30.4.58

Sie kannten sich alle (Richard Groschopp, 1958)

Auf der Teststrecke der volkseigenen Autowerke Isenau werden zwei Prototypen eines neuen Modells erprobt. Beide Wagen verunglücken. Einer der Fahrer stirbt. Wie sich herausstellt, war das Motoröl verunreinigt: Sabotage! Zwei hartnäckig-freundliche Herren vom Ministerium für Staatssicherheit übernehmen die Ermittlung. Wer in Isenau (einer fiktiven Kleinstadt irgendwo im Süden der DDR) hat Dreck am Stecken? Der technische Direktor oder die schwäbische Chefsekretärin, der knurrige Werkstattleiter oder dessen hübsche Tochter, der joviale Mechaniker oder der flotte Praktikant, der gerne in westlichen Krimis schmökert? Und welche Rolle spielt H. J. (!) Schott, der attraktive Besitzer einer privaten (!) Autoreparaturwerkstatt? Richard Groschopp läßt die schlichte Kalte-Kriegs-Krimi-Handlung ohne erkennbare formale Ambition auf das absehbare Ende zusteuern: die Übeltäter werden enttarnt und daran gehindert, sich ihrer gerechten Strafe durch illegalen Grenzübertritt zu entziehen. Die Stasi, dein Freund und Helfer, hat die böse Welt etwas besser gemacht. Moral: Vertrauen ist gut, Kontrolle ist besser – vor allem gegenseitige.

R Richard Groschopp B Carl Andrießen, Lothar Creutz, Richard Groschopp K Eugen Klagemann M Wilhelm Neef A Artur Günther S Friedel Welsandt P Werner Dau D Harry Hindemith, Erich Franz, Sonja Sutter, Horst Drinda, Ulrich Thein, Wolfgang Stumpf | DDR | 84 min | 1:1,37 | sw | 30. April 1958

# 976 | 9. November 2015

23.4.58

Touch of Evil (Orson Welles, 1958)

Im Zeichen des Bösen

»You’re a killer.« – »Partly. I’m a cop.« Der Noir-Thriller als Borderline-Erfahrung: In Los Robles, einer Kleinstadt an der Grenze zwischen Mexiko und den USA, werden ein wohlhabender Geschäftsmann und seine Geliebte durch eine Autobombe getötet. Die folgenden polizeilichen Ermittlungen bringen den amerikanischen Captain Hank Quinlan (monströs-verlottert: Orson Welles) und den mexikanischen Drogenfahnder Miguel Vargas (rational-gutmenschlich: Charlton Heston) professionell und emotional gegeneinander in Stellung – konstruiert der rassistische Quinlan, seinem kriminalistischem Beingefühl (»My game leg is startin’ to talk to me.«) folgend, schon mal passende Beweise, gerät der rechtschaffene Vargas (samt seiner frisch angetrauten blonden Ehefrau) in einen Strudel aus Heimtücke, Gewalt und Amoral ... Russell Mettys plakative Schwarzweiß-Fotografie scheut zur Veranschaulichung der prekären Zustände weder Weitwinkelverzerrungen noch schräge Perspektiven, während Henri Mancini Rock’n’Roll, Jazz und Pianolaklängen zu einem hektisch-aggressiven Soundtrack mixt. Orson Welles’ eigenwillige Kreuzung aus hysterisch-forciertem Genrestück und slam-poetischem Autorenfilm mißt der Aufklärung des explosiven Verbrechens konsequentermaßen deutlich weniger Bedeutung zu als der psychologische Sezierung einer ebenso überlebensgroßen wie selbstzerstörerischen Persönlichkeit und der schmuddelig-genießerischen Darstellung ihres unausweichlichen Untergangs. Quinlan, von Welles als ungeschlachter Fleischberg präsentiert, die Provinzkaffausgabe eines Charles Foster Kane oder Gregory Arkadin, ein Mann, dem das schmutzigste Mittel gerade recht ist, um sein Ziel zu erreichen, endet passenderweise in einem vermüllten Schlammloch – seine alte Flamme Tana (Marlene Dietrich als schwarzgelockte gypsy queen) zieht das unsentimentale Resümee: »He was some kind of a man. What does it matter what you say about people?«

R Orson Welles B Orson Welles V Whit Masterson (= Robert Allison Wade & H. William Miller) K Russell Metty M Hanry Mancini A Alexander Golitzen, Robert Clatworthy S Virgil Vogel, Aaron Stell P Albert Zugsmith D Orson Welles, Charlton Heston, Janet Leigh, Akim Tamiroff, Marlene Dietrich | USA | 95/111 min | 1:1,85 | sw | 23. April 1958

# 1093 | 29. Januar 2018

4.4.58

Montparnasse 19 (Jacques Becker, 1958)

Montparnasse 19

Porträt des Künstlers als armer Schlucker: »Montparnasse 19« verdichtet und überhöht (man könnte auch sagen: überzeichnet und verdunkelt) Ereignisse aus den letzten Jahren des Malers Amedeo Modigliani zum bitteren Schlußkapitel eines Lebens zwischen Inspiration und Mißerfolg, zwischen Genie und Untergang. Jacques Becker (der das Projekt vom verstorbenen Max Ophüls übernahm) verzichtet fast völlig auf stimmungsvolle Genreszenen aus der Pariser Bohème, konzentriert sich ganz auf den Abwärtsweg seines Protagonisten im Jahr 1919. Modigliani erscheint, trotz seiner persönlichen Tragödie, nicht als Sympathieträger: Er ist ein Ausbund an Selbstmitleid und Getriebensein, an Reizbarkeit und Besessenheit, er säuft wie ein Loch, er schlägt Frauen, er stößt alle Welt vor den Kopf. Gérard Philipe (der wenig später im selben jungen Alter wie Modigliani sterben wird) spielt den schwierigen Künstler hin- und hergerissen zwischen Kälte und Glut, spielt mal wie längst schon tot, mal wie geladen mit unzerstörbarer Energie. Im seinem Spannungsfeld: Lilli Palmer als spöttisch-distanzierte Journalistin; Anouk Aimée, als innig-ergebene Kunststudentin – zwei Liebende, jede auf ihre eigene hilflose Art. Im schwarzen Herz der Erzählung spukt Monsieur Morel, marchand de tableaux – Lino Ventura hat nur wenige Auftritte: ganz am Anfang, kurz im Hintergrund einer tristen Kaffeehaus-Szene, dann wieder, man hatte ihn schon vergessen, anläßlich einer erfolglosen Ausstellung des Malers, schließlich am Ende: Morel, Kenner und Geier, bringt mit dem Tod die Bestätigung des Talents, er kommt als nachträglicher Entdecker und als Teufel, der die Kunst zur profitablen Ware macht … Ein grausamer Film, melodramatisch und spröde, ungerührt und intensiv, ein Film ohne Rettung, ohne Gnade.

R Jacques Becker B Jacques Becker, Max Ophüls V Michel-Georges Michel K Christian Matras M Pauls Misraki A Jean d’Eaubonne S Marguerite Renoir P Henry Deutschmeister D Gérard Philipe, Anouk Aimée, Lilli Palmer, Gérard Séty, Lino Ventura | F & I | 108 min | 1:1,66 | sw | 4. April 1958

# 812 | 8. Dezember 2013

3.4.58

Nasser Asphalt (Frank Wisbar, 1958)

Nach dem Motto »Wenn ich darüber schreibe, muß es passiert sein.« schüttelt der quicke Nachrichtenhändler Cesar Boyd (Martin Held) in einem fort sensationelle Meldungen aus dem Ärmel. Sein Mitarbeiter Greg Bachmann (Horst Buchholz), ein enthusiastischer Reporter, den die Ambition schon einmal ins Gefängnis brachte, muß erfahren, daß es der bewunderte Chef bei der Newsfabrikation mit der Wahrheit nicht allzu genau nimmt, und entscheidet sich schließlich gegen ein Leben in der (einträglichen) Lüge … Will Trempers Drehbuch basiert auf der Story um die »Bunkermenschen von Gdingen«, die Anfang der 1950er Jahre internationales Aufsehen erregt hatte: Deutsche Soldaten sollen jahrelang in einem verschütteten Vorratsbunker der Wehrmacht in Polen überlebt haben – ersonnen hatte den Weltknüller wohl der Autor Curt Riess, ein Hansdampf in allen publizistischen Gassen, dem Tausendsassa Tremper eine Zeitlang als Rechercheur und »Schattenschreiber« diente. Von Frank Wisbar mit teilnahmsloser Steifheit in Szene gesetzt, verpuffen die dramatischen Möglichkeiten der druckschwarzen Geschichte in absehbar-oberflächlichen Debatten über journalistisches Ethos und den Warencharakter von Information. So überzeugt »Nasser Asphalt« (der im Gegensatz zur Versprechung, die der Titel macht, fast nur in Innenräumen spielt) weder als greller Revolverpresse-Artikel noch als analytischer Magazinbeitrag.

R Frank Wisbar B Will Tremper K Helmuth Ashley M Hans-Martin Majewski A Herbert Kirchhoff, Albrecht Becker S Klaus Dudenhöfer P Wenzel Lüdecke D Horst Buchholz, Martin Held, Maria Perschy, Gert Fröbe, Inge Meysel | BRD | 88 min | 1:1,66 | sw | 3. April 1958