26.1.76

Cría cuervos (Carlos Saura, 1976)

Züchte Raben

»Cría cuervos y te sacarán los ojos.« Wörtlich: Züchte Raben, und sie hacken dir die Augen aus. Im übertragenen Sinne: Undank ist der Welt Lohn. Vielleicht aber auch: Der Mensch ist ein Produkt seiner Umwelt … Ein Familienfilm. Im Mittelpunkt stehen die kleine Ana (Ana Torrent) und die erwachsene Ana (Geraldine Chaplin), die sich in die Zeit ihrer Kindheit zurückversetzt, als kurz nacheinander ihr Vater und ihre Mutter (Geraldine Chaplin) starben. Gegenwart und Vergangenheit gehen ineinander über, Realität und Einbildung laufen zusammen; die filmische Erzählung taucht durch die Ströme der Erinnerung, in die Wirbel der Imagination. Ein Familienalbum ohne strenge Chronologie: Impressionen, Episoden, Momente. Ein großes, dunkles Haus, im Zentrum von Madrid gelegen und doch wie aus der Welt gefallen; ein verwilderter Garten hinter einer hohen Mauer; ein Swimmingpool ohne Wasser. Drei Töchter. Die Mutter, musikalisch, liebevoll, todunglücklich, schließlich unheilbar krank. Der Vater, ein weibstoller Offizier. Die Tante, frostig, kontrolliert, überfordert. Die warmherzige Perle. Die Großmutter, stumm, gelähmt, versunken in alte Fotos an der Wand. Ferne Träume, enttäuschte Hoffnungen, hartnäckige Ängste: eine düstere Kindheit, eine unglückliche Ehe, ein lebloses Leben, Hoffnung auf die erlösende Wirkung eines magischen Gifts, immer wieder der Tod (der Eltern, eines Meerschweinchens, des Patriarchen) und immer wieder der unverwandte Blick der kleinen Ana, oft direkt in die Kamera, die Erwachsenen, den Zuschauer wortlos betrachtend, abschätzend, fragend, abgestoßen und neugierig, erschrocken und verständnisvoll, kritisch und mitleidig. Leitmotivische Musik: ein traditioneller Pasodoble, ein melancholisches Klavierstück und ein zeitgenössischer Schlager: »Como cada noche desperté / Pensando en ti / Y en mi reloj todas las horas vi pasar / Porqué te vas.« In etwa: Wie jede Nacht wachte ich auf, an dich denkend, und auf meiner Uhr sah ich all die Stunden vorbeiziehen, weil du gehst … Unauflösliche Verbindung aus Imperfekt und Präsens: Ich, ich wachte auf, sah, damals; du aber, du gehst, immer wieder. Carlos Saura malt den Verfall einer Familie, die Paralyse einer überlebten Gesellschaft, erlaubt sich dennoch eine Art von happy ending: Schulanfang, junge Mädchen auf dem Weg zum Unterricht. Eintritt in eine freiere Zukunft?

R Carlos Saura B Carlos Saura K Teo Escamilla M diverse A Rafael Palmero S Pablo G. del Amo P Elías Querjeta D Geraldine Chaplin, Ana Torrent, Mónica Randall, Florinda Chico | E | 112 min | 1:1,66 | f | 26. Januar 1976

# 833 | 24. Januar 2014