30.6.73

Kanashimi no Beradona (Eichi Yamamoto, 1973)

Die Tragödie der Belladonna

Es war einmal vor der Revolution … Jeanne und Jean leben in einem kleinen Dorf. Sie lieben sich. Immer schon. Sie heiraten. Dann nimmt der böse Fürst für sich (und die seinen, derer es viele sind) das Recht der ersten Nacht in Anspruch. Die große Liebe zerbricht. Jeanne verschreibt sich den Mächten des Bösen: Sie wird ›Belladonna‹. Eichi Yamamoto gestaltet ein psychedelisch-aufgesextes Anime der Sonder(bar)klasse – der Teufel sieht anfangs aus wie ein feixendes Kondom, um sich peu à peu in einen roten Riesenphallus zu verwandeln, der Jeanne (und den Film) zu immer neuen kuriosen Höhepunkten treibt –, einen spröde animierten, eklektizistischen, feurig-blutig-durchgeknallten Art-Nouveau-Tuschkasten mit Neigung zu wüstem Kitsch und künstlerischer Enthemmung auf hohem Niveau.

R Eichi Yamamoto B Yoshiyuki Fukuda, Eichi Yamamoto V Jules Michelet K Shigeru Yamazaki M Masahiko Sato A Kuni Fukai S Masashi Furukawa P Tadami Watanabe | JP | 93 min | 1:1,37 | f | 30. Juni 1973

27.6.73

Live and Let Die (Guy Hamilton, 1973)

James Bond 007 – Leben und sterben lassen

In seinem ersten Auftritt als Bond, James Bond verschlägt es Moore, Roger Moore nach Harlem, New Orleans und (mal wieder) in die Karibik. Auf der Jagd nach dem Superschurken Mr. Big (dessen zweites Ich Dr. Kananga als UN-Botschafter des Inselstaates San Monique (die heilige Monika: Schutzpatronin der Mütter, Frauen und somit auch Bondgirls) fungiert), gerät der britische Geheimagent in einen handfesten Blaxploitation-Voodoo-Zauber auf dem Subtilitätsniveau von »Tim im Kongo«. Nach der herrlich übergeschnappten Las-Vegas-Burlesque »Diamonds Are Forever« zügelt Guy Hamilton seinen Erfindungsreichtum und erdet das 007-Abenteuer durch Konzentration auf das (natürlich ironische) Zelebrieren der physischen Unwiderstehlichkeit des Protagonisten sowie auf die Inszenierung einiger wirkungsvoller Actionsequenzen (Höhepunkt: eine Speedboot-Verfolgungsjagd im Mississippi-Delta). Dazu paßt, daß sich Mr. Dr. Big Kananga (Yaphet Kotto) letztlich nicht als irrsinniger Welteroberer sondern nur als aufgeblasener Drogenbaron mit Tarot-Macke erweist.

R Guy Hamilton B Tom Mankiewicz V Ian Fleming K Ted Moore M George Martin A Syd Cain S Bert Bates, Raymond Poulton, John Shirley P Albert R. Broccoli, Harry Saltzman D Roger Moore, Yaphet Kotto, Jane Semour, Clifton James, Julius Harris | UK | 121 min | 1:1,66 | f | 27. Juni 1973

# 981 | 3. Dezember 2015

17.6.73

Blume in Love (Paul Mazursky, 1973)

Heirat ausgeschlossen

»To be in love with your ex-wife is a tragedy«, sagt Stephen Blume, Scheidungsanwalt aus Los Angeles (George Segal), der von seiner Ehefrau Nina (Susan Anspach) infolge eines Seitensprungs blitzgeschieden wurde, um schnell zu erkennen, daß er die Verflossene immer noch liebt. Paul Mazursky läßt seine ironische Charakterstudie, gleichermaßen Tragödie eines lächerlichen Mannes und dramatische Komödie der Verunsicherung, der Schuldgefühle, der Besessenheit in der romantischsten aller Kulissen beginnen: Auf der Piazza San Marco beobachtet Blume diverse Liebespaare, erinnert sich zu den Klängen eines Kaffeehausorchesters an die Flitterwochen, die er mit seiner Angetrauten einst in Venedig verbrachte, an Szenen ihrer Ehe, ihrer Entfremdung, ihres Getrenntseins. Während Nina mit dem lebensküstlerischen Musiker Elmo (Kris Kristofferson) anbandelt (den Blume so sympathisch findet, daß er ihm den Vollbart abguckt), gibt es für ihren selbstmitleidig-liebeskranken Exmann nur die Eine, die Einzige: »I will die if I don’t get her back. I don’t want to die. Therefore I have to get her back.« Gewürzt mit furiosen Kurzauftritten von Shelley Winters in der Rolle der hysterisch-rachedurstigen Gattin eines treulosen Psychiaters (»I want the money and the children. And I want the Jaguar!«), entwickelt Mazursky ein bemerkenswertes Update der comedy of remarriage (eines Subgenres der 1930er und -40er Jahre, das Klassiker wie »The Awful Truth« und »His Girl Friday« hervorbrachte) für die Ära von Selbstfindung, Yoga und sexueller Freiheit. Die Wiedervereinigung der Blumes durch eine unvermittelte Vergewaltigung mit anschließender Schwangerschaft setzt allerdings eine perverse Pointe, die das happy ending (dort, wo die Erzählung begann: auf dem Markusplatz – untermalt vom Liebestod-Thema aus »Tristan und Isolde«) zu einem der befremdlichsten seiner Art macht.

R Paul Mazursky B Paul Mazursky K Bruce Surtees M diverse A Pato Guzman S Don Cambern P Paul Mazursky D George Segal, Susan Anspach, Kris Kristofferson, Marsha Mason, Shelley Winters | USA | 115 min | 1:1,85 | f | 17. Juni 1973

# 1119 | 1. Juni 2018

14.6.73

The Last of Sheila (Herbert Ross, 1973)

Sheila

»There are gigantic themes here, worthy of Dostoyevsky. There’s innocence, guilt, hatred, loyalty.« Es beginnt mit einer Leiche am Straßenrand in Bel-Air, später fällt eine Leiche aus einem südfranzösischen Beichtstuhl, noch später liegt eine Leiche in der Badewanne an Bord einer Luxusyacht. Zwischen den Todesfällen wird gespielt – und wie! Kino als Kreuzworträtsel, als Charade, als kriminalistisches Puzzle. Als master of ceremonies figuriert ein Hollywood-Produzent (mit gebleckten Zähnen: James Coburn), der sechs Showbiz-»Freunde« zu einer Mittelmehrkreuzfahrt einlädt, um mit ihnen Katz und Maus zu spielen. Eine(r) von ihnen hat seine Frau Sheila (die erste Leiche) auf dem Gewissen (sofern Filmleute überhaupt eins haben) … Sechs Personen suchen (und finden) sich spielend selbst – Herbert Ross inszenierte diese hochintelligente und sehr witzige Studie über das Geheimnis (»That’s the thing about secrets. We all know stuff about each other. We just don’t know the same stuff.«) und die Abgründe des homo ludens mit viel Geschmack und Sinn für Details nach einem Drehbuch voller raffinierter hints and clues von Stephen »Isn’t it rich? Isn’t it queer?« Sondheim und Anthony »Mother! Oh God, mother! Blood! Blood!« Perkins – leider wird das erste Zusammenspiel der Gelegenheitsfilmautoren auch ihr letztes bleiben.

R Herbert Ross B Stephen Sondheim, Anthony Perkins K Gerry Turpin M Billy Goldenberg A Ken Adam S Edward Warschilka P Herbert Ross D Richard Benjamin, Dyan Cannon, James Coburn, Joan Hackett, James Mason | USA | 120 min | 1:1,85 | f | 14. Juni 1973

1.6.73

Das zweite Leben des Friedrich Wilhelm Georg Platow (Siegfried Kühn, 1973)

»Was ist Klassenkampf?« – »Daß die Gleise in Ordnung sind und daß der Zug pünktlich fährt.« 57 Jahre alt ist Friedrich Wilhelm Georg Platow, 34 davon hat er als Schrankenwärter auf dem Bahnhof Luege verbracht. Die »Elektronifizierung« der Strecke beendet Platows beschauliches Leben, und der verschrobene Fahrdienstleiter beginnt – »auf ziemlich beispiellose Weise« – ein neues … Nach einem Drehbuch des Brecht-Adepten Helmut Baierl erzählt Siegfried Kühn eine tragikomische Antiheldensage aus den Wirren der wissenschaftlich-technischen Revolution, die den Protagonisten mit den Herausforderungen der »modernen Zeiten« (Fortschritt, Rationalisierung, Technokratie) konfrontiert. Durch die couragierte Zergliederung der dargelegten Biographie in gestalterisch disparate Kapitel (mit den Titeln »Lebenslauf«, »Testament«, »Tagebuch«, »Feuilleton«, »Reportage«), durch die eigentümliche Historisierung der Gegenwart (»die siebziger Jahre unseres Jahrhunderts«), durch das stellenweise groteske Spiel der Darsteller wird das gesellschaftlich brisante Thema satirisch überhöht und recht elegant der politischen Phraseologie entzogen. Platow, gleichsam eine spöttische Dekonstruktion der sozialistischen Arbeiterpersönlichkeit, ignoriert auf seine eigene kauzige Weise die an ihn gestellten Ansprüche und schafft es dabei dennoch, sich zu »qualifizieren« – als Eisenbahner, vor allem aber als Mensch.

R Siegfried Kühn B Helmut Baierl, Siegfried Kühn K Roland Dressel M Hans Jürgen Wenzel A Georg Wratsch S Brigitte Krex P Herbert Ehler D Fritz Marquardt, Jürgen Holtz, Gisela Hess, Volkmar Kleinert, Hermann Beyer, Rolf Hoppe | DDR | 90 min | 1:1,66 | f & sw | 1. Juni 1973

# 977 | 9. November 2015