28.10.58

Party Girl (Nicholas Ray, 1958)

Das Mädchen aus der Unterwelt

Ein film noir in leuchtenden Farben (vor allem Rot – in allen Schattierungen), ein revuehaftes gangster movie, ein zuckriges Melodram. Wohl keiner bannte das wilde Chicago der Mobster so märchenhaft-imaginär, so schwärmerisch-sentimental auf Zelluloid wie Nicholas Ray. »Party« Girl handelt von leichten und von schweren Wegen, von alter Partnerschaft und von großer Liebe, vom berechenbaren und vom unberechenbaren Wahnsinn – dies alles veranschaulicht an den Beziehungen zwischen einer innerlich blessierten Tänzerin (Cyd Charisse als ›Vicki Gaye‹), die ihre Gesellschaft verkauft, einem hinkenden Anwalt (Robert Taylor als ›Tommy Farrell‹), der sein Talent feilbietet, und einem Unterweltboss (Lee J. Cobb als ›Rico Angelo‹), der wie ein verrückter König über sein kriminelles Reich herrscht (und schon mal ein Foto von Jean Harlow erschießt, weil sie geheiratet hat – aber nicht ihn). So wie Tommy Geschworene mit rührenden Geschichten einlullt und Freisprüche für sichere Todeskandidaten herausschlägt, so spinnt der große Nick aus dem filmischen Stroh abgedroschener Geschichten und auserzählter Figuren ein hochmusikalisches, schillernd-überkandideltes Breitwand-Prachtstück.

R Nicholas Ray B George Wells K Richard Bronner M Jeff Alexander A Randall Duell, William A. Horning S John McSweeney Jr. P Joe Pasternak D Robert Taylor, Cyd Charisse, Lee J. Cobb, John Ireland, Kent Smith | USA | 99 min | 1:2,35 | f | 28. Oktober 1958

Wir Wunderkinder (Kurt Hoffmann, 1958)

»Leute, genießt bloß die Nachkriegszeit / denn bald wird sie wieder zur Vorkriegszeit!« Wenn der bundesdeutsche Film der 1950er Jahre gesellschaftskritisch sein will, greift er gerne zu den Mitteln des Kabaretts; so auch Kurt Hoffmann, der das Duo Neuss/Müller als singende Conférenciers einer flotten Epochenrevue besetzt. Die beiden Wolfgangs erzählen launig die Lebensgeschichte zweier Klassenkameraden, die sich – der eine recht, der andere schlecht – durch die Zeitläufte lavieren. Hans (zahnlos: Hansjörg Felmy) – anständig und duckmäuserisch (= gut deutsch) – und Bruno (dynamisch: Robert Graf) – einnehmend und mitlaufend (= böse deutsch) – machen jeweils ihren Weg, wie sie können und wie es ihnen charakterlich gegeben ist. »Wir Wunderkinder« (der so heißt »weil es nach allem, was wir erlebt haben, ein Wunder ist, daß wir Kinder dieses Jahrhunderts überhaupt noch leben«) unterhält auf hohem visuellen und musikalischen Niveau, vermeidet jedoch konsequent den Blick in die historischen Abgründe.

R Kurt Hoffmann B Heinz Pauck, Günter Neumann V Hugo Hartung K Richard Angst M Franz Grothe A Franz Bi, Max Seefelder S Hilwa von Boro P Hans Abich D Hansjörg Felmy, Robert Graf, Johanna von Koczian, Wera Frydtberg, Elisabeth Flickenschildt | BRD | 107 min | 1:1,66 | sw | 28. Oktober 1958

17.10.58

Die Trapp-Familie in Amerika (Wolfgang Liebeneiner, 1958)

Zweiter Teil der Familiensaga: Die sangesfrohen Trapps tun sich schwer in der Neuen Welt – ihre glockenhellen Stimmen lassen sich nicht in klingende Münze umsetzen. Bis die exilierte österreichische Sippschaft (zufällig) erkennt, worauf das zahlende US-Publikum anspringt, braucht es einen ganzen Spielfilm mit vielen frustrierenden Umwegen, inklusive einer kuriosen Lektion in Sachen sex-appeal für die nonnenhafte, doch stets unverzagte Chormutter (Ruth Leuwerik). Herbert Reineckers Drehbuch reiht eher unkonzentriert Episode an Episode, läßt aber gerade durch seine dramaturgische Gleichgültigkeit viel Raum für atmosphärische Impressionen. »Außenaufnahmen in Amerika« verkündet nicht ohne Stolz der Titelvorspann – und genau hier liegt der Reiz des Streifens: Eine neugierige, suchende, mal verblüf­fend freudlose, mal unwillkürlich staunende Kamera (Werner Krien) schafft – zumindest in den an Original-Schauplätzen gedrehten Passagen – eine im bundesdeutschen Kino der 1950er Jahre seltene Unmittelbarkeit. »Die Trapp-Familie in Amerika« ist dabei nicht nur simpler Werbeprospekt für den treuen Glauben an ein besseres Morgen im Pursuit-of-Happiness-Kapitalismus; Wolfgang Liebeneiner beschwört vielmehr (in Zeiten von millionenfacher Entwurzelung und schwierigem Neubeginn) die unverlierbare innere Heimat des Menschen: »Ich hab’ früher ein Lied so gern gehabt: ›Kein schöner Land in dieser Zeit‹.« – »Welches Land meinen Sie denn?« – »Kann das nicht jedes Land sein?«

R Wolfgang Liebeneiner B Herbert Reinecker V Maria Augusta Trapp K Werner Krien M Franz Grothe A Robert Herlth, Gottfried Will S Margot von Schlieffen P Ilse Kubaschewski, Utz Utermann D Ruth Leuwerik, Hans Holt, Josef Meinrad, Wolfgang Wahl, Adrienne Gessner | BRD | 104 min | 1:1,37 | f | 17. Oktober 1958

16.10.58

Peter Voss, der Millionendieb (Wolfgang Becker, 1958)

»Die Erde«, schrieb E. G. Seeliger, der Erfinder des Millionendiebes Peter Voss, »ist der Omnibus der freien Menschheit auf ihrer Reise durch die Ewigkeit.« Zwischen dieser absurd-poetischen Erkenntnis und Wolfgang Beckers biederbunter Adaption des oft und gern verfilmten deutschen Abenteuerromans liegen Welten. Dabei klingt die Prämisse recht hübsch: Peter Voss (O. W. Fischer) fingiert einen Einbruch, um einem befreundeten Bankier, dem vorübergehend ein größerer Betrag fehlt, aus der Patsche zu helfen, und flieht sodann, verfolgt von echten Räubern und dem leicht vertrottelten Versicherungsdetektiv Bobby Dodd (Walter Giller), rund um den Globus … »Die Außenaufnahmen wurden in Berlin – Hamburg – Genua – Marseille – Barcelona – Lissabon – Rio de Janeiro – Mexico – Tokio und Hongkong gedreht«, prahlt der Vorspann; die Inszenierung läßt sich jedoch zu keinem Zeitpunkt auf die fremden Orte ein, frühstückt nur hektisch ab, findet, wie ein bornierter Tourist, gerade mal obligate Klischees – wenn überhaupt. Hin und wieder läßt der Film comichaften Charme spielen, etwa wenn sich Peter Voss am brennenden Wrack seines Sportwagens eine Zigarette anzündet oder wenn er in die Rolle eines gefeierten Stierkämpfers schlüpft, um seinen Häschern zu entkommen, aber zumeist degradiert Fischers spöttische Monomanie den nonchalanten Glücksritter zum eitlen Gecken.

R Wolfgang Becker B Curt J. Braun, Gustav Kampendonk V E. G. Seeliger K Klaus von Rautenfeld, Günther Senftleben M Hans-Martin Majewskis A Hanns H. Kuhnert S Klaus M. Eckstein P Kurt Ulrich D O. W. Fischer, Ingrid Andrée, Walter Giller, Margit Saad, Peter Mosbacher | BRD | 111 min | 1:1,37 | f | 16. Oktober 1958

10.10.58

Les tricheurs (Marcel Carné, 1958)

Die sich selbst betrügen

»Cinquante ans de pagaille derrière eux … et sans doute autant devant.« Wenn einer, der die Mitte des Lebens hinter sich gelassen hat, über die »Jugend von heute« spricht, wird es schnell fragwürdig. Auch Marcel Carnés bald konsterniert-kritischer, bald wohlmeinend-sentimentaler Blick auf die Kinder des Zeitalters von Angst und Konsum ist nicht frei von Altherrenhaftigkeit. Sein Pariser Sittenbild zeigt eine Bande von spätexistenzialistischen Mädchen und Jungen, die sich mit hektischer Gleichgültigkeit in ihre Tage und Nächte fallen lassen, radikal antiemotional, vom Leben zum Streben gelangweilt. Sie sind nicht unmoralisch, weil konventionelle Wertmaßstäbe für sie überhaupt keine relevante Kategorie mehr darstellen, sie sind nicht revolutionär, weil ihnen die Gesellschaft, die sie umgibt, vollkommen alternativlos erscheint. »Les tricheurs« beschreibt dieses (in allen Rollen hervorragend besetzte) jazzig-indolente Milieu aus der Perspektive des bourgeoisen Abiturienten Bob, der sich in Mic verliebt, die (vermeintlich!) keinen anderen Wunsch hegt, als einen Jaguar zu besitzen. Zwei Szenen stechen heraus: die Rettung einer Katze von einem fast unerreichbaren Dachgesims, ein provokanter Wettkampf mit dem eigenen Tod; ein Wahrheitsspiel, in dem jede Frage mit einer Lüge beantwortet wird, damit ja nicht der Eindruck entstehe, irgendeiner der (Un-)Beteiligten könnte Gefühle hegen. Carné sucht die Erklärung für dieses (auto-)destruktive Verhalten in den Zeitläuften: Nach zwei Weltkriegen und vor einem möglichen dritten – was wolle, könne, solle man da vom Nachwuchs noch erwarten? Mit seiner Betrachtung derer, die sich selbst betrügen, sitzt er jedoch (bei aller formalen Beweglichkeit, die ihm als Meister der Kinematographie zu Gebote steht) einem höchstpersönlichen Selbstbetrug auf: der Vorstellung, ein Mann von fünfzig könnte die Welt der Zwanzigjährigen allein mit der poetisch-realistischen Einfühlung seiner eigenen nachgeträumten Jugend ergründen.

R Marcel Carné B Marcel Carné, Jacques Sigurd K Claude Renoir M diverse A Paul Bertrand S Albert Jurgenson P Robert Dorfmann D Jacques Charrier, Pascale Petit, Laurent Terzieff, Andréa Parisy, Roland Lesaffre | F & I | 120 min | 1:1,66 | sw | 10. Oktober 1958

3.10.58

Popiół i diament (Andrzej Wajda, 1958)

Asche und Diamant

Frieden als Fortsetzung des Krieges mit anderen (?) Mitteln … Polen, 8. Mai 1945. Die Deutschen haben kapituliert, der Kampf geht weiter: Maciek, Soldat der widerständigen nationalen ›Heimatarmee‹, erhält den Auftrag, einen kommunistischen Funktionär zu liquidieren. Andrzej Wajda erzählt die (reichlich schäbige) Geschichte im Stil eines expressiven film noir (Kamera: Jerzy Wójcik), angereichert mit vollfetten Symbolismen: kopfüberhängende Christusfiguren, wehende weiße Wäsche, herrenlos umherirrende Pferde, ein großer Schicksalsdialog auf dem Abort, eine besoffene Polonaise (!) im Morgengrauen, ein wimmernder Tod auf der Müllkippe. In dem Maße wie »Popiół i diament« (statt beflissen-wirklichkeitsheischende Rekonstruktion zu betreiben) das Geschehen als kristallklaren Alptraum entwickelt, weitet sich die historische Fußnote zum großen geschichtlichen Gleichnis – und Zbigniew Cybulski reiht sich mit seiner Darstellung des aus Sein und Zeit gefallenen, sonnenbebrillten Untergrundkämpfers Maciek Chełmicki (neben James Deans Jim Stark und Jean-Paul Belmondos Michel Poiccard) in die Reihe der unsterblichen, immerjungen Helden des (tragischen) filmischen Rebellentums.

R Andrzej Wajda B Jerzy Andrzejewski V Jerzy Andrzejewski K Jerzy Wójcik M Filip Novak A Roman Mann S Halina Nawrocka P Stanisław Adler D Zbigniew Cybulski, Ewa Krzyżewska, Wacław Zastrzeżyński, Adam Pawlikowski, Bogumił Kobiela | PL | 103 min | 1:1,66 | sw | 3. Oktober 1958