27.9.50

La ronde (Max Ophüls, 1950)

Der Reigen 

»Où sommes-nous ici? Sur une scène? Dans un studio? Dans une rue? Ah … nous sommes à Vienne. 1900.« Der soignierte Conférencier (Adolf Wohlbrück), der die Mechanik der episodischen Handlung in Gang setzt, wird das folgende Ringelreihen der Begierde – von der Dirne zum Soldaten zum Stubenmädchen zum jungen Herrn zur verheirateten Frau zum Ehemann zum süßen Mädel zum Dichter zur Schauspielerin zum Grafen zurück zur Dirne – immer wieder ironisch kommentieren, es in verschiedenen Masken (als Kutscher, als Kellner, als Hausmeister) begleiten, es ab und zu sogar eingreifend lenken. Die erzählerische Kreisbewegung, von der die zehn Paarungen zusammengebunden werden, erscheint als (opulent ausgestattete) Allegorie der ewigen Wiederkehr von Lust und Enttäuschung, als (detailreich ausgemaltes) Gleichnis von der genußfreudigen Monotonie des Eros. Formale Entsprechungen findet diese Rotation der (schnell erkaltenden) Gefühle visuell im Motiv des endlos sich drehenden Karussells sowie musikalisch in der Melodie eines von Oscar Straus komponierten Walzers:» Tournent, tournent, mes personnages / La terre tourne jour et nuit.« Max Ophüls (der eigentliche Spielführer) entzaubert in »La ronde« nicht nur (darin Arthur Schnitzler, dem Autoren der Vorlage, folgend) mit melancholischem Spott und theatralischen Verfremdungseffekten die romantische Liebe – durch die Einführung eines neben und über dem Geschehen schwebenden meneur de jeu werden die Protagonisten (verkörpert unter anderem von Simone Signoret, Gérard Philipe, Danielle Darrieux, Serge Reggiani) darüber hinaus zu zweifachen Marionetten: ihres nicht zu unterdrückenden Verlangens und ihres unentrinnbaren Schicksals.

R Max Ophüls B Max Ophüls, Jacques Natanson V Arthur Schnitzler K Christian Matras M Oscar Straus A Jean d’Eaubonne S Léonide Azar P Ralph Baum, Sacha Gordine D Adolf Wohlbrück, Simone Signoret, Gérard Philipe, Danielle Darrieux, Serge Reggiani | F | 97 min | 1:1,37 | sw | 27. September 1950

18.9.50

Cronaca di un amore (Michelangelo Antonioni, 1950)

Chronik einer Liebe

Nein, es sei nicht die alte Geschichte, sagt der Chef einer Mailänder Auskunftei zu dem Mitarbeiter, den er auf die Spur einer attraktiven jungen Frau setzt, deren vermögender Gatte, nach Auffinden einiger alter Fotos, etwas über das Vorleben jener Paola erfahren möchte, die er sieben Jahre zuvor, gegen Ende des Zweiten Weltkrieges, Hals über Kopf geheiratet hat. Mit finsterer Ironie nutzt (und bricht) Michelangelo Antonioni im Folgenden visuelle und narrative Ingredienzen des Film noir, um das von der detektivischen Recherche (die auch nach Ferrara, die Heimatstadt des Regisseurs, führt) in Gang gesetzte Geschehen zu schildern, das eine lange erloschene Liebe hitzig wiederaufflammen läßt und im Tod des wißbegierigen Ehemannes gipfelt. Deutlich angelehnt an James L. Cains Thriller »The Postman Always Rings Twice«, dessen Erzählkern er variiert, indem er gutbürgerliche Kreise zum Schauplatz der Handlung macht, erzählt Antonioni in langen, sorgfältig arrangierten Einstellungen von den Schatten der Vergangenheit und einem Dreieck der Leidenschaft, von Eifersucht und Argwohn, Überdruß und Verachtung, spricht aber auch (und vor allem) von moralischer und emotionaler Indifferenz der Nachkriegszeit, von Eigensucht und Desillusion des beginnenden italienischen Wirtschaftswunders, zieht Parallelen zwischen winterlichen Straßen und verlassenen Plätze, die den inneren Zustand der Protagonisten spiegeln, und der leeren Welt der »weißen Telefone«, ihren teuren Roben, schnellen Autos, luxuriösen Wohnungen, portraitiert mit Lucia Bosè und Massimo Girotti (der eine vergleichbare Rolle zuvor in Luchino Viscontis Cain-Adaption »Ossessione« spielte) schon in seinem ersten Spielfilm ein Paar, das der Krankheit der Gefühle erliegt.

R Michelangelo Antonioni B Michelangelo Antonioni, Daniele D’Anza, Silvio Giovaninetti, Francesco Maselli, Piero Tellini K Enzo Serafin M Giovanni Fusco A Piero Filippone S Eraldo Da Roma P Franco Villani D Lucia Bosè, Massimo Girotti, Ferdinando Sarmi, Gino Rossi, Marika Rowsky | I | 98 min | 1:1,37 | sw | 18. September 1950

# 1157 | 19. April 2019

8.9.50

Familie Benthin (Slatan Dudow & Kurt Maetzig, 1950)

Zwei Familien zwischen Ost und West: Die Benthins – reiche Industrielle – und die Naumanns – einfache Leute – schlagen sich so hinterlistig bzw. so ehrlich, wie sie können, durch die bewegten Nachkriegsjahre. Eine ganze Kompanie von DDR-Staatsfilmern und -dichtern – Slatan Dudow und Kurt Maetzig, Johannes R. Becher (»Auferstanden aus Ruinen«) und Kuba (»Kantate auf Stalin«) – malt die harten Zeiten in holzschnittartigen Kontrasten: Im Osten wird aufgebaut – hier strahlt über temporären Problemen die Sonne der Zukunft, die schließlich auch den Verstockten heimleuchtet; im Westen wird demontiert – dort wartet auf die Gierig-Hoffnungsvollen nur die Schlafstelle im Massenquartier und am Ende der Tod in der Fremdenlegion; kurz: hüben die Schaffer und das Glück, drüben die Raffer und das Leid. Es ist viel betriebsblindes Wunschdenken in diesem Film, viel ideologischer Selbstbetrug, viel propagandistische Leier, aber auch so etwas wie ehrliche Verblendung, aufrichtiger Wahn, stolzer Trotz.

R Slatan Dudow, Kurt Maetzig B Johannes R. Becher, Kuba (= Kurt Barthel), Ehm Welk, Slatan Dudow K Robert Baberske, Karl Plintzner, Walter Roskopf M Ernst Roters, Werner Neumann A Erich Zander S Ilse Voigt P Adolf Fischer D Maly Delschaft, Charlotte Ander, Hans-Georg Rudolph, Werner Pledath, Ottokar Runze | DDR | 98 min | 1: 1,37 | sw | 8. September 1950

7.9.50

Epilog (Helmut Käutner, 1950)

»Du bist Orplid, mein Land! Das ferne leuchtet.« Geschlossene Gesellschaft auf hoher See oder: Die Hölle, das sind wir alle … Indem der Reporter Peter Zabel (Horst Caspar) den mysteriösen Untergang der Luxusyacht ›Orplid‹ auf ihrer letzten Fahrt von Hamburg nach Schottland recherchiert, enthüllt er einen abgründigen Fall von politischen Ränken, wirtschaftlichen Machenschaften und allgemeiner sozialer Verwahrlosung: Eine angebliche Vergnügungstour (unternommen anläßlich einer eigens arrangierten Hochzeit) tarnt die dunklen Geschäfte eines Waffenschiebers, irgendwo im Schiffsrumpf tickt eine Bombe, der Countdown läuft, die illustre Reisegruppe (unter anderem Hans-Christian Blech, Peter van Eyck, Hilde Hildebrandt, Paul Hörbiger, Fritz Kortner, Irene von Meyendorff, Bettina Moissi, Carl Raddatz) zerfleischt sich in Erwartung des angekündigten Todes gegenseitig … Helmut Käutner zieht exaltiert, fast spöttisch alle stilistischen Register des Film noir: Off-Kommentare, Rückblenden, subjektive Kamera, schräge Perspektiven, flirrende Reflexe, Low-Key-Beleuchtung (Bildgestaltung: Werner Krien); »Epilog« (womit wohl nicht nur die Nachrede auf ein einzelnes spektakuläres Ereignis gemeint sein soll, sondern der Abgesang auf die Humanitas als solche) zeigt knallig-resignativ den Menschen als des Menschen Wolf. Ein kolportagig-fatalistischer B-Thriller – bald aufgebrachte Wahrheitssuche, bald moralphilosophischer Illustriertenroman, bald hysterische Gardinenpredigt – über die (äußerst fotogene) Schlechtigkeit der Welt im Zeitalter der Angst.

R Helmut Käutner B Robert A. Stemmle, Helmut Käutner K Werner Krien M Bernhard Eichhorn A Emil Hasler S Johanna Meisel P Artur Brauner D Horst Caspar, Fritz Kortner, Carl Raddatz, Peter van Eyck, Bettina Moissi, O. E. Hasse | BRD | 91 min | 1:1,37 | sw | 7. September 1950

# 879 | 12. Juni 2014

Schwarzwaldmädel (Hans Deppe, 1950)

»Aber es ist noch nicht aller Tage Abend. Plötzlich scheint wieder die Sonne, und es sieht alles wieder anders aus.« Fünf Jahre nach dem Krieg strahlt der (bundes-)deutsche Himmel wieder agfacolorblau, leuchten die Wiesen wieder saftig grün, blühen die Obstbäume wieder unschuldig weiß, kurz: es ist wieder Frühling, es lacht wieder das Leben. Mit der Liebe ist es wie eh und je etwas kompliziert, aber beim Walzer, den der Herr Domkapellmeister intoniert, finden zu guter Letzt alle Töpfe ihre Deckel: der fesche Kunstmaler (Rudolf Prack) und das süße Bärbele (Sonja Ziemann), der flotte Schauspieler und die kokette Soubrette, der tumbe Kraftknecht und die naive Wirtstochter. Und die Alten sitzen da, in gravitätischem Schwarz, sehen den Jungen zu, träumen ihnen nach, bei ihrem Tanz in die farbenfrohe Zukunft. Hans Deppes gnadenlose Wohlfühloperette negiert mit kämpferischem Frohsinn das Trümmergrau des Nachkriegs, die Gespenster der Vergangenheit, die Erinnerung an massenmörderische Verbrechen; »Schwarzwaldmädel« will nichts wissen von den Problemen der Zeit, setzt die penetrant gemütliche Enge eines innerlich und äußerlich unversehrten Dorfes inmitten idyllischer Landschaft als Fluchtpunkt aller Heile-Welt-Illusionen gegen die Verworrenheit einer erschütterten, herausfordernden, unwägbaren Gegenwart. Daß Deppe vielleicht nicht ganz so einfältig ist, wie die platte Gestaltung der musikalischen Klamotte nahelegt, lassen seine ständigen Hinweise auf Spiel und Lüge, auf Schwindel und Verstellung im Verhalten aller Beteiligten vermuten. Auch die Heimat, so scheint es, hat einen doppelten Boden. Der am Ende freilich sorgsam versiegelt wird. Wie das Gestern.

R Hans Deppe B Bobby E. Lüthge V August Neidhart K Kurt Schulz M Leon Jessel, Frank Fox A Gabriel Pellon S Margarete Steinborn P Kurt Ulrich D Sonja Ziemann, Rudolf Prack, Paul Hörbiger, Gretl Schörg, Walter Müller | BRD | 104 min | 1:1,37 | f | 7. September 1950