17.3.54

Touchez pas au grisbi (Jacques Becker, 1954)

Wenn es Nacht wird in Paris

Es ist die alte Geschichte: ein Ganove in fortgeschrittenen Jahren (Monsieur Max = Jean Gabin), der große, letzte Coup (50 Millionen Francs in Gold) und der Traum von der gutbürgerlichen Existenz in Ruhe in Frieden (der ebendies bleiben wird: ein Traum). Die schöne Illusion zerplatzt wegen eines treuen (aber grenzenlos einfältigen) Kumpels, der sich verquasselt, wegen gieriger Konkurrenten, die gewaltsam ihren Teil vom Kuchen (genauer gesagt: den ganzen) verlangen, zuvörderst aber wegen der Freundschaft, die (natürlich) über alles geht. Jacques Becker schert sich fast gar nicht um die kriminalistische Handlung (erst gegen Ende von »Touchez pas au grisbi« wird es einigermaßen dramatisch); die Unterwelt-Story bietet ihm in erster Linie die notwendige Folie für die feinsinnige Schilderung von (Pariser) Atmosphäre, für die gefühlvolle Zeichnung der Charaktere – etwa wenn Max und sein tumber Herzensbruder Riton (René Dary) auf der Flucht vor ihren Häschern die Nacht in einem (sehr komfortablen) konspirativen Appartement verbringen, wo sie Zwieback dick mit foie gras bestreichen, später in gestreiften Seidenpyjamas die Zähne putzen, schließlich vorm Spiegel ihre Tränensäcke und Doppelkinns (= die gnadenlosen Zeugen des Alter(n)s) melancholisch betasten… Gabin (der kaum je die beeindruckende gueule d’amour verzieht) treibt seine ureigene Glanzrolle des bourgeoisen Anarchisten auf die allerhöchste Spitze – und haucht dem Film (zusammen mit illustren Mitspielern wie Jeanne Moreau, Paul Frankeur, Lino Ventura) von der ersten (optimistischen) bis zur letzten (fatalistischen) Minute pralles Leben ein.

R Jacques Becker B Jacques Becker, Albert Simonin, Maurice Griffe V Albert Simonin K Pierre Montazel M Jean Wiener A Jean d’Eaubonne S Marguerite Renoir P Robert Dorfmann D Jean Gabin, René Dary, Jeanne Moreau, Paul Frankeur, Lino Ventura | F & I | 94 min | 1:1,37 | sw | 17. März 1954

11.3.54

Night People (Nunnally Johnson, 1954)

Das unsichtbare Netz

Nachts in Berlin. Ein GI begleitet sein deutsches Mädchen nach Hause. Kurz nach dem zärtlichen Abschied kriegt er eins übergebraten und wird in den sowjetischen Sektor verschleppt. Der Vater des amerikanischen Soldaten, ein einflußreicher Unternehmer (Broderick Crawford), reist an, um den Verantwortlichen Feuer unterm Arsch zu machen. Colonel Van Dyke (Gregory Peck) vom militärischen Geheimdienst läßt sich allerdings nicht gerne von Amateuren erklären, wie er seinen Job zu erledigen hat, und expliziert dem ungebetenen Berlin-Besucher, der als guter Kapitalist glaubt, die Angelegenheit mit Dollars regeln zu können, mit welcher Art von Leuten sie es hier, an der Hauptkampflinie des Kalten Krieges, zu tun haben: »These are cannibals! Headhunting, bloodthirsty cannibals, who are out to eat us up.« … Nunnally Johnson entwickelt das verwirrend-verworrene (Doppel-)Spiel zwischen Ost und West vor allem als steifes Dialogdrama in schmucklosen Kulissen. Spannung kommt kaum auf, auch weil die wahren Opfer (tapfere britische bzw. adlige Anti-Nazis) und die echten Schurken (abgefeimte Alt-Nazis im roten Pelz) der Intrige im Dunkel der Nacht keine Kontur gewinnen.

R Nunnally Johnson B Nunnally Johnson K Charles G. Clarke M Cyril Mockridge A Hans Kuhnert, Theo Zwierski S Dorothy Spencer P Nunnally Johnson D Gregory Peck, Broderick Crawford, Anita Björk, Rita Gam, Buddy Ebsen | USA | 93 min | 1:2,35 | f | 11. März 1954

9.3.54

Ernst Thälmann – Sohn seiner Klasse (Kurt Maetzig, 1954)

»Daß wir im Recht sind, versteht sich von selbst.« Granitrote Hagiographie im Duktus sowjetischer Stalin-Epen. Ernst Thälmann (Günther Simon), geborener Kommunist, auf seinem Weg aus den Gräben des Ersten Weltkriegs in die Klassenkämpfe der Weimarer Republik: »Teddy« kann alles, weiß alles, ist immer schon da, und die hinterfotzigen Sozialdemokraten sind sowieso an allem schuld. Die Pflichtschuldigkeit, mit der Regisseur Kurt Maetzig und seine nationalpreisgekrönten Skribenten in allerhöchstem Parteiauftrag propagandistische Locken auf der Glatze des Protagonisten drehen, erzeugt über weite Strecken nichts als panegyrische Ödnis, einzig die schwungvolle (wenn auch historisch einigermaßen umfrisierte) Nachinszenierung des von der KP Wasserkante 1923 losgetretenen Hamburger Aufstandes (gedreht in den Straßen von Dresden-Neustadt) bricht gestalterisch aus dem statischen Einerlei heraus. Erkenntniswert bietet das agfacolorierte Heldenstück bestenfalls im Hinblick auf Geschichtsbild und Filmgeschmack der führenden SED-Genossen.

R Kurt Maetzig B Willi Bredel, Michael Tschesno-Hell, Kurt Maetzig K Karl Plintzner M Wilhelm Neef A Willi Schiller, Otto Erdmann S Lena Neumann P Adolf Fischer D Günther Simon, Hans-Peter Minnetti, Erich Franz, Erika Dunkelmann, Raimund Schelcher, Michel Piccoli | DDR | 126 min | 1:1,37 | f | 9. März 1954