Der Prozeß
»What’s the charge?« Josef K. (getrieben: Anthony Perkins) wird nicht erfahren, wessen er angeklagt ist, nicht von den undurchschaubaren Bürokraten, die ihn eines Morgens verhaften (ohne ihn in Gewahrsam zu nehmen), nicht von der Zimmernachbarin (die ihn geradeso anlockt wie abweist), nicht von dem (einigermaßen nichtstuerischen) Anwalt, den er konsultiert, nicht von dessen (ziemlich ausgeschlafener) Zugeherin, nicht von dem Maler, der die (ansonsten unsichtbaren) Richter abkonterfeit, nicht vom Priester (der in düsteren Gleichnissen spricht), nicht von den Schergen, die das (nie gefällte) Urteil vollstrecken ... Protokollierte Franz Kafka die unaufhaltsame Deformation des Lebens durch eine unfaßliche höhere Gewalt in beamtenhaft nüchterner Sprache, greift Orson Welles, dem das Übermaß immer näher war als die Mäßigung, zu betont drastischen Mitteln der Fallbeschreibung: seine Adaption des Jahrhundertromans (»It’s been said that the logic of this story is the logic of a dream … a nightmare.«) ergeht sich in expressiven Cadragen, komplexen Plansequenzen, harten Schwarzweiß-Kontrasten, in schnellen Wechseln zwischen leeren Plätzen und überfüllten Räumen, gigantischen Sälen und engen Verschlägen, abgeblättertem Belle-Époque-Prunk und betonierter Neubautristesse. Welles’ modernistisch-barocke Paranoia-Farce (»Accused men are attractive.«) zeigt einen (≈ den) Menschen im Würgegriff einer fremden Zerstörungsmacht, die paradoxerweise zugleich ein menschengemachter Schrecken ist, so als kehrte sich das Innere nach außen und zielte tödlich auf sich selbst – schuldig, auf einer Unschuld zu beharren, die es nicht gibt, verliert sich K. (≈ jedermann) in einem selbsterrichteten Labyrinth.
R Orson Welles B Orson Welles V Franz Kafka K Edmond Richard M Jean Ledrut, Tommaso Albinoni A Jean Mandaroux S Yvonne Martin P Alexandre Salkind, Michel Salkind D Anthony Perkins, Romy Schneider, Jeanne Moreau, Akim Tamiroff, Orson Welles | F & I & BRD | 118 min | 1:1,66 | sw | 21. Dezember 1962
# 1104 | 5. März 2018
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