26.12.57

Smultronstället (Ingmar Bergman, 1957)

Wilde Erdbeeren

Das Leben als Reise – zum Ich oder daran vorbei. Der fast 80jährige, recht eigenbrötlerische Professor Isak Borg (die Initialen seines Namens entsprechen wohl nicht zufällig denen des Regisseurs) (Victor Sjöström) macht sich – begleitet von seiner, ihm in zwiespältiger Zuneigung verbundenen Schwiegertochter (Ingrid Thulin) – auf den Weg zu einer akademischen Ehrung. Die Fahrt wird zur sentimental journey in die Geschichte seines Lebens: Am Straßenrand warten die Träume, die Angst- und Wunschbilder, die Erinnerungen an Lichtblicke und dunkle Momente, an Hoffnungen und Enttäuschungen, an Zärtlichkeiten und (zwischen-) menschliche Verhärtungen. Zufällige Reisegefährten erscheinen als Spiegelbilder eigenen Versagens, provozieren Nachdenken über erlebte Pressionen und unkorrigierbare Fehlentscheidungen. Ingmar Bergman schiebt die Zeit-, Wahrnehmungs-, Reflexions- und Erzählebenen des biographischen Spiels souverän ineinander, breitet mit tiefem Mitgefühl das sommerlich-melancholische Panaroma einer splendid isolation: Isak Borg blickt zurück auf eine Existenz in Einsamkeit, in großer Entfernung zu sich und den anderen. Immerhin jedoch beschenkt ihn sein Leben mit der Gnade der, wenn auch späten, Selbsterkenntnis – und es schickt ihm (Ist es eine Phantasie? Ist es die Wirklichkeit?) eine junge Frau (Bibi Andersson), die dem Alten ein Ständchen singt und ihm zuruft, daß sie ihn liebe – heute, morgen und für immer…

R Ingmar Bergman B Ingmar Bergman K Gunnar Fischer M Erik Nordgren A Gittan Gustafsson S Oscar Rosander P Allan Ekelund D Victor Sjöström, Gunnar Björnstrand, Ingrid Thulin, Bibi Andersson, Naima Wifstrand | S | 91 min | 1:1,37 | sw | 26. Dezember 1957

19.12.57

Wien, du Stadt meiner Träume (Willi Forst, 1957)

Anflug auf Wien: der Kahlenberg und die Gloriette, das Belvedere und die schöne blaue Donau. König Alexander von Alanien (Hans Holt) schwebt ein, um seiner Tochter Sandra die Stadt seiner Träume zu zeigen. Doch so romantisch-beschaulich wie erinnert ist die österreichische Hauptstadt gar nicht. Das offizielle Besuchsprogramm gleicht einem Schweinsgalopp: Museen, Denkmäler, Schlösser – anschauen, schön finden, weiter. Da kommt die Revolution in der Heimat gerade recht. Der in Abwesenheit gestürzte König heuert als Chauffeur in der eigenen Botschaft an, die Exprinzessin nimmt Klavierunterricht bei einem hoffnungsvollen Komponisten – und plötzlich ist Wien so langsam, so gemütlich, so weanerisch wie in einem Wiener Film von Willi Forst. »Wenn’s Wien net gäb, tät auf der Welt ein Loch sein«, singt Paul Hörbiger (in einer Paraderolle als pensionierter Straßenbahner, der in nächtlicher Weinlaune den geliebten 38er-Wagen entert und noch einmal von Grinzing zum Schottentor steuert) und fährt fort: »Wenn Wien nicht wär, dann müßt man Wien erfinden.« Forst, ein Großmeister des Schmäh, dieser ortstypischen Mischung aus Sentimentalität und Ironie, läßt sich ganz tief fallen in die Heurigenseligkeit, in den Dreivierteltakt, in die Erinnerung an ein Gestern, das nie etwas anderes war als eine schöne Erfindung, und er nimmt diesen Kitsch zugleich wie einen Jux auf die ganz leichte Schulter: »Der Zauber von Wien? Wie das schon klingt!«

R Willi Forst B Willi Forst, Kurt Nachmann, Hans Rameau K Günther Anders M Robert Pawlicki, Alfred Uhl A Werner Schlichting, Isabella Schlichting S Herma Sandtner P Herbert Gruber D Hans Holt, Erika Remberg, Adrian Hoven, Hertha Feiler, Paul Hörbiger, Oskar Sima | A | 109 min | 1:1,37 | f | 19. Dezember 1957

17.12.57

Night of the Demon (Jacques Tourneur, 1957)

Der Fluch des Dämonen

»It’s in the trees! It’s coming!« Ein amerikanischer Wissenschaftler (felsenfest: Dana Andrews) reist nach England, um an einer Tagung über parapsychologische Phänomene teilzunehmen; als hartgesottener Rationalist will er, trotz zahlreicher deutlicher Hinweise, partout nicht an die dämonischen Kräfte glauben, die der Anführer eines Satanskultes (schillernd: Niall MacGinnis) zu entfesseln in der Lage ist. Jacques Tourneur erzählt, in der Tradition seiner andeutend-gespenstigen Low-Budget-Horrorfilme für den Produzenten Val Lewton, von Schwarzer Magie und Flüchen in uralter Geheimschrift, vom hellen Licht der Aufklärung und den harten Schatten, die es wirft. Eine spleenig-finstere Studie über das Böse (und wie es in die Welt kommt), deren Schrecken von zwei allzu markanten Auftritten eines godzillahaften Feuergeistes (Monsterdesign: Ken Adam) allerdings leicht gemildert wird. (»Maybe it’s better not to know.«)

R Jacques Tourneur B Charles Bennett, Hal E. Chester V M. R. James K Ted Scaife M Clifton Parker A Ken Adam S Michael Gordon P Frank Bevis, Hal E. Chester D Dana Andrews, Peggy Cummins, Niall MacGinnis, Athene Seyler, Liam Redmond | UK | 96 min | 1:1,85 | sw | 17. Dezember 1957

# 1141 | 3. Januar 2019

Legend of the Lost (Henry Hathaway, 1957)

Stadt der Verlorenen

»How could it happen?« – »It happens ...« Drei Menschen in der Wüste Sahara: der hartgesottene Abenteuer Joe January (John Wayne), der besessene Schatzsucher Paul Bonnard (Rossano Brazzi), das gefallene Mädchen Dita (Sophia Loren) – unterwegs von Timbuktu auf der Suche nach dem sagenhaften Goldland Ophir. Aus der brisanten Dreiecksbeziehung der Protagonisten, allesamt so etwas wie Gestrandete in ihrer jeweiligen Biographie, entspinnt Henry Hathaway ein intimes (Melo-)Drama in endloser Weite. Jack Cardiffs prachtvolle Traum-, Wunsch- und Geisterbilder (in Technicolor und Technirama) schwelgen einerseits in lyrisch-märchenhaften Exotismus, bieten andererseits die Folie für die Darstellung psychologischer Spannungsfelder von Tugend und Versuchung, Herzensträgkeit und Mitleid, Einsamkeit und Nähe, Glaube und Desillusion. In den Ruinen einer im Sand verronnenen Stadt spitzt sich die Krise zu, an einem mit bloßen Händen gegrabenen Wasserloch erfahren die verlorenen Seelen ihre Katharsis. »One gets to imagine strange things in the desert.« – »Yeah, one meets them too!«

R Henry Hathaway B Ben Hecht, Robert Presnell K Jack Cardiff M A. F. Lavagnino A Alfred Ybarra Ko Gaia Romanini S Bert Bates P Henry Hathaway D John Wayne, Sophia Loren, Rossano Brazzi, Kurt Kasznar | USA & I | 109 min | 1:2,35 | f | 17. Dezember 1957

# 1186 | 8. Januar 2020

16.12.57

Une parisienne (Michel Boisrond, 1957)

Die Pariserin

»Une parisienne« ist nicht irgendein Mädchen sondern die Tochter des französischen Staats­ratspräsidenten; gespielt wird sie nicht von einer x-beliebigen Schauspielerin sondern von der reschen BB. Brigitte, so heißt sie der Einfachheit halber auch im Film, wirft sich (unbegreiflicherweise) Michel (klobig: Henri Vidal), dem schwerenöterischen Kabinettschef ihres Vaters, an den Hals, der wiederum (unbegreiflicherweise) zunächst nichts von seiner über aus willigen Verehrerin wissen will. Als Michel auch nach der (unbegreiflichen) Hochzeit seine diversen Affären weiterpflegt, poussiert Brigitte mit einem attraktiv-gereiften prince charming (Charles Boyer) – natürlich nur um den geliebten Gatten eifersüchtig zu machen ... Regisseur Michel Boisrond läßt eine blödsinnig-solide Boulevardkomödie abrollen, in der nach Herzenslust mit Türen geknallt oder mit Langusten geschmissen wird, und schafft dabei jede Menge absurder Gelegenheiten, um Dekolleté, Schmollmund und andere unleugbare körperliche Vorzüge der BB appetitlich zu präsentieren.

R Michel Boisrond B Annette Wademant, Jean Aurel, Jacques Emmanuel, Michel Boisrond K Marcel Grignon M Henri Crolla, André Hodair, Hubert Rostaing A Jean André S Claudine Bouché P Francis Cosne D Brigitte Bardot, Charles Boyer, Henri Vidal, André Luguet, Noël Roquevert | F & I | 86 min | 1:1,37 | f | 16. Dezember 1957