23.11.73

Le magnifique (Philippe de Broca, 1973)

Der Teufelskerl

Comment détruire la réputation du plus célèbre agent secret du monde? … Die Zerstörung der Reputation des berühmtesten Geheimagenten der Welt – Bob Saint-Clar (mondän-machistisch: Jean-Paul Belmondo) – findet statt in der bescheidenen Wohnung des Pariser Pulp-Schriftstellers François Merlin (romantisch-verschlampt: Jean-Paul Belmondo), der im Auftrag eines schmierigen Schundverlegers (Vittorio Caprioli), umwölkt vom Rauch ungezählter Zigaretten, bereits 42 Abenteuer des umwerfenden Supermanns in seine klapprige Schreibmaschine gehackt hat … Philippe de Broca serviert einen Cocktail aus schrillbunter Actionfarce und zauberhafter Sozialburleske, ein amüsant-gewitztes Lust- und Frustspiel voller doppelter Erzählböden und fließender Übergänge zwischen Fiktion und Traum, Wille und Wahn: Immer wieder geraten dem zunehmend entnervten Zeilenschinder dichterische Erfindung und triste Wirklichkeit durcheinander, etwa wenn eine reale Putzfrau den Staubsauger plötzlich durch ein imaginiertes Feuergefecht am Strand von Mexiko schiebt, wenn sich der fiese Verlagsleiter in den mit allen Wassern der Bosheit gewaschenen albanischen Geheimdienstchef Karpov verwandelt, oder – in Sonderheit – wenn die von François heimlich angeschwärmte Studentin Christine (sexy-charmant: Jacqueline Bisset) zur rasanten Topspionin Tatiana (blasiert-betörend: Jacqueline Bisset) mutiert. Zum glücklichen Schluß läßt der Autor sein präpotentes Alter Ego genüßlich über die literarische Klinge springen – gleichermaßen ein Akt künstlerischer Emanzipation wie auch ein Abschied von virtualen Wunscherfüllungswelten.

R Philippe de Broca B Francis Veber, Jean-Paul Rappeneau, Philippe de Broca K René Mathelin M Claude Bolling A François de Lamothe S Henri Lanoë P Alexandre Mnouchkine, Georges Dancigers, Jean-Paul Belmondo D Jean-Paul Belmondo, Jacqueline Bisset, Vittorio Caprioli, Monique Tarbes, Hubert Deschamps | F & I | 93 min | 1:1,66 | f | 23. November 1973

# 1003 | 16. Mai 2016

15.11.73

Traumstadt (Johannes Schaaf, 1973)

»Flucht ist kein Ausweg.« Bundesdeutsche Gegenwart. Der Künstler Florian Sand (Per Oscarsson) sitzt im tiefen Loch einer Sinn- und Schaffenskrise, als ihn eine mysteriöse Offerte erreicht: Sein Schulfreund Klaus Patera lädt ihn ein, in die »Traumstadt« zu übersiedeln, einen Ort fernab der modernen Zivilisation, wo das Reich der absoluten Freiheit errichtet wurde. Zusammen mit seiner Frau Anna (Rosemarie Fendel), einer Börsenmaklerin, bricht Florian auf, reist durch felsige Wüstengegenden Zentralasiens, gelangt in ein biedermeierlich-mitteleuropäisch anmutendes Utopia – hier hat jeder Bürger das Recht, seine Individualität »unmittelbar und rein« zu verwirklichen, unter der Voraussetzung des völligen Respekts vor der Individualität des anderen, hier findet man das Domizil, das man sich immer schon wünschte, hier wird einem das Schnitzel serviert, bevor man sein Verlangen noch geäußert hat … Basierend auf dem einzigen Roman des visionären böhmischen Zeichners und Graphikers Alfred Kubin, inszeniert Johannes Schaaf einen Bilderstrom, der windungsreich vom Bizarr-Phantasmagorischen übers Panisch-Absurde ins Destruktiv-Apokalyptische flutet – Goya und Ensor, Buñuel und Fellini lassen grüßen. Pateras libertäre Wunschwelt (von Wilfried Minks genial als verplüscht-angestaubtes Puppenstuben-Shangri-La zwischen Trödelladen und Vorstadtkirmes ausgestattet) erweist sich schnell als geisttötender Alptraum ohne Ausweg: Totale Freiheit führt zur totalen Lähmung und mündet schließlich in totale Zerstörung. Auch der Film selbst nimmt sich (für den Betrachter nicht ganz unstrapaziös) das Recht zur bildwütigen Anarchie: Eine Fabel hängt lediglich fetzenhaft zwischen den Stationen dieses prunkvoll-assoziativen Happenings; es gelten die Gesetze der Décollage – bis nur noch ein schriller Schrei die Leinwand füllt.
R Johannes Schaaf B Johannes Schaaf, Rosemarie Fendel V Alfred Kubin K Gerard Vandenberg, Klaus König M Eberhard Schoener A Wilfried Minks S Russell Parker P Heinz Angermeyer D Per Oscarsson, Rosemarie Fendel, Eva Maria Meineke, Alexander May, Helen Vita | BRD | 124 min | 1:1,66 | f | 15. November 1973