30.12.44

Iwan Grosnij (Sergei Eisenstein, 1944)

Iwan, der Schreckliche

Von Josef Stalin, der »Sonne der Menschheit« höchstpersönlich, mit einer Kinoepopöe über dessen Lieblingstyrannen Iwan IV. beauftragt, gestaltet Sergei Eisenstein keine herkömmliche filmische Biographie sondern eine hochpathetisch-artifizielle Bilder- und Szenenfolge, die den Protagonisten zur stählernen Ikone absoluter Macht stilisiert. »Iwan Grosnij« (der erste von drei geplanten Teilen des Werkes) beginnt mit der Selbstkrönung des Großfürsten von Moskau zum Zar aller Russen im Jahr 1547; sein Ziel, ein starkes, einiges Reich zu begründen, wird von Adel und Kirche aus Eigennutz intrigant hintertrieben – am Ende ist es der (bestellte) Wille des Volkes, der Partikularinteressen beiseitewischt und Iwan zum unumschränkten Alleinherrscher konsekriert. Bis auf zwei Sequenzen (Angriff auf das gegnerische Kasan und Zug der Masse nach Alexandrowa Sloboda, wohin sich der Zar strategisch zurückzog) handelt das Drama ausschließlich im Inneren des Kreml: In prächtigen Sälen und höhlenartigen Kammern, in verwinkelten Gängen und düsteren Nischen wird um die Autorität und Einfluß gerungen. Die statisch-zeremonielle Inszenierung dieser kalten Welt der Angst, der Nieder­tracht, des Treubruchs bedient sich der Mittel von Großer Oper und Stummfilmexpressionismus: Die theatralischen Figurenarrangements und minutiös abgezirkelten Einstellungen, die symbolischen Schattenspiele und extremen charakterlichen Typisierungen, die rollenden Augen und ringenden Hände der Akteure (namentlich Nikolai Tscherkassow als Iwan und Serafima Birman als dessen feindliche Tante Jefrossinja) erzeugen, bei aller künstlerischen Distanzierung, eine beinahe schmerzhafte Intensität, die Erhabenheit und Lächerlichkeit in eins fallen läßt. Eisenstein gelingt auf erstaunliche Weise die kreative Quadratur des Kreises: Er liefert dem Diktator die gewünschte Apotheose des furchteinflößenden Autokraten, und deutet zugleich, durch kompromißlose formale Verfremdung, das schreckliche Zeitalter Iwans als fernen Spiegel einer nicht minder grausamen Gegenwart.

R Sergei Eisenstein B Sergei Eisenstein K Andrei Moskwin, Eduard Tisse M Sergei Prokofjew A Josif Schpinel S Sergei Eisenstein P Mosfilm D Nikolai Tscherkassow, Serafima Birman, Michail Naswanow, Ljudmila Zelikowskaja, Michail Scharow | SU | 99 min | 1:1,37 | sw | 30. Dezember 1944

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