtlichen London an, das kaum ein Lächeln kennt, kaum eine Geste der Zärtlichkeit oder des Mitgefühls. Am Ende ist es Farrs ambivalenter Opfermut (= seine Bereitschaft, auf eine Zukunft als Queen’s Counsel zu verzichten, um vor Gericht gegen die Nötiger auszusagen, bei gleichzeitiger Aussicht auf wiedererstarkendes Eheglück), das die Gesellschaft – immerhin – ein kleines Stück weiter in Richtung sexueller Befreiung schubsen wird.

R Basil Dearden B Janet Green, John McCormick K Otto Heller M Philip Green A Alex Vetchinsky S John D. Guthridge P Michael Relph D Dirk Bogarde, Sylvia Sym, Dennis Price, Peter McEnery, John Barrie | UK | 96 min | 1:1,66 | sw | 31. August 1961

25.8.61

Mann im Schatten (Arthur Maria Rabenalt, 1961)

»Und wie hat’s Ihnen in Wien gefallen?« – »Och, eigentlich sehr gut, aber ich hab’ ja das Wichtigste nicht gesehen: Prater und Riesenrad, Heurigen und Grinzing, na ja, das ›goldene Wiener Herz‹, Sie wissen ja …« – »Wahrscheinlich hat es Ihnen gerade deshalb so gut gefallen.« Eigentlich geht es um die Aufklärung einer Bluttat, genauer gesagt um die Untersuchung des Mordes an der erfolgreichen Geschäftsfrau und Strickmodemacherin Miriam Capell (Ellen Schwiers) – in Wirklichkeit aber stehen nicht die Ermittlungen im Zentrum dieses sich dokumentarisch gerierenden Whodunits (Drehbuch: Wolfgang ›Stahlnetz‹ Menge) sondern die Person des Ermittlers: Helmut Qualtinger spielt den Oberpolizeirat Dr. Radosch als freundlich-verachtungsvollen Menschenkenner, dessen improvisiert wirkendes Herumschnüffeln eher überraschend denn zielgerichtet zum Ergebnis zu führen scheint. Die leutselige Gemütlichkeit des dicken Kriminalers kann sich überraschend schnell ins Gegenteil verkehren – seine Stimme schlägt dann vom einschmeichelnden Singsang des sympathischen Grantlers um ins herrische Blaffen des allmächtigen Hausbesorgers: »Wien, Wien, nur du allein …«

R Arthur Maria Rabenalt D Wolfgang Menge K Elio Carniel M Friedrich Gulda A Fritz Mögle, Heinz Ockermüller S Hermine Diethelm, Margarethe Novotny P Alfred Lehr D Helmut Qualtinger, Helmut Lohner, Fritz Tillmann, Ellen Schwiers, Barbara Frey | A | 97 min | 1:1,37 | sw | 25. August 1961

24.8.61

Der Fall Gleiwitz (Gerhard Klein, 1961)

Knochentrockene Chronik eines Kriegsausbruchs. Geometrische Stilübung über Befehl und Gehorsam.  Parteiliche Geschichtsstunde aus Babelsberg. Der fingierte Überfall auf den Sender Gleiwitz, Vorwand für den deutschen Überfall auf Polen im Jahr 1939, wird von Gerhard Klein als eiskaltes politisch-militärisches Lehrstück inszeniert. Das Drehbuch konzentriert die Abläufe radikal auf das Wesentliche. Die Musik (Kurt Schwaen) mischt eindringlich Dessau und Herrmann. Jedes Bild eine Grafik. Jeder Schnitt sitzt. Alle Schauspieler reflektiert: Herwart Grosse als Machthaber, Hannjo Hasse als Saboteur, Hilmar Thate als Menschenopfer. Kurz und gut. Ein Klassiker.

R Gerhard Klein B Wolfgang Kohlhaase, Günther Rücker K Jan Curík M Kurt Schwaen A Gerhard Helwig S Evelyn Carow P Erich Albrecht D Hannjo Hasse, Herwart Grosse, Hilmar Thate, Rolf Ludwig, Günter Naumann | DDR | 70 min | 1:1,37 | sw | 24. August 1961

15.8.61

Der Fälscher von London (Harald Reinl, 1961)

Ein überraschend trockener Edgar-Wallace-Film fast ohne Auftritte von Witzfiguren (Eddi Arent spukt nur zweimal kurz herein): Regisseur Harald Reinl und Autor Johannes Kai ent- bzw. verwickeln eine der gewohnten Familienintrigen mit den bekannten Hinterzimmern und den vertrauten Mordfällen, interessieren sich aber weniger für das »Wer war’s?« als vielmehr für die ironische Enthüllung von Charaktermasken, für gewiefte Doppelspiele und grelle Spiegelungen, die sich insbesondere in der rätselhaft gespaltenen (und rätselhaft reichen) Hauptfigur Peter Clifton (verstört: Hellmut »Scarface« Lange) verkörpern. Auch der biedere Onkel (Walter Rilla), der weltläufige Nervenarzt (Viktor de Kowa) sowie der eifrige Inspektor (Ulrich Beiger) erweisen sich jeweils als Rückseite ihrer eigenen Medaille. Die Ambivalenzen setzen sich fort in den Personen des jovialen Chefermittlers (Siegfried Lowitz), der zur Wahrheitsfindung in großen Mengen Beweise beiseite schafft, und einer Ehefrau (Karin Dor), die hinter vormaliger Berechnung die wahre Liebe findet. Ein feiner, kleiner Versuch über die Lüge des Anscheins, über verschobene Schuld und konstruierten Wahnsinn.

R Harald Reinl B Johannes Kai V Edgar Wallace K Karl Löb M Martin Böttcher A Matthias Matthies S Hermann Ludwig P Horst Wendlandt D Karin Dor, Hellmut Lange, Siegfried Lowitz, Viktor de Kowa, Walter Rilla | BRD | 93 min | 1:1,66 | sw | 15. August 1961

12.8.61

Pit and the Pendulum (Roger Corman, 1961)

Das Pendel des Todes

»Thus the condition of man: bound on an island from which he can never have hope to escape, surrounded by the waiting pit of hell, subject to the inexorable pendulum of fate, which must destroy him finally.« Roger Cormans zweite Poe-Adaption beginnt abstrakt mit ineinanderströmenden grellen Farbschlieren, deren züngelnde Vermischung Assoziationen von Infektion und Vergiftung weckt … Spanien (oder was Corman dafür hält) im 16. Jahrhundert (oder was Corman dafür hält): Ein junger Mann (ziemlich präpotent: John Kerr), der das Geheimnis um den jähen Tod seiner Schwester (gar nicht so tot: Barbara Steele) lüften will, besucht das ungemütliche Schloß seines Schwagers (jenseits von sonderbar: Vincent Price), dessen Vater (vollkommen übergeschnappt: Vincent Price) ein brutal-einfallsreicher Inquisitor war – der alte Kasten am tosenden Meer entpuppt sich als Vorkeller zur Hölle, wo der Hausherr und die Seinen in einer Zeitschleife des familiären Horrors gefangen sind. »Pit and the Pendulum« collagiert windigen Drive-in-Grusel, piranesieske Settings (Bauten: Daniel Haller) und viragierte Flashbacks, die formal zwischen Stummfilmlook und Psychedelik wabern (Kamera: Floyd Crosby), zu einer schrägen Ballade von Wahnsinn, Eifersucht und der ewigen Wiederkehr des Bösen.

R Roger Corman B Richard Matheson V Edgar Allan Poe K Floyd Crosby M Les Baxter A Daniel Haller S Anthony Carras P Roger Corman D Vincent Price, John Kerr, Barbara Steele, Luana Anders, Anthony Carbone | USA | 80 min | 1:2,35 | f | 12. August 1961