29.6.61

Goodbye Again (Anatole Litvak, 1961)

Lieben Sie Brahms?

»Goodbye Again« erzählt aus dem Leben einer sehnsüchtigen Frau von 40 Jahren (Ingrid Bergman), die sich nicht traut, an die wahre Liebe in Gestalt eines stürmischen Mittzwanzigers (Anthony Perkins) zu glauben, und stattdessen an der Seite ihres alerten, flatterhaften longtime companion (Yves Montand) verbittern wird. Die Romanvorlage von Françoise Sagan (»Aimez-vous Brahms?«) berührt durch knappe, kühle Melancholie, Anatole Litvaks Adaption buchstabiert den tristen Pariser Dreier melodramatisch aus: feuchte Augen (Bergman), überspanntes Lachen (Perkins), demonstrative Dackelfalten (Montand). Auch wenn Alexandre Trauner (Bauten), Georges Auric (Musik), Armand Thirard (Kamera) und der supporting cast (unter anderem Jessie Royce Landis als spleenige Mutter – was sonst?) vorzügliche Arbeit leisten, ist das Ganze weniger als die Summe seiner Teile. »It’s farewell and goodbye again, my love.«

R Anatole Litvak B Samuel A. Taylor V Françoise Sagan K Armand Thirard M Georges Auric A Alexandre Trauner S Bert Bates P Anatole Litvak D Ingrid Bergman, Yves Montand, Anthony Perkins, Jessie Royce Landis, Pierre Dux | USA & F | 120 min | 1:1,66 | sw | 29. Juni 1961

28.6.61

The Ladies Man (Jerry Lewis, 1961)

Zu heiß gebadet | Ich bin noch zu haben 

»Boy, what a little imagination can do!« Schnöde verlassen von seiner hübschen jungen Braut, schwört der nette College-Absolvent Herbert H. (= Herbert) Heebert (Jerry Lewis) sowohl seiner Heimatstadt Milltown, New Jersey (»a very nervous little community«), als auch der Damenwelt ab und geht nach Westen. In Holly­wood, California, tritt der tief traumatisierte Mann eine Stelle als Mädchen für alles im boarding house der Ex-Operndiva Mrs. Wellenmellon an. Was Herbert Herbert zunächst nicht weiß: Die exklusiven Pension beherbergt ausschließ­lich hübsche junge Frauen … Auch in seinem Regie-Zweitling reiht Lewis eine (ziemlich) zusammenhanglose Folge von (mehr oder weniger) witzigen Szenen und körpersprachlichen Exzessen aneinander; und wie in »The Bellboy« steht eine überwältigende Architektur im Zentrum der Inszenierung: Ein mehrstöckiges Puppenhaus (mit Treppen und Galerien, mit Fahrstuhl und Dutzenden von plüschigen Salons), ein Märchenschloß der Kinophantasie (inklusive eines verbotenen Zimmers) übernimmt die eigentliche Hauptrolle, bietet Raum für schrullige Choreographien, gewährt hinreißende Ein-, Aus-, An- und Durchblicke (und verwandelt sich sogar in ein Live-Fernsehstudio). Lewis, an der Erkundung der Geschlechterordnung kaum interessiert (nicht einmal im Hinblick auf deren komödiantische Möglichkeiten), gesteht den Puppen seines Spiels bestenfalls karikatureske Persönlichkeit zu, wartet dafür mit einer gefühligen Schlußmoral auf: »Nice persons are needed everywhere.«

R Jerry Lewis B Jerry Lewis, Bill Richmond K W. Wallace Kelley M Walter Scharf A Hal Pereira, Ross Bellah S Stanley Johnson P Jerry Lewis D Jerry Lewis, Kathleen Freeman, Helen Traubel, Pat Stanley, George Raft | USA | 95 min | 1:1,85 | f | 28. Juni 1961

# 790 | 4. November 2013

25.6.61

L'année dernière à Marienbad (Alain Resnais, 1961)

Letztes Jahr in Marienbad

»Laissez-moi, je vous supplie!« Ein Trugschloß. Ein Irrgarten. Darin ein Dreieck: sie (›A‹) und zwei Männer (›X‹ & ›M‹). Der eine ist möglicherweise ihr Mann, dem anderen begegnete sie eventuell letztes Jahr in Marienbad und versprach gegebenenfalls, mit ihm fortzugehen. Kino als ein »Vielleicht« in endlosen Variationen, als verschnörkeltes Durchspielen von (Un-)Möglichkeiten, als Verschlüsselung einer (unbekannten) Botschaft, als kühles Rätsel ohne Lösung, als Labyrinth ohne Eingang und Ausgang. Kino ohne Trennung von Wirklichkeit, Traum und (Wunsch-)Vorstellung, ohne Unterscheidung von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, ohne Gewißheit, ohne Möglichkeit der Orientierung. Kino als verwinkelter Korridor durch Raum und Zeit, als mäandrierender Sound, als Puzzle der (behaupteten) Erinnerungen, als barockes Theater der Starre, der Posen, des Geheimnisses. Dies alles in gestochen scharfen, ultrafiktiven, bald fließend bewegten, bald zu Tode gefrorenen Dyaliscope-Bildern (Kamera: Sacha Vierny) über einem feierlichen, weit ausgelegten Orgeltonteppich (Musik: Francis Seyrig). Die beiden Alains – Resnais (Regie) und Robbe-Grillet (Buch) – spielen ein Spiel mit dem Zuschauer, das dieser nicht gewinnen kann – aber (wenn er sich nicht frustrieren läßt) gerade deshalb immer wieder zu spielen beginnt: ein Spiel um Leere und Fülle, Versuch und Irrtum, Erinnern und Vergessen, alles und nichts. »Auf den ersten Blick schien es unmöglich, sich darin verlieren zu können … auf den ersten Blick.«

R Alain Resnais B Alain Robbe-Grillet K Sacha Vierny M Francis Seyrig A Jacques Saulnier S Henri Colpi, Jasmine Chasney P Pierre Courau, Raymond Froment D Delphine Seyrig, Giorgio Albertazzi, Sacha Pitoëff | F & I | 94 min | 1:2,35 | sw | 25. Juni 1961

24.6.61

Die Ehe des Herrn Mississippi (Kurt Hoffmann, 1961)

»Die Welt muß geändert werden.« Angelegt als schwarze Komödie über die Abgründe des Idealismus, präsentiert (und konfrontiert) Friedrich Dürrenmatts freie Adaption des eigenen Schauspiels eine Reihe von bühnengestaltgewordenen Motiven: das himmlische (≈ gnadenlose) Gesetz, die irdische (≈ repressive) Gerechtigkeit, den edelmütigen (≈ einfältigen) Humanismus, den undogmatischen (≈ zynischen) Pragmatismus, den instinktiven (≈ amoralischen) Lebenswillen. Verkörpert werden diese ethischen und sozialen Prinzipien von einem Generalstaatsanwalt und einem Berufsrevolutionär (beide begannen ihre Karriere als Angestellte im Bordell), von einem Arzt und einem Politiker, sowie von einer Dame der Gesellschaft. Preziöse, mit spöttischer Distanz vorgetragene Dialoge, absurd zugespitzte Verwicklungen, plakative Kabaretteffekte, ein synthetisch-symbolischer Handlungsort (»Europa-City«) betonen lehrhafte Tendenz und allgemeine Gültigkeit der gesellschaftskritisch-misanthropischen Staatsposse, die mit dem Triumph des gesinnungslosen Machtbewußtseins endet. Kurt Hoffmanns Neigung zum Spieluhrenhaft-Gespreizten kommt der betonten Künstlichkeit des Stücks durchaus entgegen, die politische Erkenntnisschärfe geht jedoch in der zwischen Komplexität und Konfusion schlingernden Dramaturgie dieser satirisch-melodramatischen Farce weitgehend verloren.

R Kurt Hoffmann B Friedrich Dürrenmatt V Friedrich Dürrenmatt K Sven Nykvist M Hans-Martin Majewski A Otto Pischinger, Hertha Hareiter S Hermann Haller P Lazar Wechsler, Artur Brauner D O. E. Hasse, Johanna von Koczian, Charles Regnier, Martin Held, Hansjörg Felmy | CH & BRD | 95 min | 1:1,66 | sw | 24. Juni 1961

# 928 | 3. Januar 2015