14.11.41

Suspicion (Alfred Hitchcock, 1941)

Verdacht

Bevor sie zur alten Jungfer wird, heiratet die gemütvoll-provinzielle Lina (Joan Fontaine) den flatterhaft-leichtsinnigen Lebemann Johnnie (Cary Grant). Ins beschwingte Hochgefühl der jungen Ehefrau bohren sich bald häßliche Zweifel: Will ihr charmanter Gatte sie ermorden, um als ihr Erbe seine diversen Schulden zu begleichen? Nach einer gemächlichen Exposition im Stile altmodischer Gesellschaftskomödien, geht Alfred Hitchcock in der Mitte des Films abrupt auf melodramatischen Thriller-Kurs, um kurz vor der wenig glaubwürdigen Schlußvolte überraschend noch eine Jahrhundertszene vom Stapel zu lassen: Cary Grant serviert des Nachts ein Glas bedrohlich leuchtender Milch. Auch wenn »Suspicion« psychologisch nicht sonderlich tief lotet, besticht das Motiv des Mannes als weiblich imaginiertes Traumwesen: Ob Glücksbringer oder Schreckgestalt oder Sorgenkind – Johnnie ist in erster Linie das Produkt von Linas blühend-romantischer Phantasie, und geliebt wird er so oder so oder so.

R Alfred Hitchcock B Samson Raphaelson, Joan Harrison, Alma Reville V Anthony Berkeley K Harry Stradling M Franz Waxman Van Nest Polglase Ko Edward Stevenson S William Hamilton P Harry E. Edington D Cary Grant, Joan Fontaine, Nigel Bruce, Cedric Hardwicke, Dame May Whitty | USA | 99 min | 1:1,37 | sw | 14. November 1941

3.10.41

The Maltese Falcon (John Huston, 1941)

Die Spur des Falken

»Heavy. What is it?« – »The stuff that dreams are made of.« Ein Film über das große, das kapitale Glücksversprechen, dem alle Welt nachrennt, ohne es je erreichen zu können. Im Gegensatz, man könnte beinahe sagen: im höhnischen Widerspruch zur verwickelt-weltumspannenden Geschichte der legendären Skulptur, in der sich (blinder) Ehrgeiz, (materielle) Träume, (unstillbare) Gier manifestieren, verortet John Huston »The Maltese Falcon« fast ausschließlich in überschaubar-alltäglichen Innenräumen: in Büros, Apartments, Hotelzimmern. Erzählt wird die Handlung (in der ein parfümierter Tunichtgut, ein linkischer Killer, ein vollfetter Sammler und eine hochmanipulative Schönheit ihr Wesen treiben) strikt aus der Perspektive des (von Dashiell Hammett erdachten) archetypischen Privatdetektivs Sam Spade, der von Humphrey Bogart nicht als glänzender Sieger sondern als hartgesottener Übersteher portraitiert wird: wie er mit grinsender Entschlossenheit die Zähne bleckt, wie er souverän bühnenreife Wutanfälle spielt, wie er mit kalter Verve die Priorität von Partnerschaft (≈ Beständigkeit) vor Liebe (≈ Zufall) erklärt – all das tröstet sowohl über manch öde-geschwätzigen Moment (vor allem im letzten Drittel) der Story hinweg als auch über die ernüchternde Einsicht, daß man trotz aller strebenden Bemühung am Ende eben nie das goldene Wunschobjekt sondern immer nur einen Bleiabguß in den Händen hält.

R John Huston B John Huston V Dashiell Hammett K Arthur Edeson M Adolph Deutsch A Robert Haas S Thomas Richards P Hal. B. Wallis D Humphrey Bogart, Mary Astor, Peter Lorre, Sydney Greenstreet, Elisha Cook Jr. | USA | 100 min | 1:1,37 | sw | 3. Oktober 1941

1.5.41

Citizen Kane (Orson Welles, 1941)

Citizen Kane

»I am, have been, and will be only one thing – an American.« Mehr noch als einem jener jigsaw puzzles, die ein zentrales Symbol dieses außergewöhnlichen Werkes darstellen, gleicht Orson Welles’ fulminantes Debüt »Citizen Kane«, die an die Biographie des realen amerikanischen Pressezaren William Randolph Hearst angelehnte Filmbiographie des fiktiven amerikanischen Pressezaren Charles Foster Kane, einem monströsen Sammelsurium, einem enormen Fundus, einer gewaltigen Aufhäufung. Wie die disparaten Bauteile von Kanes gigantischem Traumschloß »Xanadu« (»Cost: no man can say.«) an der Golfküste Floridas – einem Äquivalent zu Hearsts gigantischem Traumschloß oberhalb des kalifornischen Ortes San Simeon – türmen, schichten, stapeln sich die narrativen, konzeptionellen, bildlichen Einfälle, Tricks, Bravourstücke. Die leidlich komplexe Rückblendenerzählung (Koautor: Herman J. Mankiewicz), die, ausgehend vom letzten Wort des verstorbenen Magnaten (»Rosebud«), in Form einer journalistischen Recherche das Geheimnis eines exzeptionellen Lebens zu ergründen trachtet, vermischt Kolportage und Reflexion, Melodrama und Satire, Mockumentary und Tragödie; Gregg Tolands Kamera exzelliert in Tiefenschärfe und Weitwinkeloptik, in extremen Untersichten und schrägen Perspektiven; die schauspielerischen Darstellungen wechseln von einer Szene zur nächsten zwischen kühlem Underplay und hysterischer Exaltation. Bald soziologisches Vaudeville, bald psychologische Persönlichkeitsstudie, zeichnet »Citizen Kane« – ohne dem Rätsel des populistischen Nabobs und sentimentalen Egomanen, des fanatischen Raffers und (selbst-)zerstörerischen Hasardeurs letztlich beizukommen – das Porträt eines Mannes, der felsenfest davon überzeugt ist, immer und überall nach eigenen Regeln spielen zu können, und damit auch das Bild des Landes (und seines Wesens), von dem er geformt wurde und das er formte: »I am, have been, and will be only one thing – an American.«

R Orson Welles B Herman J. Mankiewicz, Orson Welles K Gregg Toland M Bernard Herrmann A Van Nest Polglase S Robert Wise P Orson Welles D Orson Welles, Joseph Cotten, Dorothy Comingore, Everett Sloane, Ruth Warrick | USA | 119 min | 1:1,37 | sw | 1. Mai 1941

# 1092 | 5. Dezember 2017

18.4.41

Auf Wiedersehen, Franziska (Helmut Käutner, 1941)

Aufblende. Ein Kleinstadtidyll irgendwo in Deutschland. Ein Mann verfolgt eine Frau mit einem Fotoapparat. Sie findet sein Verhalten impertinent, fühlt sich zugleich geschmeichelt. Die beiden werden ein Paar. Kein besonders glückliches. Michael (Hans Söhnker), charmant und unabhängig, ist Sensationsreporter, filmt Kriege, Unglück, Katastrophen. Immer unterwegs, nirgendwo zuhause. Franziska (Marianne Hoppe), patent und eigen, schnitzt Kunstgewerbliches, will etwas vom Leben haben. Unter anderem einen Mann, der da ist, bei ihr. Sie lieben sich – dennoch. Heiraten – trotz der schwierigen Konstellation. Kriegen Kinder. Leben aneinander vorbei. Er in der Welt, sie daheim. Immer wieder bringt sie ihn an die Bahn. Immer wieder fährt er weg. Irgendwann hält sie es nicht mehr aus, verzweifelt. Er verliert den besten Freund an der Frontlinie irgendeiner Feindseligkeit, begreift. Als die Eheleute endlich, endlich zusammenkommen (könnten), erhält er seine Einberufung: Weltkrieg! Sie bringt ihn an die Bahn. Er fährt weg. Abblende. Was bleibt, ist die Hoffnung … Abgesehen davon, daß ständig etwas geschieht, reduziert Helmut Käutner das äußere Geschehen seiner unterkühlten Beziehungsstudie auf ein bitteres Minimum – und wie es drinnen aussieht, geht niemanden etwas an. Was bleibt, sind unterdrückter Überschwang und beherrschte Enttäuschung, Anflüge von Euphorie und Spuren von Verzweiflung. »Auf Wiedersehen, Franziska«: das Leben als Abschied vor dem Beisammensein, als dauerndes »Später!« vor dem ersehnten »Jetzt!«. PS: Ein großer Propagandaerfolg zum Lobe des wartenden Weibes dürfte diese abgeklärte Romanze kaum gewesen sein.

R Helmut Käutner B Helmut Käutner, Curt J. Braun K Jan Roth M Michael Jary A Willi A. Herrmann S Helmuth Schönnenbeck P Hans Tost D Marianne Hoppe, Hans Söhnker, Fritz Odemar, Rudolf Fernau, Hermann Speelmans | D | 100 min | 1:1,37 | sw | 18. April 1941