31.3.67

Le scandale (Claude Chabrol, 1967)

Champagner-Mörder
 
Der Wahnsinn des Geldadels, dargestellt an Hand einer serienmörderischen Familienintrige unter Champagner-Produzenten: Maurice Ronet als dekadenter Lebemann mit (vielleicht todbringenden) Absencen, Anthony Perkins als hochgeschlafener Gigolo mit weit­reichenden Ambitionen, Yvonne Furneaux als ehrgeizige Geschäftsfrau ohne Fortune, Stéphane Audran als eiskaltes Biest mit vielen Talenten. Leider entwickelt der (reichlich unübersichtliche) satirisch-schwarzhumorige Krimiplot – trotz mehrerer Strangulierungen sowie Ausflügen in neppige Hamburger Vergnügungstempel und auf radikalschicke Pariser Künstlerpartys – kaum prickelnde Spannung. Claude Chabrols Gesellschaftskritik bleibt dekoratives L’art pour l’art (immerhin in eleganten Techniscope-Kompositionen von Jean Rabier), und lediglich die Schlußszene des Films findet für die (selbst-)zerstörerische Energie der gehobenen Klasse ein überzeugendes Bild.

R Claude Chabrol B Claude Brulé, Derek Prouse K Jean Rabier M Pierre Jansen A Rino Mondellini S Jacques Gaillard P Raymond Eger D Anthony Perkins, Maurice Ronet, Yvonne Furnaux, Stéphane Audran, Henry Jones | f | 99 min | 1:2,35 | f | 31. März 1967

17.3.67

2 ou 3 choses que je sais d’elle (Jean-Luc Godard, 1967)

Zwei oder drei Dinge, die ich von ihr weiß

Sie, das ist Marina Vlady, die Hauptdarstellerin. Sie, das ist Juliette Janson, die Protagonistin. Sie, das ist die Region Paris. Sie, das ist die Welt, in der wir leben, eine Welt, die mit herkömmlichen erzählerischen Mitteln nicht mehr zu erfassen, verstehen, beschreiben ist. Jean-Luc Godard verlegt sich auf die soziologische Collage, füllt ein phänomenologisches Sammelalbum, geht auf Forschungsreise durch eine Gegenwart, die längst schon Zukunft ist, (er)findet das Universum in einer Espressotasse. 24 Stunden aus dem Alltag einer Hausfrau und Mutter – die (wie viele ihrer Standesgenossinnen) nachmittags anschaffen geht, um die Familienkasse aufzubessern – bilden die Referenzfläche für Beobachtungen von (lebendigen) Dingen und (toten) Menschen, für Gedanken zu Sprache und Wahrheit, für Betrachungen über Liebe und Kapitalismus. Zu Raoul Coutards hyperästhetisch-analytischen Techniscope-Einstellungen reflektiert, spekuliert, schwadroniert, doziert, philosophiert Godard aus dem Off mit gepreßter Flüsterstimme (als gäbe er wohlgehütete Geheimnisse preis) unter anderem über die Unbewohnbarkeit der Städte, über das Leben als Comic-Strip, über den Krieg in Vietnam, über die Gestapo der Strukturen, über die Welt als Bordell.

R Jean-Luc Godard B Jean-Luc Godard V Catherine Vimenet K Raoul Coutard Ko Gritt Magrini S Françoise Collin P Anatole Dauman, Raoul Lévy D Marina Vlady, Anny Duperey, Roger Monsoret, Raoul Lévy, Juliet Berto | F | 87 min | 1:2,35 | f | 17. März 1967

# 1190 | 12. Januar 2020

16.3.67

Fantômas contre Scotland Yard (André Hunebelle, 1967)

Fantomas bedroht die Welt 

Maske in Blau – Teil 3. Nach Abenteuern in Paris und Rom wird die Jagd auf den metamorphischen Bösewicht im schottischen Hochland fortgesetzt. Das Genie des zweckfreien Verbrechens hat sein Interesse auf schnöden Gelderwerb verlagert und plant, den vermögendsten Männern der Welt eine Sonderabgabe auf ihr Leben abzupressen – Motto: »Das Funktionieren jeder Gesellschaftsform basiert auf einem straffen Steuersystem.« Die räumliche Beschränkung der Erzählung auf Schloß und Park eines steinreichen Landedelmannes rückt »Fantômas contre Scotland Yard« vollends in die Nähe gediegen-spleeniger Krimiunterhaltung, die durch zahlreiche ungebremste Auftritte von Louis de Funès schwere Schlagseite ins Drollig-Burleske bekommt.

R André Hunebelle B Jean Halain, Pierre Foucaud V Pierre Souvestre, Marcel Allain K Marcel Grignon M Michel Magne A Max Douy S Pierre Gillette P Paul Cadéac, Alain Poiré D Jean Marais, Louis de Funès, Mylène Demongeot, Françoise Christophe, Jean-Roger Caussimon | F & I | 104 min | 1:2,35 | f | 16. März 1967

15.3.67

In Like Flint (Gordon Douglas, 1967)

Derek Flint – hart wie Feuerstein

»An actor? As president?« Auch im Sequel darf James Coburn als Derek Flint alle 64 Zähne blecken und die Welt vor dem Verderben retten. Diesmal geht es gegen eine internationale Schar von Amazonen, die während einer Golfpartie den US-Präsidenten kidnappen (und durch einen Schauspieler ersetzen – wie unwahrscheinlich!), danach die amerikanische Weltraumstation samt Nuklearwaffen unter ihre Kontrolle bringen, um die allgemeine Weiberherrschaft zu errichten. Flint kann nicht nur mit Delphinen sprechen, er versteht es auch, die (von Ray Aghayan absurd-stylisch gewandeten) machthungrigen Megären von den Qualitäten des männlichen Geschlechts zu überzeugen – womit er die Sache noch einmal (ein letztes Mal?) zugunsten des Patriarchats wendet. Lee J. Cobb gibt in »In Like Flint« (neben­bei: ein toller Titel!) einmal mehr den väterlichen Chef und entnervten Bewunderer des geheim­dienstlichen Supermannes (und -machos).

R Gordon Douglas B Hal Fimberg K William H. Daniels M Jerry Goldsmith A Dale Hennessy, Jack Martin Smith S Hugh S. Fowler P Saul David D James Coburn, Lee J. Cobb, Jean Hale, Andrew Duggan, Anna Lee | USA | 114 min | 1:2,35 | f | 15. März 1967

8.3.67

Les demoiselles de Rochefort (Jacques Demy, 1967)

Die Mädchen von Rochefort

»Aimer la vie, aimer les fleurs, / Aimer les rires et les pleurs, / Aimer le jour, aimer la nuit, / Aimer le soleil et la pluie …« Gewiß, es gibt auch so etwas wie eine Fabel in »Les demoiselles de Rochefort« – Delphine und Solange, Zwillingsschwestern (gespielt von den Schwestern Catherine Deneuve und Françoise Dorléac in ihrem einzigen gemeinsamen Film), geboren unter dem Zeichen der Zwillinge, blonde Tänzerin die eine, rothaarige Pianistin die andere, sind auf der Suche nach dem Traumprinzen, derweil zwei Männer, Maxence (Jacques Perrin), ein romantischer Seemann, und Andy (Gene Kelly), ein amerikanischer Komponist, nach der Frau fürs Leben fahnden –, aber wie in (fast) jeder musikalischen Komödie dient das Handlungsgerüst in allererster Linie als Schnur, auf die, mit poetischem Stilwillen und unbändiger Spielfreude, Situationen und Gefühle, Augenblicke und Energien gefädelt werden. »… Aimer l'hiver, aimer le vent, / Aimer les villes et les champs, / Aimer la mer, aimer le feu, / Aimer la terre pour être heureux.« Jacques Demy setzt eine ganze Stadt Bewegung, streicht Fassaden und Fensterläden in süßesten Pastelltönen (Dekor: Bernard Evain – inspiriert von Raoul Dufy), er steckt die Frauen in knallbunte Kleider und setzt ihnen fantastische Hüte auf, er läßt die Herren durch Straßen und über Plätze tanzen, während Michel Legrand die furiose Jagd nach dem Glück in überirdisch-außerzeitliche, dabei ganz im Hier und Jetzt eines hochsommerlichen Provinznests verortete Melodien kleidet – Herzen im Fieber, Transzendenz der Existenz. Eine wolkenlose Breitwand-Vision von Schaustellern und Matrosen, von Müttern und Mördern, von Künstlern und Krämern, von lächerlichen Namen und von der Liebe, die (wohlmeinend, wie es scheint) ihr Gesetzt diktiert. PS: »Dans la vie tout nous est facile.«

R Jacques Demy B Jacques Demy K Ghislain Cloquet M Michel Legrand A Bernard Evein S Jean Hamon P Mag Bodard D Catherine Deneuve, Françoise Dorléac, Jacques Perrin, Gene Kelly, Danielle Darrieux, Michel Piccoli | F | 120 min | 1:2,35 | f | 8. März 1967