29.7.66

Schwarzer Markt der Liebe (Ernst Hofbauer, 1966)

»Für eine ausgedehnte Tournee durch den Nahen Osten sucht die Direktion einige gutaussehende Mädchen mit Tanzkenntnissen.« Der alerte Harald von Gröpen (Claus Tinney) und sein flotter Kompagnon Rolf (Rolf Eden) locken gutgläubige Fräuleins in die Falle und verhökern das Frischfleisch an den Meistbietenden – wobei die Abnehmer auch schon mal blutig über den Löffel balbiert werden. Nachdem er sich in Genua lebensgefährliche Schwierigkeiten eingehandelt hat, entwischt Harald nach Westberlin, wo er gutgebauten Nachschub zu organisieren gedenkt … Ernst Hofbauer präsentiert nicht nur die allbekannten Attraktionen der Halbstadt – Europa-Center und Funkturm, Café Kranzler und Kurfürstendamm –, er bietet auch ein indiskretes Röntgenbild ihres verborgenen (und verdorbenen) Innenlebens. Die Handlung des Films, »frei erfunden« nach einem »Tatsachenbericht«, kurvt um diverse weibliche Rundungen, hinterläßt ein paar Leichen, mündet schließlich in eine halluzinatorische Marihuana-Party. Anwesend sind – neben einer (noch) unberührten Blondine – allerlei trübe Gestalten, die verschlagen in die Kamera grinsen: Laura, seine Exzellenz, Dr. Bergheim, Antoinette, Nicole, Madame Nahid, Mr. Simoni mit Gattin Gertrud sowie die lesbische Gräfin Chodkowski (Tilly Lauenstein), Besitzerin einer Unterwäsche-Boutique und eigennützige Sponsorin der skrupellosen Mädchenhändler. (Es fehlt allerdings Konsul Karbach, der nur dann in Ekstase gerät, wenn vor seinen Augen acht oder zehn weiße Mäuse totgetrampelt werden.) Irgendwie erinnert die ebenso lüsterne wie gefühllose Festgesellschaft an das bizarre Gelichter, das Patrick Modiano in seinen phantastisch-realistischen Pariser Okkupationsromanen beschreiben wird. Ein Percussion-Solo des Jazzmusikers Toby Fichelscher – im Vorspann »Bongo Tobby« genannt – liefert den frenetischen Sound dieser abgrundtiefen, alptraumgeschwängerten Nacht, die für alle Beteiligten ein böses Erwachen bereithält.

R Ernst Hofbauer B Ernst Hofbauer K Günter Knuth, Andreas Demmer, Peter Baumgartner M Frank Valdor A Rudolf Attinger, Oskar Pietsch S Ursula Kahlbaum, Eva Zeyn P Erwin C. Dietrich D Claus Tinney, Rolf Eden, Uta Levka, Astrid Frank, Tilly Lauenstein | BRD | 83 min | 1:1,66 | sw | 29. Juli 1966

# 918 | 13. November 2014

14.7.66

Torn Curtain (Alfred Hitchcock, 1966)

Der zerrissene Vorhang

Brian Moore, der irische Schriftsteller, der das Drehbuch zu »Torn Curtain« verfaßte, meinte über das Skript selbstkritisch, daß er es weggeschmissen hätte, wenn es einer seiner Romane gewesen wäre. Auch sonst läßt sich über Alfred Hitchcocks fünfzigsten Film kaum Positives sagen: Die Spionage-Story um einen amerikanischen Wissenschaftler (lasch: Paul Newman), der in der DDR die entscheidende Komponente einer kernphysikalischen Formel auskundschaften will (wobei ihm ungebetenerweise seine Verlobte (bieder: Julie Andrews) hinterdreinkommt), funktioniert weder auf der emotionalen noch auf der Spannungsebene, ist dabei zumeist schwunglos inszeniert, häufig ungelenk geschnitten, (trick-)technisch oft genug nachlässig realisiert. Daß Hitchcock, dem an äußerem Realismus nie viel lag, bei der Darstellung der kommunistischen Ostzone jede Authentizität in die Tonne tritt, daß durch seine Gips-, Papp- und Rückpro-DDR idealistische Untergründler, marodierende russische Soldaten und durchgeknallte polnische Gräfinnen irrlichtern, wäre ihm nicht vorzuwerfen, hätte er die absurden Momente nur nicht so rar gesät. Größtes Manko des öden Streifens sind jedoch die aberwitzig fehlbesetzten Hauptrollen: ›Fast‹ Eddie Felson und Mary Poppins passen in einen Hitchcock-Thriller wie W. C. Fields in eine chorus line. Einen gewissen mimischen Ausgleich schaffen hier die deutschen Nebendarsteller Günter Strack, Hansjörg Felmy und – insbesondere! – Wolfgang Kieling (der kurze Zeit später selbst ins Weltfriedenslager übersiedeln sollte): Als lederbejackter Stasi-Scherge darf Letzterer plastisch veranschaulichen, wie schwierig es ist totzugehen.

R Alfred Hitchcock B Brian Moore K John F. Warren M John Addison A Hein Heckroth Ko Edith Head, Grady Hunt S Bud Hoffman P Alfred Hitchcock D Paul Newman, Julie Andrews, Lila Kedrova, Hansjörg Felmy, Wolfgang Kieling | USA | 128 min | 1:1,85 | f | 14. Juli 1966

13.7.66

How to Steal a Million (William Wyler, 1966)

Wie klaut man eine Million?

Der Pariser Kunstsammler Charles Bonnet (Hugh Griffith) nennt eine exquisite Kollektion sein eigen – außerdem betätigt er sich, ebenso leidenschaftlich wie befähigt, als Fälscher. Die Ausleihe einer (natürlich nachgemachten) Cellini-Venus an ein Museum bringt Bonnet unversehens in arge Bedrängnis: die Versicherung verlangt eine Echtheitsprüfung des Exponats. »We live in a crass, commercial world, with no faith or trust«, ereifert sich der Leihgeber, indes seine Tochter Nicole (ewig elfenhaft: Audrey Hepburn) einen von ihr überraschten Gentleman-Einbrecher (weltmännisch: Peter O’Toole) dazu überreden kann, die Statue aus dem schwergesicherten Ausstellungsraum zu entwenden ... William Wylers charmante, bisweilen etwas gemächlich inszenierte romantische Diebeskomödie erzählt mit leiser Ironie von den Freuden des Fälschens (»In his whole lifetime, van Gogh only sold one painting. Whereas I, in loving memory of his great tragic genius ... have already sold two.«), vor allem aber vom Wahnsinn des Sammelns. Das Prinzip des unbedingten Habenwollens verkörpert ein von Eli Wallach gespielter amerikanischer Tycoon, der sich (zum Nutzen aller Beteiligten) rettungslos in die von Meisterhand gefertigte Venus verliebt: »I want it! I just want to know that it's mine, that I own it, that I can touch it.«

R William Wyler B Harry Kurnitz, George Bradshaw K Charles Lang M Johnny (= John) Williams A Alexandre Trauner S Robert Swink P Fred Kohlmar D Audrey Hepburn, Peter O’Toole, Eli Wallach, Hugh Griffith, Charles Boyer | USA | 123 min | 1:2,35 | f | 13. Juli 1966

# 1041 | 9. Januar 2017

8.7.66

Operazione paura (Mario Bava, 1966)

Die toten Augen des Dr. Dracula

Um die Jahrhundertwende. Dr. Eswai wird in ein abgelegenes Dorf gerufen, wo sich merkwürdige Selbstmordfälle häufen. Der Mediziner gelangt an einen verwunschenen Ort, auf dem ein unnennbarer Fluch liegt. Das Klima aus Angst, Schuld, Verzweiflung und Sterbensmüdigkeit, die unlösbare Kettung ans Gestern, die nicht zu lokalisierende Geographie, die nicht einordenbaren Namen (Kruger, Schuftan, Hollander, Graps) – all dies läßt die kleine Gemeinde mit ihren moosbedeckten Ruinen, ihren labyrinthischen Gäßchen, ihrer von unsichtbarer Hand geläuteten Glocke wie eine Modellkulisse des alten, von der Bürde einer schrecklichen Geschichte bedrückten Europa erscheinen. »Operazione paura« präsentiert ein Kind als Inkarnation dieses Unglücks, den ruhelosen Geist der kleinen blonden Melissa, deren Ball immer wieder unheilverkündend durch die Szenen hüpft, deren gickerndes Lachen baldigen Tod verheißt … Mario Bavas spinnverwebte Elegie der (Selbst-)Zerstörung und des Zerfalls ist ein feingeschliffenes (Kino-)Juwel der Schwarzen Romantik, eine fantastische Wundertüte, vollgestopft mit Symbolen der Vergänglichkeit, ein dramatisches Renkontre von Ratio und Wahn, ein heimtückisches Familienstück, ein Hexentanz durch endlos vervielfachte Salons, in denen der Mensch sich selbst verfolgt, und – nicht zuletzt – ein kreativer Kratzfuß vor Hitchcock und Cocteau. Schwebende Kamerafahrten wechseln mit messerstichartigen Zooms, trostlose Kammern kontrastieren mit barocken Farbräumen, das Innen fällt ins Außen, und eine Wendeltreppe wird zum Auge, das ins Grauen blickt.

R Mario Bava B Romano Migliorini, Roberto Natale, Mario Bava K Antonio Rinaldi M Carlo Rustichelli A Alessandro Dell’Orco S Romano Fortini P Luciano Cantenacci, Nando Pisani D Giacomo Rossi-Stuart, Erika Blanc, Fabienne Dali, Piero Lulli, Giovanna Galletti | I | 85 min | 1:1,85 | f | 8. Juli 1966

4.7.66

Eye of the Devil (J. Lee Thompson, 1966)

Die schwarze 13 

Surreale Okkult-Phantasie, die den eleganten Pariser Aristokraten Philippe de Montfaucon (David Niven) samt Frau (Deborah Kerr) und Kindern aus der aufgeklärten Gegenwart in die archaische Welt seiner Vorfahren katapultiert: Wegen der drohenden dritten Mißernte in Folge wird der (Wein-)Gutsherr und Erbe einer tausendjährigen Tradition auf seine Besitzungen im Süden Frankreichs zurückgerufen, wo ein ganz besonderer Einsatz von ihm verlangt wird … »Eye of the Devil«, der – mit seinen fetzenhafte Assoziationen und irritierenden flash-forwards – passagenweise wirkt wie eine von Alain Resnais inszenierte »Twilight Zone«-Episode, erzählt einen culture clash zwischen skeptischem Rationalismus und magisch-fatalistischer Weltsicht, deren Widerstreit sich auch in der disparaten Besetzung und in J. Lee Thompsons bewußt inkongruenter Inszenierung spiegelt: Eingespielte Kinolegenden à la Niven und Kerr stehen Swinging-Sixties-Ikonen wie Sharon Tate und David Hemmings gegenüber, während expressive Lichtführung und verkantete Perspektiven des klassischen Gruselfilms mit hektischen Reißschwenks und demonstrativen Zooms kombiniert werden. Der Horror entwickelt sich indes weniger aus dem Mummenschanz, den eine Gruppe von schwarzen Kuttenträgern unter Führung eines diabolischen Priesters (Donald Pleasence) aufführt, das wahre Grauen liegt im leeren Gesicht des Opfers, das sich voller Glaubensinbrunst in sein Schicksal fügt, und in der finalen Erkenntnis, daß sich das Rad der dunklen Geschichte immer weiter drehen wird … 

R J. Lee Thompson B Robin Estridge, Dennis Murphy V Philip Loraine (= Robin Estridge) K Erwin Hillier M Gary McFarland A Eliot Scott S Ernest Walter P Martin Ransohoff, John Calley D Deborah Kerr, David Niven, Donald Pleasence, Sharon Tate, David Hemmings | UK | 96 min | 1:1,66 | sw | 4. Juli 1966