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24.4.67

The Sailor from Gibraltar (Tony Richardson, 1967)

Nur eine Frau an Bord

»What do you do when you don’t know what you want.« Alan, in seinem Behördenjob gelangweilt, von seiner putzmunteren Freundin Sheila (Vanessa Redgrave) angeödet, mit seinem Leben generell unzufrieden, begegnet während eines Italienurlaubs der schönen, reichen Anna (Jeanne Moreau), die, auf der Suche nach einem verlorenen Geliebten, mit ihrer Segelyacht die Weltmeere durchkreuzt. Alan nutzt die sich ihm unverhofft bietende Chance und begleitet Anna, ihrerseits erotischen Eskapaden durchaus nicht abgeneigt, auf große Fahrt. In Athen, in Alexandria, in Äthiopien verfolgen sie vage Spuren des Verschwundenen, gehen Auskünften nach, die ihnen von mehr oder weniger zuverlässigen Informanten (darunter Orson Welles mit Fez und Kaftan als »Louis of Mozambique«) zugetragen werden. Tony Richardsons Adaption eines frühen Romans von Marguerite Duras läßt bewußt offen, ob es den Matrosen von Gibraltar (angeblich ein aus der Fremdenlegion geflohener Mörder) tatsächlich gab, oder ob er Annas Phantasie entsprungen ist, ein romantisches Ideal, Wunschbild der absoluten Liebe, Symbol für Geheimnis, Abenteuer, Freiheit, Unschuld. Auch wenn Ian Bannen in der (einigermaßen undankbaren) Rolle des mürrischen Alan kaum greifbare Präsenz entwickelt, gelingt Richardson, insbesondere dank Moreaus enigmatischer Strahlkraft, Raoul Coutards dokumentarisch-einfühlsamer Kamera und Antoine Duhamels mediterran-melancholischem Score, eine streckenweise reizvolle Reiseerzählung über Sehnsucht und Vorstellungen von Glück, über Illusionen und unbekannte Ziele: »It would be terrible if sailors didn’t exist.« – »We would have to invent them.«

R Tony Richardson B Christopher Isherwood, Don Magner, Tony Richardson V Marguerite Duras K Raoul Coutard M Antoine Duhamel A Josie MacAvin S Antony Gibbs P Oscar Lewenstein D Jeanne Moreau, Ian Bannen, Vanessa Redgrave, Orson Welles, Hugh Griffith | UK | 91 min | 1:1,66 | sw | 24. April 1967

# 1069 | 21. August 2017

26.8.66

La voleuse (Jean Chapot, 1966)

Schornstein Nr. 4

1966. Was macht eigentlich Romy Schneider? Sie ist längst nicht mehr Sissi, und die skandalträchtige Liaison mit Alain Delon liegt ebenfalls hinter ihr. Sie ist auch noch nicht der große französische Star in Meisterwerken von Sautet, Chabrol, Zulawski. Mitte der 60er Jahre lebt Romy Schneider in Berlin. Eigentlich will sie Theater spielen. Stattdessen dreht sie einen Film: die französisch-deutsche Koproduktion »La voleuse«. Schneider ist Julia Kreuz, eine junge Berlinerin, die ihrem Gatten Werner, einem leitenden Angestellten (Michel Piccoli), eines Tages mitteilt, daß sie aus der Zeit vor ihrer Ehe einen siebenjährigen Sohn habe, ein Kind, das nach der Geburt zu Pflegeeltern im Ruhrgebiet gegeben wurde. Jetzt fordert sie den Jungen zurück. Der polnischstämmige Stahlarbeiter Kostrowicz (Hans-Christian Blech) wehrt sich nach Kräften gegen das Ansinnen der leiblichen Mutter. Als ihm der Kleine weggenommen wird, droht er, sich vom höchsten Schornstein seines Werkes in den Tod zu stürzen … Ein Film zwischen allen Stühlen: zwischen den Sprachen, zwischen den Klassen, zwischen den Zeiten, zwischen Großstadt und Industrierevier, zwischen Gefühlsexplosion und Abstraktion, zwischen formierter Gesellschaft und maßlosem Individualismus. Die hochbewußt komponierten schwarzweißen Franscope-Bilder (Kamera: Jean Penzer), die literarischen Wortwechsel (Dialoge: Marguerite Duras), die Auflösung der Erzählung in Szenenbruchstücke (Regie: Jean Chapot) enträtseln – bewußt, wie zu vermuten ist: – nicht den Impuls, der die weibliche Hauptfigur treibt: Ist ihre Obsession Spätfolge eines nichtgelebten Lebens? Oder pathologisches Alleshabenwollen? Oder Leiden an den Verhältnissen? Oder ein Überschuß an Liebe? Julia Kreuz bleibt unerklärlich. Vielleicht spielt Schneider vor den weißen Wänden des Neubau-Apartments ein wenig zu offensichtlich gegen ihr vormaliges Herziges-Mädel-Image an, vielleicht duftet die Beschwörung von Leere und Desorientierung, von Entfremdung und Fragmentierung ein bißchen zu sehr nach ›Antonioni Nº 5‹ oder ›Miss Resnais‹ – dabei aber entwirft »La voleuse« sowohl ein außergewöhnliches Frauenportrait als auch eine bemerkenswerte Darstellung der Bundesrepublik zwischen wirtschaftswunderlicher Restauration und kulturrevolutionärem Umbruch.

R Jean Chapot B Marguerite Duras, Jean Chapot K Jean Penzer M Antoine Duhamel A Willy Schatz S Ginette Boudet P Claude Jaeger, Hans Oppenheimer D Romy Schneider, Michel Piccoli, Hans-Christian Blech, Sonia Schwarz, Mario Huth | F & BRD | 88 min | 1:2,35 | sw | 26. August 1966

12.5.66

Mademoiselle (Tony Richardson, 1966)

Mademoiselle

»Pauvre fille, elle mène une drôle de vie.« Mademoiselle öffnet ein Wehr, um das Dorf zu überschwemmen. Mademoiselle zerquetscht in der Hand das Gelege eines Rebhuhns. Mademoiselle legt Feuer in einem Stall. Mademoiselle versengt mit brennender Zigarette die Blüten eines Apfelbaums. Mademoiselle vergiftet das Brunnenwasser. Bevor Mademoiselle, die zugereiste Lehrerin einer kleinen Ortschaft in der tiefsten französischen Provinz, ihr Zimmer verläßt, um ihr Zerstörungswerk zu verrichten, wählt sie das passende Kleid, schminkt sich sorgfältig, steigt in hochhackige Schuhe, streift schwarze Netzhandschuhe über. Keiner der Dorfbewohner hat Mademoiselle im Verdacht. Der allgemeine Argwohn richtet sich gegen den italienischen Waldarbeiter Manou (Ettore Manni), dessen offensive Virilität den Männern Unbehagen bereitet und die Frauen – auch Mademoiselle – in den Bann schlägt ... Tony Richardson formt Jean Genets Reflexion über das Böse und die Einsamkeit, über Frustration und Sadismus, über Lust und Eifersucht zu einem unheimlich frostigen, dabei hochgradig sinnlichen Film. Statt Musik wirken die Geräusche, rauschendes Wasser und knisternde Flammen, Spechtklopfen und Vogelstimmen, krachende Axthiebe und lärmende Motorsägen, Donner und Glockengeläut; in David Watkins statischen Panavision-Bildern der arkadisch-archaischen Landschaft werden die Menschen häufig marginalisiert, zu winzigen Details verkleinert oder an den Rand gedrängt. Überlebensgroß erscheint indes Jeanne Moreau als »Mademoiselle«, in ihrer Grausamkeit, in ihrer Unergründlichkeit, in ihrem Verlangen, wenn sie Manous Sohn Bruno (der, in die Lehrerin heimlich verliebt, als einziger ihr Geheimnis ahnt) wiederholt vor versammelter Klasse demütigt, wenn sie den Schülern mit kalter Begeisterung von den Untaten Gilles de Rais’ erzählt, wenn sie das Objekt ihrer gnadenlosen Begierde dem Zorn der Menge ausliefert: »Mademoiselle, c’était lui?« – »Oui!«

R Tony Richardson B Jean Genet, Marguerite Duras K David Watkin A Jacques Saulnier S Antony Gibbs P Oscar Lewenstein D Jeanne Moreau, Ettore Manni, Keith Skinner, Umberto Orsini, Jacques Monod | F & UK | 100 min | 1:2,35 | sw | 12. Mai 1966

# 1070 | 21. August 2017

10.6.59

Hiroshima, mon amour (Alain Resnais, 1959)

Hiroshima, mon amour

Über das Unsagbare sprechen, das nicht Darstellbare zeigen, das Unmögliche wagen: »Hiroshima, mon amour« – der Ort der totalen Zerstörung und das höchste der Gefühle. Körperteile, in Asche gehüllt, Fleisch, bedeckt mit Schweiß, verschlungene Leiber: Sie (Emmanuelle Riva) ist eine französische Schauspielerin, er (Eiji Okada) ist ein japanischer Architekt. Sie ist nach Hiroshima gekommen, um in einem Film mitzuwirken, in einem Film über den Frieden. Sie hat das Krankenhaus gesehen und das Museum und den Fluß und das Denkmal und den Park und die Kraniche aus Papier. Alain Resnais zeigt alles, was sie gesehen hat, zeigt es in dokumentarischen Bildern. »Tu n’a rien vu à Hiroshima, rien«, sagt er zu ihr. »J’ai tout vu, tout«, sagt sie zu ihm. Sie lieben sich. Es ist der letzte Drehtag. Er fordert sie auf zu bleiben. Bei ihm. In Hiroshima. Sie will nach Hause zurückkehren. Sie ist glücklich verheiratet. So wie er. Marguerite Duras’ Dialoge klingen wie Opernduette, unwirklich-klar, sachlich-pathetisch. Er fragt sie, wo sie war, als in Hiroshima die Bombe fiel. Sie war in Paris, antwortet sie. Sie war glücklich. Weil der Krieg vorbei war. Weil ihr Unglück vorbei war. Ihr Unglück, das war auch und vor allem ihr Glück. Ein deutscher Soldat. Ihre erste Liebe. In ihrer Heimatstadt. In Nevers in Frankreich. Der deutsche Soldat wurde erschossen. Sie wurde geschoren. Sie wurde in einen Keller gesperrt. Weil sie einen Feind geliebt hatte. Sie wurde verrückt. Sie kam wieder zur Vernunft. Als sie ihre Liebe vergessen hatte. In Hiroshima, am Ort der Katastrophe, findet sie ihre erste Liebe wieder, ihr Glück, ihren Schmerz, ihr Leben. »Hi-ro-shi-ma … c’est ton nom«, sagt sie zu ihm. Und er sagt zu ihr: »Ton nom à toi est Nevers. Ne-vers-en-Fran-ce.« Hiroshima. Nevers. Erinnern. Vergessen. Liebe. Tod. Gestern. Heute. Immer. Überall.

R Alain Resnais B Marguerite Duras K Michio Takahashi, Sacha Vierny M Giovanni Fusco, Georges Delerue A Minoru Esaka, Mayo (= Antoine Malliarakis) S Henri Colpi, Jasmine Chasney P Samy Halfon D Emmanuelle Riva, Eiji Okada, Bernard Fresson | F & JP | 91 min | 1:1,37 | sw | 10. Juni 1959

# 842 | 7. März 2014