15.9.72

La course du lièvre à travers les champs (René Clément, 1972)

Treibjagd

Trilogie des contes policiers (3) … »We are but older children dear / Who fret to find our bedtime near.« Wiederum unter ein Lewis-Carroll-Motto gestellt, ist René Cléments dritter und letzter polar de fées das elegischste und zugleich radikalste Werk der Trilogie. »La course du lièvre à travers les champs« erdichtet die Realität als Kinderspiel: »Ich habe mich häufig gefragt«, schreibt Drehbuchautor Sébastien Japrisot, »ob das Kind die Erwachsenen imitiert oder ob nicht die Wirklichkeit eine verzweifelte Kopie der kindlichen Träume ist.« Eine Clique von Kindern und Halbwüchsigen spielt am Hafen von Marseille. Sie tun so, als wären sie Banditen, die den Überfall auf einen Wolkenkratzer in Amerika planen. René Clément folgt diesen Träumern hinter den Spiegel der Einbildung und erzählt ihre Phantasie mit höchster formaler Delikatesse: Tony (Jean-Louis Trintignant) gerät auf der Flucht vor rachsinnigen Zigeunern an den alten Gauner Charley (Robert Ryan), der mit seiner bunt zusammengewürfelten Bande in einer abgelegenen Kaschemme (namens »The Cheshire Cat Inn«!) an der kanadisch-amerikanischen Grenze haust. Als unwillkommener Eindringling muß sich Tony den Respekt der Gruppe sauer verdienen, macht schließlich mit bei der, im Auftrag eines Gangsterbosses organisierten, spektakulären Entführung einer Kronzeugin aus dem obersten Stockwerk eines Hochhauses in Montréal … Clément zitiert ungeniert Klischeebilder (und -töne) des Genrekinos: Western, Kriminalfilme und Romanzen haben die juvenile Einbildungskraft beflügelt. Spiel und Erzählung kennen keine festen Regeln, die Geschichte schlägt Haken (wie der Hase des Titels), schweift durch ihr selbstentdecktes Wunderland, unterliegt plötzlichen Stimmungsschwankungen (wie ihre Erfinder). In Bildern von magischer Klarheit (Kamera: Edmond Richard) entspinnt sich ein Abenteuer von idyllischem Schrecken, eine imaginäre Identitätssuche zwischen Unschuld und Schuld, ein originäres filmisches Kunstwerk zwischen melvillescher Stilisierung und buñuelesker Surrealität. »Ils ont bien joué.«

R René Clément B Sébastien Japrisot V David Goodis K Edmond Richard M Francis Lai A Pierre Guffroy S Roger Dwyre P Serge Silberman D Jean-Louis Trintignant, Robert Ryan, Lea Massari, Aldo Ray, Jean Gaven, Tisa Farrow | F & I | 140 min | 1:1,85 | f | 15. September 1972

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